Kurt Smolak
Hieronymus als Übersetzer
129
Analog zu den umfangreichen Zitaten aus Cicero zitiert Hieronymus nun aus seiner
eigenen Vorrede zur Übersetzung der Chronik des Eusebios26 27; und wie er auf Cicero
andere römische Autoren folgen lässt, so nennt er im Anschluss an das massive Eigen-
zitat eine Reihe lateinischer Kirchenautoren als Autoritäten für sinngemäßes, nicht
wörtliches Übersetzen aus dem Griechischen: Evagrius als den Übersetzer der Antoni-
usvita des Athanasios' und Hilarius von Poitiers. Das alles bedeutet nicht mehr und
nicht weniger, als dass Plautus und Hilarius in ihrer Tätigkeit als Übersetzer nach dem-
selben, strengen Maßstab beurteilt werden; Cicero und Hieronymus führen als
Archegeten des guten Übersetzens die Reihe römischer bzw. christlicher Übersetzer an.
Mit diesen Ausführungen hätte sich Hieronymus zwar als Übersetzer grundsätzlich aus
bester antiker Tradition heraus gerechtfertigt, doch nicht als Übersetzer der Bibel, die
ja als von Gott selbst inspiriert galt - und zwar sowohl in ihren hebräischen und grie-
chischen Originalen als auch in der griechischen Septuaginta-Übersetzung des Alten
Testaments, in der nach Hieronymus’ eigenen Worten „sogar die Wortfolge einen ver-
borgenen, tieferen Sinn hat“28. Deswegen macht er bei der Bibel eine Ausnahme von
dem so nachhaltig verteidigten Übersetzungsprinzip und sagt ausdrücklich: „abgesehen
von der Heiligen Schrift“ {absque scripturis sanctis).
Wenn nun Hieronymus in der Folge Beispiele für sinngemäßes Übersetzen anführt, so
fällt auf, dass er das Hauptgewicht nicht auf solche aus der profanen Literatur oder den
Schriften der Kirchenväter legt, sondern auf solche aus der Bibel: Nicht nur die
Septuaginta-Übersetzer, sondern auch die inspirierten Verfasser der neutestamentlichen
Schriften selbst hätten mitunter nicht Wort für Wort übersetzt29 30. Kein Geringerer als
der Evangelist Markus habe etwa die Worte Jesu, also eine autoritative Herrenrede, aus
dem Aramäischen sinngemäß wiedergegeben. Der berühmte Befehl, mit dem Jesus die
Tochter des Synagogenvorstehers zum Leben erweckteJ°, lauteten auf Aramäisch bloß
talitha cumi, das heißt: „Mädchen, steh auf!“ Der Evangelist aber fügte in seiner grie-
chischen Wiedergabe zu „steh auf“ hinzu: „ich sage dir“, um der Aussage größeren
Nachdruck zu verleihen, wie es dem Sinn der Passage gemäß sei. Hieronymus ge-
26 Epist. 57,5,6f. zitiert Hieronymus seine eigenen Worte aus Eusebii Chron. can. (ed. Schoene
Π,ρ. 1,8; 2,3).
27 Vgl. Patrologia Graeca 26,834.
28 Epist. 57,5,2: ubi et verborum ordo mysterium est. Zur Diskussion um die Bedeutung von
verborum ordo an vorliegender Stelle s. Bartelink (o. Anm. 23), 45f.; P. Serra Zanetti, Una
nota sul mysterium dell’ordo verborum nelle Scritture, Civiltä classica e cristiana 6 (1985),
118-135; über die Einstellung des Hieronymus zur Sprache der Bibel vgl. G. Q. A. Meers-
hoek, Le latin biblique d’apres Saint Jerome. Aspects linguistiques de la rencontre entre la
Bible et le monde classique, Nijmegen 1966 (Latinitas Christianorum primaeva 20).
29 Epist. 57, 7,1: „Und das ist auch nicht verwunderlich bei allen übrigen Männern, und zwar
des profanen und des kirchlichen Bereichs, wo doch die siebzig Übersetzer sowie die Evange-
listen und die Apostel in den heiligen Büchern ebenso verfahren sind“ (nee hoc mirum in
ceteris saeculi videlicet aut ecclesiae viris, cum Septuaginta interpretes et evangelistae atque
apostoli idem in sacris voluminibus fecerinf).
30 Marc. 5,41.
Hieronymus als Übersetzer
129
Analog zu den umfangreichen Zitaten aus Cicero zitiert Hieronymus nun aus seiner
eigenen Vorrede zur Übersetzung der Chronik des Eusebios26 27; und wie er auf Cicero
andere römische Autoren folgen lässt, so nennt er im Anschluss an das massive Eigen-
zitat eine Reihe lateinischer Kirchenautoren als Autoritäten für sinngemäßes, nicht
wörtliches Übersetzen aus dem Griechischen: Evagrius als den Übersetzer der Antoni-
usvita des Athanasios' und Hilarius von Poitiers. Das alles bedeutet nicht mehr und
nicht weniger, als dass Plautus und Hilarius in ihrer Tätigkeit als Übersetzer nach dem-
selben, strengen Maßstab beurteilt werden; Cicero und Hieronymus führen als
Archegeten des guten Übersetzens die Reihe römischer bzw. christlicher Übersetzer an.
Mit diesen Ausführungen hätte sich Hieronymus zwar als Übersetzer grundsätzlich aus
bester antiker Tradition heraus gerechtfertigt, doch nicht als Übersetzer der Bibel, die
ja als von Gott selbst inspiriert galt - und zwar sowohl in ihren hebräischen und grie-
chischen Originalen als auch in der griechischen Septuaginta-Übersetzung des Alten
Testaments, in der nach Hieronymus’ eigenen Worten „sogar die Wortfolge einen ver-
borgenen, tieferen Sinn hat“28. Deswegen macht er bei der Bibel eine Ausnahme von
dem so nachhaltig verteidigten Übersetzungsprinzip und sagt ausdrücklich: „abgesehen
von der Heiligen Schrift“ {absque scripturis sanctis).
Wenn nun Hieronymus in der Folge Beispiele für sinngemäßes Übersetzen anführt, so
fällt auf, dass er das Hauptgewicht nicht auf solche aus der profanen Literatur oder den
Schriften der Kirchenväter legt, sondern auf solche aus der Bibel: Nicht nur die
Septuaginta-Übersetzer, sondern auch die inspirierten Verfasser der neutestamentlichen
Schriften selbst hätten mitunter nicht Wort für Wort übersetzt29 30. Kein Geringerer als
der Evangelist Markus habe etwa die Worte Jesu, also eine autoritative Herrenrede, aus
dem Aramäischen sinngemäß wiedergegeben. Der berühmte Befehl, mit dem Jesus die
Tochter des Synagogenvorstehers zum Leben erweckteJ°, lauteten auf Aramäisch bloß
talitha cumi, das heißt: „Mädchen, steh auf!“ Der Evangelist aber fügte in seiner grie-
chischen Wiedergabe zu „steh auf“ hinzu: „ich sage dir“, um der Aussage größeren
Nachdruck zu verleihen, wie es dem Sinn der Passage gemäß sei. Hieronymus ge-
26 Epist. 57,5,6f. zitiert Hieronymus seine eigenen Worte aus Eusebii Chron. can. (ed. Schoene
Π,ρ. 1,8; 2,3).
27 Vgl. Patrologia Graeca 26,834.
28 Epist. 57,5,2: ubi et verborum ordo mysterium est. Zur Diskussion um die Bedeutung von
verborum ordo an vorliegender Stelle s. Bartelink (o. Anm. 23), 45f.; P. Serra Zanetti, Una
nota sul mysterium dell’ordo verborum nelle Scritture, Civiltä classica e cristiana 6 (1985),
118-135; über die Einstellung des Hieronymus zur Sprache der Bibel vgl. G. Q. A. Meers-
hoek, Le latin biblique d’apres Saint Jerome. Aspects linguistiques de la rencontre entre la
Bible et le monde classique, Nijmegen 1966 (Latinitas Christianorum primaeva 20).
29 Epist. 57, 7,1: „Und das ist auch nicht verwunderlich bei allen übrigen Männern, und zwar
des profanen und des kirchlichen Bereichs, wo doch die siebzig Übersetzer sowie die Evange-
listen und die Apostel in den heiligen Büchern ebenso verfahren sind“ (nee hoc mirum in
ceteris saeculi videlicet aut ecclesiae viris, cum Septuaginta interpretes et evangelistae atque
apostoli idem in sacris voluminibus fecerinf).
30 Marc. 5,41.