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Gesellschaft für Vervielfältigende Kunst [Hrsg.]
Die Graphischen Künste — 54.1931

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Meder, Joseph: Tintorettos erster Entwurf zum "Paradies" im Dogenpalaste
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https://doi.org/10.11588/diglit.6346#0090
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Wolken ausgefüllten
Stellen des Stiches,
sondern erscheint mit
zahllosen Heiligen und
Engeln fast überfüllt,
soweit wir es aus dem
heutigen, auf Lein-
wand übertragenenZu-
standzu erkennen ver-
mögen.1 Es war noch
der alte Typus, wie
ihn Giotto aufgestellt
hatte.

Zu einer lebendi-
gen Darstellung des
himmlischen Paradie-
sesais des Aufenthalts-
ortes aller Seligen,
ward das Thema erst

in der zweiten Redaktion Tintorettos erhoben, durch ihn, den Flächen- und Raumkünstler, den
Beherrscher unzählbarer schwebender Massen, den genialen Zeichner, der über den menschlichen
Körper wie kein zweiter gebot und der Komposition die kühnsten Stellungen einzuordnen wußte,
ohne jede Störung des Ganzen. Nur diesem vielseitigen Talente war es möglich, der 22/«langen
Leinwand Herr zu werden und trotz der Überfülle von Einzelgestalten — man zählt deren an
500 — auch der Schönheit im Einzelnen nicht zu vergessen (Abb. 1). Das Krönungsmotiv, wie
es sein Pariser Gemälde noch als erstes Konzept nach dem Vorbilde Guarientos in den Vorder-
grund gestellt hatte, ward aufgegeben und Maria als vor Christus kniende Fürbitterin aufgefaßt,
welche nun die ungezählten Seligen des alten und neuen Testamentes, letztere in der Anordnung der
Allerheiligen-Litanei (che egli osservasse nella collocatione de' Santi l'ordine delle Letanie) vorführt
und dem Herrn empfiehlt. Es scheint der Wahrheit am nächsten zu kommen, wenn wir den Pariser
Entwurf als in jener Zeit uns entstanden denken, als um 1579 alle die führenden Künstler Venedigs
zur Mitarbeit an den Gemälden im Dogenpalaste eingeladen waren und nun auch Tintoretto sein
Modell einreichte. Dagegen mag sich die zweite, inhaltlich geänderte Komposition im Sinne eines
Paradieses erst nach dem Tode Veroneses 1588 durchgesetzt haben, und in diese Zeit fällt auch
der Salzburger Entwurf.

Daß es zu dem Riesenwerke vieler Skizzen, Entwürfe und Detailstudien bedurfte, war eine
natürliche Forderung. Wieder durch Ridolfi erfahren wir interessante Mitteilungen über das technische
Vorgehen Tintorettos. Er schuf zunächst »mehr als ein Modell (farbige Gesamtdarstellung), denn wer
überströmt an Gedanken, begnügt sich nicht mit dem ersten Entwurf«. In der Scuola vecchia della
Misericordia fand er den geeigneten Raum für seine ungeheure Tätigkeit, für Zeichnungen und Kartons;
hier plante er, schuf Neues, um es wieder zu verwerfen und abermals zu erneuern. Als er alle Einzel-
partien — er hatte die ganze Fläche in Teile zerlegt und einzeln fertig gemalt — soweit zu seiner

1 Im Jahre 1903 ward das stark beschädigte Fresko von Steffanoni auf Leinwand übertragen und in einem Nebensaal untergebracht
(Hadeln: Ridolfi I, S. 32, Note 3). Photographien nach dem ursprünglichen, ruinösen Zustande des Gesamtbildes bei Oswaldo Böhm, Venedig.

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