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Gesellschaft für Vervielfältigende Kunst [Hrsg.]
Die Graphischen Künste — 54.1931

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Meder, Joseph: Tintorettos erster Entwurf zum "Paradies" im Dogenpalaste
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https://doi.org/10.11588/diglit.6346#0091
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Zufriedenheit vollendet hatte, ließ er sie erst im Dogenpalast an Ort und Stelle bringen, beobachtete die
Wirkung in ihrem Nebeneinander und stellte und fügte alles schließlich zusammen, um dann durch ein
ausgleichendes Verbinden die letzte Hand anzulegen. Bei dieser mühsamen Arbeit des Auf- und
Niedersteigens auf der Leiter leistete ihm sein Sohn Domenico die entsprechende Hilfe.1 Das Jahr
der Vollendung ist uns leider noch unbekannt.

Welche Unzahl von Zeichnungen mochte damals seinen Arbeitsraum gefüllt haben, die uns
entschwunden sind! Es sieht wie ein Wunder aus, wenn heute plötzlich aus einem alten Salzburger
Klebebande gelegentlich seiner Auflösung behufs zeitgemäßer Separataufstellung ein doppelseitig
bezeichnetes Folioblatt als Zeuge jener regsamen Zeit auftaucht und uns für das große Venezianer
Gemälde den, wie es scheint, gerade ersten Entwurf vor die erstaunten Augen führt (Signatur H 180).
Der neue Plan, Maria als kniende Fürbitterin mit der empfehlenden Handgeste vor Christus dar-
zustellen, ist nun deutlich ausgesprochen. Unter den Beiden, auf getrennten Wolken sitzend und von
Engeln umschart, noch wie bei Guariento die vier Apostel, während die ganze rechte Hälfte mit feiner
Feder in wirbelnden gelblichen Bisterlinien die versammelten Erwählten andeutet — so schildert die
Zeichnung bereits die Idee des zukünftigen Gemäldes im ersten Anlauf, entsprechend der kompli-
zierten Fläche mit den eingezeichneten Ausschnitten der beiden Türen und dem Hochsitze des
Dogen (Tafel I). Aber das Ganze wirkt noch einfach, noch der Fülle entbehrend. Erst im voll-
endeten Gemälde ward die Christusgruppe in die Höhe bis unter den Rahmen gerückt, um unten
einen weiteren von großen Engeln belebten Kranz einzuschieben. Ganz unten, etwas über dem
Papierrand der Zeichnung, läuft eine Horizontale mit Marken für den Maßstab, die Gesamtanlage
andeutend. Das Blatt zeigt das Wasserzeichen Armbrust im Kreis.4

Die Annahme, daß in der Zeichnung die Hand eines anderen Venezianers oder gar eines Kopisten,
wie ein alter Bleistiftvermerk auf dem Blatte dartun wollte, zu vermuten sei, ist ausgeschlossen und
bedarf keines besonderen Gegenbeweises. Abgesehen von der scheinbar wirbeligen und doch geist-
vollen Art und Weise, die Akte und deren Muskelgefüge aus Bogenlinien zu gestalten, intuitiv zu
werfen, die für Tintoretto widerspruchslos zeugt, wirkt die Rückseite mit ihren beiden in Kreide
skizzierten Schwebefiguren und den die Vorderseite ergänzenden Teilskizzen auf den Kenner wie ein
voll signiertes Studienblatt. Alle Eigenart des Meisters kommt darin zum Durchbruch (Tafel II). Die
Salzburger Zeichnung entstammt, wie die Falzseite und der noch daran hängende Rest des zweiten
Bogens erschließen läßt, einem Folioskizzenbuch im Ausmaße von 42 : 24 cm, wurde also seinerzeit
gewaltsam aus demselben herausgerissen. Auch die unten rechts noch sichtbare Ziffer Eins deutet
auf eine ehemalige Foliierung. Daß das Studienbuch noch andere Entwürfe enthalten haben mußte,
bestätigt ein gleichfalls der Salzburger Studienbibliothek gehöriges und dem alten Klebeband ent-
nommenes, mit H. 179 bezeichnetes Fragment (9'5 : 15-5; Abb. 3) mit fünf Varianten von Maria-
und Christusfiguren, in gleicher Federtechnik und auf gleichem Papier wie das Hauptblatt. Auf der
Rückseite eine flüchtige Skizze zu einem fliegenden Engel und in einem Oval eine auf dem rechten
Arm ruhende, liegende Frau.

Zur näheren Ausdeutung der den Fortschritt derEntwürfe bezeichnenden und mit Teilstudien sich
füllenden Rückseite sei noch bemerkt, daß hier bereits zwei der Evangelistengruppen erscheinen,
von denen zur Rechten der heilige Markus mit dem Löwen zu seinen Füßen etwas undeutlich aus
dem Liniengewirr erkennbar ist. In dem Gemälde finden wir diesen Evangelisten an der linken Seite.
Die beiden Schwebefiguren mit ausgestreckten Armen in Kreide erinnern an die Benutzung eines

i Ridolfl, a. a. 0.. D, 62.

- Briquet, Les filigranes. Nr. 72S und 766, aus der Zeit um 1583, also genau aus Tintorettos Arbeitsjahren für den Dogenpalast.

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