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Götz, Rolf
Die Sibylle von der Teck: die Sage und ihre Wurzeln im Sibyllenmythos — Kirchheim unter Teck, 1999

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https://doi.org/10.11588/diglit.16141#0031
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entfernter Stelle (Gutenberg oder Schopfloch) wie-
der herausgekommen seien. Diese Vorstellung ver-
knüpft sich mit vielen Höhlen. Seit alter Zeit war
man der Auffassung, daß Enten den Nachweis von
unterirdischen Verbindungen erbringen konnten.
Schon der österreichische Hofhistoriograph Ladis-
laus Suntheim (t 1513), der 1502 Schwaben bereist
hatte, erwähnt dies in Verbindung mit der
Irpfelhöhle bei Giengen an der Brenz34: Am
Irpffelberg bey Giengen sind vil Wohnungen innen, da
sind Pergmendel in gewesen; da hat man ain Gans inge-
lassen, die ist bey dem Markt Nannten, ain Meyl vonn
Giengen gelegen, hinter dem Althar auskhommen. Und
von der Nebelhöhle, die 1486 erstmals urkundlich
genannt wird und damit als die älteste schriftlich
genannte Höhle der Mittleren Alb gelten kann,
wußte Schwab 1823 zu erzählen, daß von ihr die
Sage unter dem Volke geht, daß zwei hineingesteckte
Enten in einer Entfernung von 2 Stunden bei dem Dorfe
Erpfingen aus einem Loche wieder lebendig hervor-
gekommen seyen35.

Ganz aus dem Rahmen der von den Schülern er-
zählten Sagen fällt die bereits im Kapitel über die
Schatzgräber erwähnte Geschichte vom Schäfer und
den sich zu Kröten verwandelnden Goldstücken.
Hier dürften aus der zeitgenössischen Literatur
bekannte Motive verwertet worden sein, die der
Schüler zudem farbig auszugestalten versuchte. Da
Schotts Sammlung nie gedruckt wurde und somit
bis in jüngste Zeit unbekannt blieb, ist diese Ge-
schichte nur durch seine Sammlung bekannt. Eine
solche Einzelüberlieferung ist auch bei anderen
Sagen zu beobachten. Wertet man die Sammlung
von Schott insgesamt aus, so fällt auf, wie viele
Unterschiede zu anderen Sammlungen bestehen.

Klaus Graf folgert daraus: Die romantische Vorstel-
lung, die im 19. oder 20. Jahrhundert aufgezeichneten
Sagen seien die Reste eines umfassenderen uralten Be-
standes, muß offensichtlich revidiert werden. Vielmehr
hat man mit einem ständigen Wandel und Austausch des
mündlichen Erzählguts vor Ort zu rechnen: Sagen bil-
deten sich häufig neu und konnten bald wieder durch
andere ersetzt werden. Und: Nicht alle Erzähler verfüg-
ten über den gleichen Fundus. Was der eine Sammler
aufschnappte, konnte dem anderen trotz eifrigen Um-
hörens verborgen bleiben36.

Eine touristische Sehenswürdigkeit

Welche Bedeutung das Sibyllenloch und die
Sibyllenspur als touristische Sehenswürdigkeit der
Kirchheimer Gegend bereits in den ersten Jahrzehn-
ten nach dem Erscheinen von Schwabs Wander-
führer hatte, läßt sich an folgenden Beispielen auf-
zeigen.

1829/30 lebte Eduard Mörike (1804 - 1875) als Vi-
kar in Owen und unternahm allein oder mit Freun-
den viele Wanderungen in die Umgebung. Mitte
April 1830 schrieb er in der Sibyllenhöhle einen
Brief an seine Braut Luise Rau, und wenige Tage
später, am 23. April 1830, erwähnte er in einem
weiteren Brief an sie einen Ausflug mit der Owener
Pfarrersfamilie auf die Teck, bei dem der Owener
Amtmann Louis Brotbeck, ein Sohn des Stadt-
pfarrers, der kleinen Gesellschaft viel Spaß bereite-
te37:

so kroch er mit komischem Gesang bis ins Hinterste der
Sibyllenhöhle und wiederholte diese Verwegenheit an
einem andern merkwürdigen Schlupfwinkel der Art, den

34 Das Suntheim-Zitat aus: Hans Binder: Die volkstümliche Überlieferung um Höhlen und Quellen. Namen - Sagen - Bräuche, in: Karst
und Höhle 1993, S. 36. Zu Suntheim vgl. J. Hartmann: Die älteste württembergische Landesbeschreibung, in: WVJH 7 (1881), S. 125 ff,
sowie Winfried Stelzer: Ladislaus Sunthaym, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, Bd. 9, 2. Auflage 1995,
Sp. 537-542.

35 Schwab (wie Anm. 31), S. 63.

3bGraf, Sagen rund um Stuttgart (wie Anm. 1), S. 11.

37 E. Mörike: Briefe an seine Braut Luise Rau, hg. v. F. Kemp, München 1965, S. 71 und S. 76 f.

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