Kurt Smolak
Hieronymus als Übersetzer
131
durch frühere Übersetzer, die mit ihm wie bei rhetorischen Redeübungen frei umgin-
gen, stark entstellt worden sei. Die Interpretation des 57. Briefs unter Zuhilfenahme der
Vorrede zur Pentateuchübersetzung’4 macht hinlänglich deutlich, dass Hieronymus
sich dort nicht bloß gegenüber den Kritikern seiner Übersetzung des Epiphanius-
Briefes rechtfertigt, sondern auch, und wohl in erster Linie, seine aktuelle Arbeit an der
Bibelübersetzung im Auge hat35.
Was nun das sprachliche Gewand der biblischen Texte anlangt, so konnte bei deren
Übertragung in eine Übersetzungssprache eine Art spiritus rhetoricus die im Original
vorhandene, vom spiritus sanctus herrührende ästhetische Qualität gewährleisten: Dies
ist die theoretische Grundlage von Hieronymus’ Bibelästhetik.
Wie er sich das praktische Wirken eines kompetenten Übersetzers, genauer gesagt
seiner selbst als Bibelübersetzer, vorstellt, illustriert schlaglichtartig eine im Prolog zur
Übersetzung des Propheten Daniel berichtete Episode: Er sei als noch junger Mann
nach dem Rhetorikunterricht, geschult an Quintilian und Cicero’6, an dem schwierigen,
„chaldäischen“, das heißt aramäischen, Text fast verzweifelt; da habe ihn ein Hebräer
in seiner Muttersprache wiederholt mit den Worten ermutigt: labor omnia vicit
improbus, „übermächtige Anstrengung hat noch alles überwunden“. Dies ist fast un-
verändertes Zitat von Vergil, Georgica 1,146f. Es ist hier nicht von Belang, ob besag-
ter Hebräer wirklich den sprichwörtlich gewordenen Vers des römischen Dichters ins
Hebräische übersetzte, oder ob er, was eher wahrscheinlich ist, ein sinngemäß gleich-
wertiges hebräisches Sprichwort verwendete.
Für die Fragestellung nach der Auffassung des Hieronymus vom Übersetzen dieses
sprachlich vielleicht schwierigsten Buches der Bibel zählt nur, dass er den Hebräer
eine ‘klassische’ lateinische Formulierung auf Hebräisch sagen lässt und sich aufgefor-
dert fühlte, die umgekehrte Richtung einzuschlagen und entsprechend gut ‘Chaldäisch’
zu lernen. Daher konnte er in Epistel 53,8,17 im Zuge einer literarischen Beurteilung
der vier großen Propheten ausgerechnet über Daniel sagen, dass dieser „Aussagen in
klarer Sprache mache“ (claro sermone pronuntiaf) - sicher eine provokante Feststel-
j4 Dass dies im Sinne des Autors ist, zeigt allein der Umstand, dass in Epist. 57,5 ebenso wie im
Pentateuchprolog Ciceros Übersetzungen von Platons Protagoras, Xenophons Oikonomikos
und einer Demosthenesrede (Pro Ctesiphonte) als Vergleichsstücke erwähnt werden.
Die Ansicht von Bartelink (o. Anm. 23),1, der 57. Brief sei „an erster Stelle ... ein
Gelegenheitsschreiben“, ist also revisionsbedürftig. Hieronymus wählte den indirekten Weg,
um für seine Übersetzungsprinzipien einzutreten. Es war, wie allein die Skepsis zeigt, mit der
man seiner Übersetzung begegnete, in den Jahren 395/396 unbedingt erforderlich, den Satz
„abgesehen von der Heiligen Schrift usw.“ als Kautel anzubringen. Dass Hieronymus auch im
Fall der Bibel nicht immer ad verbum übersetzte, legt Bartelink 45f. dar (besonders
hervorzuheben ist die Stelle In Eccl. 2,15f„ an der Hieronymus die Septuaginta wegen einer
den Sinn „verdeutlichenden“, vom ordo verborum des hebräischen Originals abweichenden
Übersetzung lobt: apertius in hoc loco sensum Hebraicum Septuaginta interpretes
transtulerunt, licet verborum ordinem non secuti sinf).
36 Die Formulierung erinnert stark an Epist. 53,7,2.
Hieronymus als Übersetzer
131
durch frühere Übersetzer, die mit ihm wie bei rhetorischen Redeübungen frei umgin-
gen, stark entstellt worden sei. Die Interpretation des 57. Briefs unter Zuhilfenahme der
Vorrede zur Pentateuchübersetzung’4 macht hinlänglich deutlich, dass Hieronymus
sich dort nicht bloß gegenüber den Kritikern seiner Übersetzung des Epiphanius-
Briefes rechtfertigt, sondern auch, und wohl in erster Linie, seine aktuelle Arbeit an der
Bibelübersetzung im Auge hat35.
Was nun das sprachliche Gewand der biblischen Texte anlangt, so konnte bei deren
Übertragung in eine Übersetzungssprache eine Art spiritus rhetoricus die im Original
vorhandene, vom spiritus sanctus herrührende ästhetische Qualität gewährleisten: Dies
ist die theoretische Grundlage von Hieronymus’ Bibelästhetik.
Wie er sich das praktische Wirken eines kompetenten Übersetzers, genauer gesagt
seiner selbst als Bibelübersetzer, vorstellt, illustriert schlaglichtartig eine im Prolog zur
Übersetzung des Propheten Daniel berichtete Episode: Er sei als noch junger Mann
nach dem Rhetorikunterricht, geschult an Quintilian und Cicero’6, an dem schwierigen,
„chaldäischen“, das heißt aramäischen, Text fast verzweifelt; da habe ihn ein Hebräer
in seiner Muttersprache wiederholt mit den Worten ermutigt: labor omnia vicit
improbus, „übermächtige Anstrengung hat noch alles überwunden“. Dies ist fast un-
verändertes Zitat von Vergil, Georgica 1,146f. Es ist hier nicht von Belang, ob besag-
ter Hebräer wirklich den sprichwörtlich gewordenen Vers des römischen Dichters ins
Hebräische übersetzte, oder ob er, was eher wahrscheinlich ist, ein sinngemäß gleich-
wertiges hebräisches Sprichwort verwendete.
Für die Fragestellung nach der Auffassung des Hieronymus vom Übersetzen dieses
sprachlich vielleicht schwierigsten Buches der Bibel zählt nur, dass er den Hebräer
eine ‘klassische’ lateinische Formulierung auf Hebräisch sagen lässt und sich aufgefor-
dert fühlte, die umgekehrte Richtung einzuschlagen und entsprechend gut ‘Chaldäisch’
zu lernen. Daher konnte er in Epistel 53,8,17 im Zuge einer literarischen Beurteilung
der vier großen Propheten ausgerechnet über Daniel sagen, dass dieser „Aussagen in
klarer Sprache mache“ (claro sermone pronuntiaf) - sicher eine provokante Feststel-
j4 Dass dies im Sinne des Autors ist, zeigt allein der Umstand, dass in Epist. 57,5 ebenso wie im
Pentateuchprolog Ciceros Übersetzungen von Platons Protagoras, Xenophons Oikonomikos
und einer Demosthenesrede (Pro Ctesiphonte) als Vergleichsstücke erwähnt werden.
Die Ansicht von Bartelink (o. Anm. 23),1, der 57. Brief sei „an erster Stelle ... ein
Gelegenheitsschreiben“, ist also revisionsbedürftig. Hieronymus wählte den indirekten Weg,
um für seine Übersetzungsprinzipien einzutreten. Es war, wie allein die Skepsis zeigt, mit der
man seiner Übersetzung begegnete, in den Jahren 395/396 unbedingt erforderlich, den Satz
„abgesehen von der Heiligen Schrift usw.“ als Kautel anzubringen. Dass Hieronymus auch im
Fall der Bibel nicht immer ad verbum übersetzte, legt Bartelink 45f. dar (besonders
hervorzuheben ist die Stelle In Eccl. 2,15f„ an der Hieronymus die Septuaginta wegen einer
den Sinn „verdeutlichenden“, vom ordo verborum des hebräischen Originals abweichenden
Übersetzung lobt: apertius in hoc loco sensum Hebraicum Septuaginta interpretes
transtulerunt, licet verborum ordinem non secuti sinf).
36 Die Formulierung erinnert stark an Epist. 53,7,2.