Hexe, zum teuflischen Wesen, sondern durch das Medi-
um der heiligen alttestamentlichen Königin hindurch zur
mächtigen, weisen, segenspendenden Zauberin Sibylle
wird, deren Namen sich sogar an eine Kapelle knüpfen
darf, ohne weiteres in den christlichen Namenkalender
aufgenommen wird und zeitweise zu den gebräuchlich-
sten Taufnamen gehört. Somit handele es sich bei der
Sibyllensage um in mittelalterlichem und dann zaube-
rischem Gewand zu uns herübergerettete letzte Reste der
untergegangenen Götterwelt unserer Vorfahren!
Walter Kochs Büchlein
„Der Sagenkranz um die Sibylle von der Teck"
Der Göppinger Studienrat Dr. Walter A. Koch (1895
- 1970), der sich auch intensiv mit Astrologie be-
schäftigte, versuchte 1951 noch einmal - wie vor ihm
schon Gußmann und Iiiig - die unzusammen-
hängenen Sagentrümmer um die Sibylle von der Teck
vor allem mit Hilfe der germanischen Götterlehre zu
erklären". Seiner Ansicht nach entwickelte sich der
Mythos in verschiedenen Stufen seit der Keltenzeit.
Aus dem Kult einer keltischen Göttin sei in aleman-
nischer Zeit die Verehrung der Freyja geworden, die
Frauengöttin der Alemannen und die einzige weibliche
Gottheit, die von ihnen neben ihren drei Hauptgöttern
Wotan, Donar und Ziu verehrt wurde. Koch nahm an,
daß in der Höhle einst eine weissagende Priesterin
gewohnt habe. Christliche Priester hätten dieser
„weisen Frau" später den Namen Sibylle gegeben
und sie damit davor bewahrt, als Hexe verfemt oder
als Dämonin verflucht zu werden - so geht aus dem
Namen der Sibylle von der Teck hervor, daß es dort ein-
mal eine Prophetin gegeben hat, die auf der Bergeshöhe
dem Heiligtum einer alten Göttin vorstand. Von den
alten Orakeln dieser Prophetin habe sich nur ein
einziges erhalten, nämlich die Prophezeiung, daß
die Welt nicht eher untergehen werde, bevor nicht
alle zwölf Sibyllen der Vorzeit wiedergekehrt seien.
Koch (wie Anm. 97), Ausgabe von 1981, S. 14 f.
Im 16. Jahrhundert sei eine weitere angeblich von
ihr stammende Prophezeiung weithin verbreitet
worden, nämlich die Weissagung von einer Türken-
schlacht bei Köln. Eine spätmittelalterliche Sage habe
aus der Sibylle eine Rittersfrau gemacht, die Mutter
der drei auf Burgen wohnenden Söhne. Das Fortle-
ben alt germanischer Überlieferung habe schließlich
einen frommen Erzähler des 17. Jahrhunderts, wahr-
scheinlich einen Protestanten, veranlaßt, dem alten
Aberglauben durch das Ausspinnen eines erbaulichen
Abschlusses entgegenzutreten und von ihrem Tod in-
folge ihrer Auflehnung gegen Gott zu berichten.
Auch für die „Sibyllenfahrt" glaubte Koch eine
überzeugende Erklärung gefunden zu haben. Wie
Iiiig bzw. Laistner brachte er die „Sibyllenfahrt" mit
dem freundlichen Erdgeist Bilwis in Zusammenhang,
der der Erdgöttin Freia unterstanden sei und nach
dem Glauben der Alemannen Feldern Gedeihen brachte
und dafür einen kleinen Anteil der Ernte erhielt. In
christlicher Zeit habe er als Dämon gegolten, der die
Kornfelder verwüstete und deshalb mit allerlei
Erntebrauchtum besänftigt werden mußte. Keinem
Zweifel unterliege es, daß die Sibyllenfahrt ein Nach-
klang der altgermanischen 'Feldumzüge mit dem Bilde der
Erdgöttin ist, die wie die heutigen Bittprozessionen der
Frühlingszeit den Fluren den Segen der Gottheit sichern
sollten.
Es waren krause und scheinbar wirre Dinge, die hier
berichtet wurden. Doch erhob wißbegierige und der Zu-
kunftsforschung aufgeschlossene Jugend mit Recht die
Frage, wie denn so Seltsames und scheinbar Unzusam-
menhängendes über die Sibylle von der Teck berichtet
werden konnte. Das Rätsel löst sich, wenn wir erkennen,
daß hier die vielen Ausstrahlungen kenntlich sind, die
sich an die einzige weibliche Göttin der Alemannen an-
schlössen. Die wohltätige Erdgöttin, der gute Korngeist,
die „Weiße Trau", die Schätze hütet und verschenkt, die
„Weise Frau", die Kinder bringt und ihnen die Zukunft
63
um der heiligen alttestamentlichen Königin hindurch zur
mächtigen, weisen, segenspendenden Zauberin Sibylle
wird, deren Namen sich sogar an eine Kapelle knüpfen
darf, ohne weiteres in den christlichen Namenkalender
aufgenommen wird und zeitweise zu den gebräuchlich-
sten Taufnamen gehört. Somit handele es sich bei der
Sibyllensage um in mittelalterlichem und dann zaube-
rischem Gewand zu uns herübergerettete letzte Reste der
untergegangenen Götterwelt unserer Vorfahren!
Walter Kochs Büchlein
„Der Sagenkranz um die Sibylle von der Teck"
Der Göppinger Studienrat Dr. Walter A. Koch (1895
- 1970), der sich auch intensiv mit Astrologie be-
schäftigte, versuchte 1951 noch einmal - wie vor ihm
schon Gußmann und Iiiig - die unzusammen-
hängenen Sagentrümmer um die Sibylle von der Teck
vor allem mit Hilfe der germanischen Götterlehre zu
erklären". Seiner Ansicht nach entwickelte sich der
Mythos in verschiedenen Stufen seit der Keltenzeit.
Aus dem Kult einer keltischen Göttin sei in aleman-
nischer Zeit die Verehrung der Freyja geworden, die
Frauengöttin der Alemannen und die einzige weibliche
Gottheit, die von ihnen neben ihren drei Hauptgöttern
Wotan, Donar und Ziu verehrt wurde. Koch nahm an,
daß in der Höhle einst eine weissagende Priesterin
gewohnt habe. Christliche Priester hätten dieser
„weisen Frau" später den Namen Sibylle gegeben
und sie damit davor bewahrt, als Hexe verfemt oder
als Dämonin verflucht zu werden - so geht aus dem
Namen der Sibylle von der Teck hervor, daß es dort ein-
mal eine Prophetin gegeben hat, die auf der Bergeshöhe
dem Heiligtum einer alten Göttin vorstand. Von den
alten Orakeln dieser Prophetin habe sich nur ein
einziges erhalten, nämlich die Prophezeiung, daß
die Welt nicht eher untergehen werde, bevor nicht
alle zwölf Sibyllen der Vorzeit wiedergekehrt seien.
Koch (wie Anm. 97), Ausgabe von 1981, S. 14 f.
Im 16. Jahrhundert sei eine weitere angeblich von
ihr stammende Prophezeiung weithin verbreitet
worden, nämlich die Weissagung von einer Türken-
schlacht bei Köln. Eine spätmittelalterliche Sage habe
aus der Sibylle eine Rittersfrau gemacht, die Mutter
der drei auf Burgen wohnenden Söhne. Das Fortle-
ben alt germanischer Überlieferung habe schließlich
einen frommen Erzähler des 17. Jahrhunderts, wahr-
scheinlich einen Protestanten, veranlaßt, dem alten
Aberglauben durch das Ausspinnen eines erbaulichen
Abschlusses entgegenzutreten und von ihrem Tod in-
folge ihrer Auflehnung gegen Gott zu berichten.
Auch für die „Sibyllenfahrt" glaubte Koch eine
überzeugende Erklärung gefunden zu haben. Wie
Iiiig bzw. Laistner brachte er die „Sibyllenfahrt" mit
dem freundlichen Erdgeist Bilwis in Zusammenhang,
der der Erdgöttin Freia unterstanden sei und nach
dem Glauben der Alemannen Feldern Gedeihen brachte
und dafür einen kleinen Anteil der Ernte erhielt. In
christlicher Zeit habe er als Dämon gegolten, der die
Kornfelder verwüstete und deshalb mit allerlei
Erntebrauchtum besänftigt werden mußte. Keinem
Zweifel unterliege es, daß die Sibyllenfahrt ein Nach-
klang der altgermanischen 'Feldumzüge mit dem Bilde der
Erdgöttin ist, die wie die heutigen Bittprozessionen der
Frühlingszeit den Fluren den Segen der Gottheit sichern
sollten.
Es waren krause und scheinbar wirre Dinge, die hier
berichtet wurden. Doch erhob wißbegierige und der Zu-
kunftsforschung aufgeschlossene Jugend mit Recht die
Frage, wie denn so Seltsames und scheinbar Unzusam-
menhängendes über die Sibylle von der Teck berichtet
werden konnte. Das Rätsel löst sich, wenn wir erkennen,
daß hier die vielen Ausstrahlungen kenntlich sind, die
sich an die einzige weibliche Göttin der Alemannen an-
schlössen. Die wohltätige Erdgöttin, der gute Korngeist,
die „Weiße Trau", die Schätze hütet und verschenkt, die
„Weise Frau", die Kinder bringt und ihnen die Zukunft
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