DAS JAKOBINERTUM
hinaus.“ Man lese in Taines Kapitel über die ,,Eroberung Frank-
reichs durch die Jakobiner“ das Weitere nach über den Fanatismus,
die Härte und die Grausamkeit, zu der die Ausführung der „Erklärung
der Menschenrechte“ geführt hat.
Bedeutungsvoll für das Verständnis Frankreichs ist die Beziehung,
die Taine zwischen der Allmacht des Rousseauschen Staatsideals und
der Staatsauffassung von Ludwig XIV. und Napoleon I. empfindet.
Der Hinweis hat grundsätzliche Bedeutung, obwohl er bei jenem
Historiker sich nur in einer Fußnote findet. Wenn Taine auch den
antidemokratischen Geist des tyrannischen Jakobinertums geißelt, so
ist in seiner Darstellung doch nicht scharf genug herausgearbeitet,
daß die staatliche Umformung von 1789 nur ein Flaggenwechsel war.
Im 17. und 18. Jahrhundert trug Frankreich sein imperialistisches,
konservativistisches Gesicht offen zur Schau. Im 19. Jahrhundert
verbarg es sein unverändertes Gesicht hinter einer demokratischen,
humanitären Maske. Jean Jacques Rousseau hat gar nicht die staats-
umwandelnde Bedeutung, die ihm beigemessen wird. Sein Erfolg
ist ein rein rhetorischer. Seine Wirkung ist die eines zündenden
Propagandisten für ein Maskengeschäft, eines Budenbesitzers, der
Ideale über den Jahrmarkt schreit, die im Innern des Zeltes nicht er-
füllt werden. Rousseau hat Frankreich eine neue Maske verliehen,
nicht aber ein neues Gesicht gegeben.
Trotzdem ist Henri Bergsons Äußerung: „La plus puissante
des influences qui se soient exercees sur l’esprit humain depuis
Descartes est incontestablement celle de Rousseau“, von einer ge-
wissen dialektischen Übertreibung abgesehen, zutreffend. Der Ein-
fluß tritt, von Robespierre bis Poincare, in der offiziellen Phraseologie
der republikanischen Rhetorik in Erscheinung. Er ist in allen großen
politischen Äußerungen, in Reden an das Volk, an befreundete und
feindliche Mächte, in den Akademien greifbar. Diese Deklamationen
von der Pariser Weltbühne herab sind für die Galerie bestimmt, auf
der Vertreter des eigenen Volkes und fremder Nationen Zuhörer sind.
Schon im Parkett lächeln die Prominenten des Landes voltairisch im
Bewußtsein, daß die humanitären Orgeltöne nur angeschlagen werden,
um die allzu realen Ziele der Regierung zu poetisieren, und denken
mit Molieres Cleante: „Man sieht, wie sie auf hohen Himmelswegen
dem eigenen Glücke nachzulaufen wissen.“
Außerhalb des offiziellen Theaterraums aber, in den stillen Stuben
der Gelehrten und Dichter, in den Salons des geistigen Paris wird
die Maske abgelegt. Hier zeigt sich der Franzose, wie er ist, als
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hinaus.“ Man lese in Taines Kapitel über die ,,Eroberung Frank-
reichs durch die Jakobiner“ das Weitere nach über den Fanatismus,
die Härte und die Grausamkeit, zu der die Ausführung der „Erklärung
der Menschenrechte“ geführt hat.
Bedeutungsvoll für das Verständnis Frankreichs ist die Beziehung,
die Taine zwischen der Allmacht des Rousseauschen Staatsideals und
der Staatsauffassung von Ludwig XIV. und Napoleon I. empfindet.
Der Hinweis hat grundsätzliche Bedeutung, obwohl er bei jenem
Historiker sich nur in einer Fußnote findet. Wenn Taine auch den
antidemokratischen Geist des tyrannischen Jakobinertums geißelt, so
ist in seiner Darstellung doch nicht scharf genug herausgearbeitet,
daß die staatliche Umformung von 1789 nur ein Flaggenwechsel war.
Im 17. und 18. Jahrhundert trug Frankreich sein imperialistisches,
konservativistisches Gesicht offen zur Schau. Im 19. Jahrhundert
verbarg es sein unverändertes Gesicht hinter einer demokratischen,
humanitären Maske. Jean Jacques Rousseau hat gar nicht die staats-
umwandelnde Bedeutung, die ihm beigemessen wird. Sein Erfolg
ist ein rein rhetorischer. Seine Wirkung ist die eines zündenden
Propagandisten für ein Maskengeschäft, eines Budenbesitzers, der
Ideale über den Jahrmarkt schreit, die im Innern des Zeltes nicht er-
füllt werden. Rousseau hat Frankreich eine neue Maske verliehen,
nicht aber ein neues Gesicht gegeben.
Trotzdem ist Henri Bergsons Äußerung: „La plus puissante
des influences qui se soient exercees sur l’esprit humain depuis
Descartes est incontestablement celle de Rousseau“, von einer ge-
wissen dialektischen Übertreibung abgesehen, zutreffend. Der Ein-
fluß tritt, von Robespierre bis Poincare, in der offiziellen Phraseologie
der republikanischen Rhetorik in Erscheinung. Er ist in allen großen
politischen Äußerungen, in Reden an das Volk, an befreundete und
feindliche Mächte, in den Akademien greifbar. Diese Deklamationen
von der Pariser Weltbühne herab sind für die Galerie bestimmt, auf
der Vertreter des eigenen Volkes und fremder Nationen Zuhörer sind.
Schon im Parkett lächeln die Prominenten des Landes voltairisch im
Bewußtsein, daß die humanitären Orgeltöne nur angeschlagen werden,
um die allzu realen Ziele der Regierung zu poetisieren, und denken
mit Molieres Cleante: „Man sieht, wie sie auf hohen Himmelswegen
dem eigenen Glücke nachzulaufen wissen.“
Außerhalb des offiziellen Theaterraums aber, in den stillen Stuben
der Gelehrten und Dichter, in den Salons des geistigen Paris wird
die Maske abgelegt. Hier zeigt sich der Franzose, wie er ist, als
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