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Götz, Rolf
Die Sibylle von der Teck: die Sage und ihre Wurzeln im Sibyllenmythos — Kirchheim unter Teck, 1999

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https://doi.org/10.11588/diglit.16141#0010
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VORWORT

Wer von den vielen Besuchern der Teck die Sage von
der Sibylle von der Teck noch nicht kennen sollte,
der kann sich heutzutage eines „Erzählautomaten"
bedienen, der auf der südwestlichen Aussichtster-
rasse der Burg steht. Nach dem Einwurf von
„lxl" DM beginnt eine sonore Stimme in gepfleg-
tem Hochdeutsch diese „Lokale Mythologie" - so
ein Schild am Automaten - zu erzählen. An den
mangelnden Kenntnissen der schwäbischen Mund-
art darf man sich allerdings bei dieser für die Besu-
cher aus aller Welt stilisierten Sagenversion nicht
stören, wenn etwa der Ortsname „Owen" nicht
„Auen" ausgesprochen wird, wie es der Mundart
entsprechen würde:

In einem prunkvollen unterirdischen Schloß, dessen
Zugang unmittelbar unter dem Teckfelsen noch heute zu
sehen ist, lebte in alter Zeit Sibylle, eine weise, gütige
Trau. Wo immer Not auftrat, half sie bedürftigen Men-
schen mit Rat und Tat, denn sie konnte die Zukunft vor-
aussagen und verfügte über unermeßliche Reichtümer an
Gold und Edelsteinen. Ihre 'Weissagungen wurden von
Geschlecht zu Geschlecht weitergegeben. Unter anderem
soll sie prophezeit haben, daß am Rhein bei Köln ein Krieg
ausbrechen werde, bei dem die Türken des Osmanischen
Reiches den Deutschen unterliegen. Als Tolge sollen die
Männer im Lande so knapp werden, daß sieben Weiber
sich um einen Krüppel schlagen, den sie alle gerne zum
Ehemann haben möchten.

Wie lange Sibylle unter der Teck wohnte, weiß heute nie-
mand mehr zu sagen, vielleicht träfe man sie heute noch
dort an, hätte sie nicht so viel Kummer mit ihren drei
ungeratenen Söhnen gehabt. Diese nämlich trieben von
ihren benachbarten Burgen, von der Diepoldsburg, dem
Wielandstein und dem Rauber, als Raubritter ihr Unzue-
sen, quälten die Bauern und plünderten die Kaufmanns-
züge aus. Aus Gram darüber verließ Sibylle eines Abends
das Land für immer. Auf einem feurigen, von Katzen
gezogenen Wagen fuhr sie durch die Lüfte zu Tal, und
noch lange sah man ihr loses Haar im Schein der Sonne

Eine moderne Gestaltung der „Sibyllenfahrt".
Wandbild von 1964 an einem Haus in Hattenhofen
(Hauptstraße 93).

Foto: Karin Götz, Weilheim

glänzen. Wo ihr Wagen aber mit den Rädern den Boden
berührte, so zwischen Dettingen und Owen und in
Beuren, da sprießen bis auf den heutigen Tag auf der
sogenannten „Sibyllenfährte" Gras, Korn und Laub rei-
cher und üppiger als anderswo.

Im Sibyllenloch auf der Teck soll aber eine große Truhe
mit einem Schatz zurückgeblieben sein, bewacht von ei-

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