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Kurt Smolak
Hieronymus als Übersetzer
lung, da er doch selbst im 22. Brief bekannt hatte, dass ihm die „ungepflegte Sprache“
des (eines?) Propheten bei seiner Bibellektüre am meisten widerstrebte - höchstwahr-
scheinlich meint er damit eben das Buch Daniel; dieses habe ihn, so ist im Prolog zur
Danielübersetzung zu lesen, wegen seiner sprachlichen Schwierigkeiten „mit großem
Überdruss erfüllt“. An beiden Stellen steht in unmittelbarer Nachbarschaft zu den je-
weiligen Bemerkungen über Daniel bzw. „den Propheten“ eine Aussage über sprachli-
che Dunkelheit37: Zu diesem (verbreiteten?) stilkritischen Urteil würde clciro sermone
einen provokanten Gegensatz abgeben. Die Lichtmetapher clarus bzw. claritas u. ä.
zur Kennzeichnung eines klassizistischen Stilideals bedarf keiner näheren Erörterung.
Wenn Hieronymus sie ausgerechnet in Zusammenhang mit Daniel gebraucht (über die
drei anderen Propheten findet sich keine vergleichbare Qualifizierung), so stellt dies
einerseits der Ästhetik des vom Heiligen Geist inspirierten „chaldäischen“ Originals
ein hervorragendes Zeugnis aus und rückt andererseits die von dem Übersetzer für sich
in Anspruch genommene Kompetenz in ein sehr positives Licht. Denn im Buch Daniel
stilistische Klarheit zu erkennen und in die Zielsprache überzuführen (eine derartige
Erwartung wird ja im Leser erweckt), bedarf eines Ciceronicmus et Christianus^:
Nicht zu Unrecht ist Hieronymus als Gelehrter und als büßender Eremit in die westeu-
ropäische Ikonographie eingegangen.
17 Epist. 22,30,2: si quando ... prophetam legere coepissem, sermo horrebat incultus et, quia
lumen caecis oculis non videbam, non oculorum putabam culpam esse, sed soils', Danielpro-
log: cum ... vix coepissem ... quasi per cryptam ambulans rarum desuper lumen aspicere,
inpegi novissime in Danihelem et tanto taedio affectus sum, ut desperatione subita omnem
veterem laborem voluerim contemnere. Die Anwendung von Kategorien und daher auch von
Termini und gängigen Metaphern der antiken Rhetorik auf einzelne biblische Bücher ent-
spricht einer von Hieronymus häufig praktizierten Vorgangs weise, vgl. z. B. den Prolog zur
Isaiasübersetzung: Der Prophet schreibe Kunstprosa (per cola et commata, admixtum ...
florem sermonis) und wird mit Demosthenes und Cicero verglichen, Ezechiel dagegen bewe-
ge sich auf „mittlerer Stilhöhe“ (sermo ... medie temperatus) und weise einige „dunkle Stel-
len“ (obscuritates) auf.
38 Über tatsächliche Ciceronianismen in den Werken des Hieronymus s. N. Adkin, Hieronymus
Ciceronianus, Latomus 51 (1992), 408-420.
Kurt Smolak
Hieronymus als Übersetzer
lung, da er doch selbst im 22. Brief bekannt hatte, dass ihm die „ungepflegte Sprache“
des (eines?) Propheten bei seiner Bibellektüre am meisten widerstrebte - höchstwahr-
scheinlich meint er damit eben das Buch Daniel; dieses habe ihn, so ist im Prolog zur
Danielübersetzung zu lesen, wegen seiner sprachlichen Schwierigkeiten „mit großem
Überdruss erfüllt“. An beiden Stellen steht in unmittelbarer Nachbarschaft zu den je-
weiligen Bemerkungen über Daniel bzw. „den Propheten“ eine Aussage über sprachli-
che Dunkelheit37: Zu diesem (verbreiteten?) stilkritischen Urteil würde clciro sermone
einen provokanten Gegensatz abgeben. Die Lichtmetapher clarus bzw. claritas u. ä.
zur Kennzeichnung eines klassizistischen Stilideals bedarf keiner näheren Erörterung.
Wenn Hieronymus sie ausgerechnet in Zusammenhang mit Daniel gebraucht (über die
drei anderen Propheten findet sich keine vergleichbare Qualifizierung), so stellt dies
einerseits der Ästhetik des vom Heiligen Geist inspirierten „chaldäischen“ Originals
ein hervorragendes Zeugnis aus und rückt andererseits die von dem Übersetzer für sich
in Anspruch genommene Kompetenz in ein sehr positives Licht. Denn im Buch Daniel
stilistische Klarheit zu erkennen und in die Zielsprache überzuführen (eine derartige
Erwartung wird ja im Leser erweckt), bedarf eines Ciceronicmus et Christianus^:
Nicht zu Unrecht ist Hieronymus als Gelehrter und als büßender Eremit in die westeu-
ropäische Ikonographie eingegangen.
17 Epist. 22,30,2: si quando ... prophetam legere coepissem, sermo horrebat incultus et, quia
lumen caecis oculis non videbam, non oculorum putabam culpam esse, sed soils', Danielpro-
log: cum ... vix coepissem ... quasi per cryptam ambulans rarum desuper lumen aspicere,
inpegi novissime in Danihelem et tanto taedio affectus sum, ut desperatione subita omnem
veterem laborem voluerim contemnere. Die Anwendung von Kategorien und daher auch von
Termini und gängigen Metaphern der antiken Rhetorik auf einzelne biblische Bücher ent-
spricht einer von Hieronymus häufig praktizierten Vorgangs weise, vgl. z. B. den Prolog zur
Isaiasübersetzung: Der Prophet schreibe Kunstprosa (per cola et commata, admixtum ...
florem sermonis) und wird mit Demosthenes und Cicero verglichen, Ezechiel dagegen bewe-
ge sich auf „mittlerer Stilhöhe“ (sermo ... medie temperatus) und weise einige „dunkle Stel-
len“ (obscuritates) auf.
38 Über tatsächliche Ciceronianismen in den Werken des Hieronymus s. N. Adkin, Hieronymus
Ciceronianus, Latomus 51 (1992), 408-420.