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Goldschmidt, Adolph; Weitzmann, Kurt; Goldschmidt, Adolph [Editor]; Weitzmann, Kurt [Editor]
Die byzantinischen Elfenbeinskulpturen des X. - XIII. Jahrhunderts (Band 2): Reliefs — Berlin: Bruno Cassirer, 1934

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https://doi.org/10.11588/diglit.53147#0026
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20

GOLDSCHMIDT

beliebte Zickzackornament des Randes tritt schon an einem Aus-
läufer der Nikeplioros-Gruppe (Nr. i io) als Rahmenschmuck auf,
und ganz im allgemeinen nähert sich auch der Stil beider Gruppen
im 11. Jahrhundert in manchen Reliefs erheblich, z. B. in dem
Jüngsten Gericht (Nr. 123).
So knüpft sich die Bezeichnung „Nikephoros-Gruppe“ keineswegs
nur an die Zeit des Kaisers dieses Namens, sondern sie repräsentiert
eine Stilform, die mehrere Phasen durchläuft und als verhältnis-
mäßig konservative Grundlage den Unterbau für mehr als ein
Jahrhundert bildet.

Rahmengruppe

(Tafel LXV-LXX1)
BEI der Behandlung der Rahmengruppe drängt sich als erste
Frage auf, ob diese Reliefs rein byzantinisches Erzeugnis, das
heißt in Byzanz entstanden sind, oder ob ihr Ursprung italisch ist.
Das letztere ist wiederholt ausgesprochen worden*, es ist ihnen die
Bezeichnung „italo-byzantinisch“ beigelegt und die Entstehung
nach Unteritalien, nach Ravenna und schließlich von Andrew
S. Keck, jedenfalls mit den scheinbar gültigsten Belegen, nach
Venedig versetzt, indem er Modiglianis Annahme von Ravenna,
die auf Unkenntnis der Provenienz der ravennatischen Stücke aus

Murano beruhte, verwarf.
Prüft man die Gründe, die von Keck zugunsten Venedigs ausge-
sprochen sind, so kann man folgende Einwendungen machen: Der
Umstand, daß eine Anzahl von Stücken ihre Provenienz bis in das
i3. Jahrhundert auf Venedig oder Murano zurückführen kann,
beweist nichts, denn Venedig war nicht nur eine der nächstliegen-
den Exportstädte für Byzanz, sondern gehörte zeitweilig zum byzan-
tinischen Reich. Daß sich in Venedig zwei Steinreliefs mit der
Geburt Christi nachweisen lassen, die ähnlich schwingende Ter-
rainlinien zeigen, sagt nichts, denn dafür waren byzantinische
Malereien vorbildlich, die auch in Byzanz dieselbe Wirkung schon
auf ältere Reliefs der malerischen Gruppe ausgeübt hatten. Auch
hat das Figürliche der Reliefs in Venedig gar keine Verwandtschaft
mit dem auf den Elfenbeinreliefs, weder ikonographisch noch stili-
stisch, und der Umstand, daß der Ochse bei der Krippe auf dem
Exemplar in San Giovanni Elemosinario ein Buckelrind ist, ver-
weist die Entstehung vielmehr nach dem Orient und damit auf
Import. Der Hinweis auf die Übereinstimmung der Blattornamentik
auf den Stücken im Vatikan und in Pesaro (Nr. 210 u. 211) mit
der auf dem Oliphant im Prager Metropoliton-Schatz muß auf die
Kästen in Köln, Krakau und Mainz (Bd. I Nr. 115, 116, 118, 119)
und die Platten im Vatikan (Nr. 221) erweitert werden, bei denen
ebensowenig etwas auf Venedig hinweist wie auf dem Oliphant,
dessen Hippodrom-Rennen für Venedig viel weniger als für Byzanz
Sinn hat, und Ähnlichkeiten auf einen byzantinischen Hostien-
behälter im Schatz von San Marco mit dem Oliphant, auf die Keck
hinweist, können umgekehrt auch gerade das Horn nach Byzanz
verlegen.
Schwerwiegender zugunsten Venedigs ist die venezianische Vor-
liebe für Elfenbeinschnitzerei, die sich in der folgenden Zeit, aller-
dings erheblich später, in der Tätigkeit der Embriachi offenbart,
und die große Übereinstimmung des Elfenbeins des jüngsten Ge-
richts (Nr. 123) mit dem Mosaik in Torcello. Doch auch hier läßt
sich als Gegengewicht anführen, daß einerseits das Mosaik nicht
ohne die Tätigkeit byzantinischer Mosaizisten denkbar und ande-
rerseits das Elfenbeinrelief eher der byzantinischen Nikeplioros-
Gruppe einzugliedern ist, in der es nur einen Übergang zur Rah-
mengruppe vertritt.
* Ettore Modigliani, Dittico d’avorio nella Biblioteca Barberini, in L’Arte II 1899,
S. 287 und Andere. — Andrew S. Keck, A Group of Italo-Byzantine Ivories, The
Art Bulletin Vol. XII, 1980, Nr. 2.

Das Wenige, was von Inschriften auf den Platten vorhanden ist,
ist durchweg griechisch (Nr. 201, 2o5, 206), auch die Heiligen-
namen auf dem Metallrahmen, der zur Elfenbeinplatte Nr. 197
gehört und seinem Blattwerk nach rein byzantinisch zu sein scheint.
Auf Nr. 199 sind noch nachträglich einige Ornamentteile des Rah-
mens in die griechische Bezeichnung umgeschnitzt, und auf der
Rückseite von Nr. 212 ist ein griechisches a eingeritzt, das vielleicht
mit der alten Zusammensetzung zu tun hat, alles Anzeichen, die
auf venezianischem Gebiet zwar nicht unmöglich, aber doch un-
wahrscheinlich sind, wenn man bedenkt, daß die ebenso stark
byzantinisierenden Steinreliefs an San Marco lateinische Inschriften
haben. Die Bischöfe, die auf dem Relief Nr. 202 vorkommen,
haben keine Tonsur, ein Zeichen griechischer Kirche. Die Magier
tragen als Geschenke für das Christkind Salbbüchsen, wie die hei-
ligen Ärzte Kosmas, Damianos und Panteleimon auf den byzan-
tinischen Reliefs des 10. Jahrhunderts.
Am wichtigsten aber ist die stilistische Vergleichung. Die Arbeiten
dieser als venezianisch hingestellten Werkstätten stehen den in
Byzanz entstandenen nicht im Verhältnis von Kopie und Vorbild
gegenüber, sondern sie sind eine Fortentwicklung, die mit den
älteren byzantinischen auf gleicher Grundlage steht. Sie wären für
Venedig nur dann in Anspruch zu nehmen, wenn man nicht nur
eine umfangreiche Verpflanzung byzantinischer Arbeiter und Ge-
wohnheiten dorthin voraussetzt, sondern auch vorbildliche Elfen-
beinarbeiten der älteren Schule.
Die Rahmengruppe wächst aus der Nikeplioros-Gruppe heraus, in-
dem eine Reaktion zur malerischen Gruppe des 10. Jahrhunderts
eintritt. Fast unmerkliche Unterschiede trennen manche späte Er-
zeugnisse der Nikeplioros-Gruppe von denen der Rahmengruppe.
Die letztere übernimmt von der ersteren technische Besonderheiten,
wie die gelappten blattartigen Federn der Engelsflügel und die
Haarbehandlung, zugleich greift sie zurück auf Gewohnheiten der
malerischen Gruppe. Die Technik des Reliefs ist dieselbe mit der
starken Unterschneidung und einem unbearbeiteten Zurückschnei-
den von der dachen Oberfläche zum Hintergrund, und selbst die
Behandlung der Faltenlinien mit schmalen Stäbchen dazwischen
wiederholt sich noch häufig. In allem ist ein so natürliches Inein-
anderfließen, daß man sich nicht vorstellen kann, daß die Arbeiten
isoliert auf fremdem Boden erwachsen seien, selbst wenn man mit
der Nachahmung von Vorbildern rechnet, denn solche direkten
Vorbilder sind gar nicht vorhanden. Auch die von Keck als byzan-
tinisches Vorbild angesehene Anastasis in Berlin (Nr. 217) ist zwei-
fellos schon ein Stück aus der Rahmengruppe selbst.
Zu beachten ist auch die Datierung. Die Zeit des 12. bis i3. Jahr-
hunderts, in die von Keck und Andern die fraglichen Reliefs ver-
legt werden, ist offenbar eine zu späte Ansetzung. Fest datiert ist
allerdings kein einziges Stück, aber der Zusammenhang mit den
Reliefs des 10. Jahrhunderts und ihren Ausläufern im 11., beson-
ders aus der Nikeplioros-Gruppe, ist so groß, daß man keine wesent-
liche Zeitdifferenz annehmen kann, sondern sich auf das 11. Jahr-
hundert und den Anfang des 12. beschränken muß. Leider fehlen
auch die Anhaltspunkte, die bei den andern Gruppen durch die
Verwendung auf abendländischen Bucheinbänden gegeben werden.
Zwar sind einige ^Verbindungen vorhanden, doch sind diese schwer-
lich als Beweismittel zu benutzen. Nr. 207 befindet sich auf einer
Mindener Handschrift des Bischofs Milo von Minden (f 996), doch
ist diese neu gebunden, und es ist nicht sicher, daß die dabei ver-
wandten Elfenbeine ursprünglich dazugehörten. Ebenso weiß man
nicht, wieviel auf die Inschrift des 14- Jahrhunderts zu geben ist,
die sich auf Nr. 219 befindet und sich auf das Jahr 1006 und den
Bischof Bernward von Hildesheim bezieht, einen Kirchenfürsten,
der mehrfach byzantinische Elfenbeinreliefs für seine Einbände
verwandte. Dagegen liegen keinerlei Gründe vor, die dazu zwin-
gen, mit einem dieser Stücke bis in das weitere 12. und i3. Jahr-
hundert hinunterzugehen.
Nach all diesen Erwägungen scheint mir die Frage, ob Byzanz oder
Venedig, mit weitaus größter Wahrscheinlichkeit für Byzanz zu ent-
 
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