Schimmelreiter, der seinen Kopf unter dem Arme trägt,
ist auf der Teck schon gesehen worden.
5. Die Höhle der Sibylle muß sich zwei Stunden weit bis
Gutenberg hingezogen haben; denn eine Ente, die man
einmal hineinsetzte, kam bei Gutenberg wieder zum
Vorschein. Außerdem soll ein künstlicher unterirdischer
Gang von der Teck bis in die Stadtpfarrei von Owen füh-
ren.
(Mündlich aus Owen (Auen).)
6. Als Sibylle mit ihrem Luftwagen das Land verlassen
wollte, soll sie bei Beuren, unweit Owen, auf einem Plat-
ze, der noch heute „Sibyllenkappel" heißt, sich niederge-
lassen haben. Die Wiesen, welche um diesen Platz her-
um liegen, sind von jeher gänzlich steuerfrei gewesen,
was man eben der Sibylle zu danken hat. - Man sagt aber,
Sibylle habe Gott gleich werden wollen und habe deshalb
fortziehen müssen und sei auf eine unbekannte Art ums
Leben gekommen.
(Mündlich aus Beuren.)
Aus der von Meier Mitte des 19. Jahrhunderts auf-
gezeichneten Fassung der Sibyllensage läßt sich
ablesen, wie Schwabs 1823 erschienener Albführer
inzwischen „sagenbildend" gewirkt hatte. Fast alle
Bestandteile der später so vertrauten Geschichte
sind jetzt zusammen. Bei den unter Nr. 4 registrier-
ten Geschichten vom Hexentanzplatz und vom
Schimmelreiter handelt es sich allerdings um
Wandersagen, die auch an anderen Orten vorkom-
men und für die Sibyllensage ohne Belang sind. Neu
sind aber die Geschichten von den drei Söhnen der
Sibylle, die angeblichen Weissagungen der Sibylle
und ihr Aufenthalt bei der "Sibyllenkappel" bei
Beuren.
Die sagenhafte Erklärung der Sibyllenfahrt
Vor allem war jetzt eine Begründung für die
Sibyllenfahrt gefunden worden, indem man die bei
Schwab vorgefundene Sage von den verfeindeten
Brüdern auf Wielandstein mit der Sibyllensage ver-
band und die Sibylle aus Gram über ihre mißrate-
nen Söhne das Land um die Teck verlassen ließ. Dies
muß in Owen geschehen sein. In Oberlenningen
siedelte man nämlich zu Meiers Zeit noch alle drei
Brüder auf dem Wielandstein an, von einer Verbin-
dung zur Sibylle von der Teck wußte man dort
nichts47. In Owen dagegen erfuhr Meier von einem
älteren Mann, der's von seinem Vater wußte, daß die
Nebenschlösser auf dem Wielandstein bloß Burgställe
des Hauptschlosses gewesen seien, die beiden ande-
ren Brüder hätten sich vielmehr auf dem Rauber
oder Diepoldstein und auf der Teck ihre Burgen ge-
baut, und die Sibylle sei die Mutter der drei Brüder
gewesen48. Die Burgennamen „Rauber" bzw.
„Diepoldstein" charakterisierten jetzt den einen
Bruder als Raubritter, der nicht nur seine Brüder,
sondern auch seine eigene Mutter bestahl. Aus
„Gram" über die Feindschaft ihrer Kinder, so er-
zählte man nunmehr in Owen, habe die Sibylle
schließlich das Land verlassen. Die Beziehungen zu
den 3 Wielandsteinern ist wohl auch neu, stellte übri-
gens schon 1890 der damalige Tübinger Gymnasi-
alprofessor Eugen Nägele (1856 - 1938) in seinen
„Albwanderungen" fest44.
Das Bild der Sibylle hatte sich grundlegend gewan-
delt. Sie war nicht mehr eine Hexe, sondern vielleicht
die beste und frömmste Frau, die je auf Erden gelebt hat.
Als Mutter des ersten Burgherren auf Teck stilisier-
te man sie sogar zu einer Vorfahrin des württember-
gischen Königshauses - zur Titulatur der württem-
47 Ebd., S. 144 f.
48 Ebd.
49 Eugen Nägele: Albwanderungen. Erweiterte Ausgabe des
3. Heftes von: Tübingen und seine Umgebung, Tübingen 1890,
S. 210.
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ist auf der Teck schon gesehen worden.
5. Die Höhle der Sibylle muß sich zwei Stunden weit bis
Gutenberg hingezogen haben; denn eine Ente, die man
einmal hineinsetzte, kam bei Gutenberg wieder zum
Vorschein. Außerdem soll ein künstlicher unterirdischer
Gang von der Teck bis in die Stadtpfarrei von Owen füh-
ren.
(Mündlich aus Owen (Auen).)
6. Als Sibylle mit ihrem Luftwagen das Land verlassen
wollte, soll sie bei Beuren, unweit Owen, auf einem Plat-
ze, der noch heute „Sibyllenkappel" heißt, sich niederge-
lassen haben. Die Wiesen, welche um diesen Platz her-
um liegen, sind von jeher gänzlich steuerfrei gewesen,
was man eben der Sibylle zu danken hat. - Man sagt aber,
Sibylle habe Gott gleich werden wollen und habe deshalb
fortziehen müssen und sei auf eine unbekannte Art ums
Leben gekommen.
(Mündlich aus Beuren.)
Aus der von Meier Mitte des 19. Jahrhunderts auf-
gezeichneten Fassung der Sibyllensage läßt sich
ablesen, wie Schwabs 1823 erschienener Albführer
inzwischen „sagenbildend" gewirkt hatte. Fast alle
Bestandteile der später so vertrauten Geschichte
sind jetzt zusammen. Bei den unter Nr. 4 registrier-
ten Geschichten vom Hexentanzplatz und vom
Schimmelreiter handelt es sich allerdings um
Wandersagen, die auch an anderen Orten vorkom-
men und für die Sibyllensage ohne Belang sind. Neu
sind aber die Geschichten von den drei Söhnen der
Sibylle, die angeblichen Weissagungen der Sibylle
und ihr Aufenthalt bei der "Sibyllenkappel" bei
Beuren.
Die sagenhafte Erklärung der Sibyllenfahrt
Vor allem war jetzt eine Begründung für die
Sibyllenfahrt gefunden worden, indem man die bei
Schwab vorgefundene Sage von den verfeindeten
Brüdern auf Wielandstein mit der Sibyllensage ver-
band und die Sibylle aus Gram über ihre mißrate-
nen Söhne das Land um die Teck verlassen ließ. Dies
muß in Owen geschehen sein. In Oberlenningen
siedelte man nämlich zu Meiers Zeit noch alle drei
Brüder auf dem Wielandstein an, von einer Verbin-
dung zur Sibylle von der Teck wußte man dort
nichts47. In Owen dagegen erfuhr Meier von einem
älteren Mann, der's von seinem Vater wußte, daß die
Nebenschlösser auf dem Wielandstein bloß Burgställe
des Hauptschlosses gewesen seien, die beiden ande-
ren Brüder hätten sich vielmehr auf dem Rauber
oder Diepoldstein und auf der Teck ihre Burgen ge-
baut, und die Sibylle sei die Mutter der drei Brüder
gewesen48. Die Burgennamen „Rauber" bzw.
„Diepoldstein" charakterisierten jetzt den einen
Bruder als Raubritter, der nicht nur seine Brüder,
sondern auch seine eigene Mutter bestahl. Aus
„Gram" über die Feindschaft ihrer Kinder, so er-
zählte man nunmehr in Owen, habe die Sibylle
schließlich das Land verlassen. Die Beziehungen zu
den 3 Wielandsteinern ist wohl auch neu, stellte übri-
gens schon 1890 der damalige Tübinger Gymnasi-
alprofessor Eugen Nägele (1856 - 1938) in seinen
„Albwanderungen" fest44.
Das Bild der Sibylle hatte sich grundlegend gewan-
delt. Sie war nicht mehr eine Hexe, sondern vielleicht
die beste und frömmste Frau, die je auf Erden gelebt hat.
Als Mutter des ersten Burgherren auf Teck stilisier-
te man sie sogar zu einer Vorfahrin des württember-
gischen Königshauses - zur Titulatur der württem-
47 Ebd., S. 144 f.
48 Ebd.
49 Eugen Nägele: Albwanderungen. Erweiterte Ausgabe des
3. Heftes von: Tübingen und seine Umgebung, Tübingen 1890,
S. 210.
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