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Gesellschaft für Vervielfältigende Kunst [Hrsg.]
Die Graphischen Künste — 54.1931

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Fleischmann, Benno: Zur Graphikausstellung im Wiener "Hagenbund" (Dezember 1930)
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https://doi.org/10.11588/diglit.6346#0115
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Wir verlassen nun das Porträt, das
einen großen Raum innerhalb der Aus-
stellung einnimmt und aus dem allein wir
vieles über die allgemeinen, gestaltenden
Prinzipien erschließen können. Immer han-
delt es sich um die zergliedernde Durch-
dringung des Innenlebens des Dargestellten,
niemals erfreulicherweise um das, was man
den zum Stilleben degradierten Organismus
nennen könnte. Wir kommen zur Landschaft.
Sie fordert in der heutigen Auffassung weit
stärker als alles andere die malende Be-
handlung.

Marianne Seeland zeigt in ihren
Pastellen und Kohlezeichnungen reine, aus-
gesprochene Graphik. Ein Streben nach
einem Zusammenwirken von Farbe und Form
kann klar erkannt werden. Das Andeuten des
stark Räumlichen erreicht eine gesteigerte
Tiefenwirkung. Andere Künstler wieder,
etwa Ernst Wagner »Hochgebirgs-
impressionen«, »Aquarelle« — legen den
Schwerpunkt auf das kulissenhaft Nach-
gebaute in der Anlage. Karl Strobl wieder
bringt in einem eigenartigen Vedutenstil in
seinen Kohlezeichnungen alltägliche, ge-
wohnte Blicke, etwa einen Bahnviadukt, als
beherrschendes Motiv. Im ganzen spielt das
»Vorhandene«, die neuentdeckte Umwelt in reichster Ausprägung die entscheidende Rolle.

Tibor Gergely stellt eine Reihe von Landschaften und Genremotiven aus. Uns fesselt zuerst
die eigenartige Technik des Schwarz-Weiß-Aquarells. Schon ihre Anwendung gibt uns einen Einblick
in die Intentionen des Künstlers. Daß die reine Druckgraphik, das lediglich in Linien Zeichnende der
Kunst unserer Zeit fremd sein muß, wurde bereits öfter betont. Die praktische Betrachtung, das Fehlen
der Radierung, das seltene Auftreten des Holzschnittes hat der theoretisch erlangten Erwägung recht
gegeben. Gergelys Schwarz-Weiß-Aquarell baut eine Brücke von der Malerei zur Graphik. Es bleibt der
strengen Farbenarmut der letzteren mit geringfügigen Einschränkungen treu, schafft freilich, die
Möglichkeiten der Wasserfarbe ausnützend, Übergänge, weiche Schattierungen. Es kommt dem
Wunsche nach malerischen Wirkungen, nach einer leicht herstellbaren Fläche in der Graphik, ent-
gegen. Gergely zeigt in erster Linie freiräumige Motive. Manche der Arbeiten sind von einer eigen-
artigen Skurrilität und Phantastik, die sich selbst im kleinsten zu erweisen vermag. »Landstraße«
(Abb. 5): senkrecht auf die Bildfläche verläuft eine sich schnell verjüngende, von Bäumen eingesäumte
Straße, auf der sich in raschem Tempo, völlig allein, ein trabendes Pferd fortbewegt. Merkwürdig still
und tot ist die Landschaft, die unbewegte Atmosphäre; man glaubt das Klappern der Hufe zu hören.
Oder »Bäume«: aus den krausen und wirren Formen von Gesträuch und Bäumen, die wir sich

Abb. 4. Viktor Tischler, Am Balkon.

Tuschzeichnung.

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