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Götz, Rolf
Die Sibylle von der Teck: die Sage und ihre Wurzeln im Sibyllenmythos — Kirchheim unter Teck, 1999

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https://doi.org/10.11588/diglit.16141#0078
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3. TEIL: DIE HERKUNFT DER SAGE

EIN NEUER ERKLÄRUNGSANSATZ

Die ältere „Sage"

In eindrucksvoller Weise bestätigen sich am Bei-
spiel der Sibyllensage die Erkenntnisse der moder-
nen Sagenforschung. Von einer älteren „Sage" sollte
eine jüngere, angebliche „Volkssage" unterschieden
werden - eine eigentlich erst von den Brüdern
Grimm geschaffene Gattung, die als eine literarische
Erscheinung des 19. und 20. Jahrhunderts120anzusehen
ist.

Wie sich gezeigt hat, bestand die Sibyllensage von
den beiden ersten Belegen des Namens
„Sibyllenloch" im 16. Jahrhundert an bis zum Be-
ginn des 19. Jahrhunderts aus zwei unverbundenen
Motiven:

- Der seit 1531 schriftlich belegte Name wurde seit
der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts in gelehrten Krei-
sen so gedeutet, daß hier einst eine der alten
Sibyllen gewohnt habe.

- Zum zweiten vermutete man in der Höhle - wie
auch bei anderen Höhlen in dieser Zeit belegt121- ei-
nen Schatz. Dieses Motiv war der zunächst frucht-
barere Teile der Sage. Immer wieder wurden
Schatzgräber angelockt, wobei die Geschichten, die
man sich über den Schatz erzählte, immer abenteu-
erlicher wurden. Als Wächter des Schatzes fungier-
ten Tiere, wie etwa der von Rebstock erstmals 1699
genannte „schwarze Hund". Den Schatz selbst ver-
mutete man in einer Truhe in einem Gewölbe, das

von einer eisernen Türe verschlossen sei und zu
dem Gänge führen würden, die man nur freizule-
gen habe.

Die jüngere „Volkssage"

Erst mit Gustav Schwabs „Albführer" vom Jahre
1823 beginnt der Prozeß der Sagenbildung, der zu
der uns heute geläufigen, angeblichen „Volkssage"
führt. Er lieferte die Bestandteile, die sich schon bald
- bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts - zu einer ge-
schlossenen Geschichte entwickelten. Da ist zum
einen die vielleicht schon vor Schwab entstandene
Geschichte von der „Sibyllenfahrt" und die Beob-
achtung der merkwürdigen Spur im Lautertal, zum
anderen steuerte Schwab die Geschichte von den
drei zerstrittenen Brüdern auf Wielandstein bei, die
dann in Owen vor der Jahrhundertmitte mit der
„Sibyllenfahrt" verknüpft wurde und den Wegzug
der Sibylle erklären konnte.

Während Schwab allerdings noch das Bild einer
dämonischen Sibylle gezeichnet hatte, wurde sie in
den folgenden Jahrzehnten in der Vorstellung der
Bevölkerung zu einer gütigen Frau, ja geradezu zu
einer Wohltäterin des Tales. Noch schwankte zu-
nächst die Erzählung in der Beschreibung der Zug-
tiere des Wagens der Sibylle. Während sich Schwab
bei seinem „feurigen Zauberwagen" auf die Zugtie-

120 Wolfgang Seidenspinner: Sage und Geschichte. Zur Problematik Grimmscher Konzeptionen und was wir daraus lernen können, in:
Fabula. Zeitschrift für Erzählforschung 33 (1992), S. 19 f. Vgl. Klaus Graf: Thesen zur Verabschiedung des Begriffs der 'historischen Sage',
in: Fabula 29 (1988), S. 21-47; ders.: Einleitung zu „Sagen rund um Stuttgart" (1995), S. 7-18; Rudolf Schenda: Mären von Deutschen Sagen.
Bemerkungen zur Produktion von „Volkserzählungen" zwischen 1850 und 1870, in: Geschichte und Gesellschaft. Zeitschrift für Histori-
sche Sozialwissenschaft 9,1 (1983), S. 26-48.

121 Zu „Schatzhöhlen" vgl. Hans Binder: Die volkstümliche Überlieferung um Höhlen und Quellen, in: Karst und Höhle 1993, S. 25-44,
bes. S. 33 f. Von einem Pudel als Wächter des sagenhaften Schatzes ist auch in den Sagen von der „Heidenschmiede" beim Schloß Hellen-
stein die Rede (ebd. S. 33 f); zahlreich sind die Sagen über unterirdische Verbindungen (ebd. S. 34 ff), und auch von Gänsen wird oft er-
zählt, wenn es um den Nachweis der unterirdischen Verbindungen ging (ebd. S. 36).

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