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LXXII

LEBEN RAPHAEL'S

der, welcher sie angefertigt hatte, Raphael's Handschrift
nicht zu lesen im Stande war. Statt von Paris aus sich nach
Montpellier um eine bessere Abschrift zu wenden, druckt
Paul Lacroix das Sonett genau so ab, wie er es bei Passa-
vant vorfand.

Man besitzt in Prankreich herrliche Handzeichnungen
Raphael's, und es ist unter der Regierung des Kaisers Na-
poleon viel für deren Publication geschehn. Braun in Dor-
nach, Hof-Photograph des Kaisers, hat durch seine haltbaren
Kohlendrucke im grossartigsten Sinne kunstgeschichtliches
Material geschaffen. Zwei Schriftsteller von Bedeutung be-
sitzt Frankreich heute, die sich Raphael zugewandt haben:
Rio und Gruyer. Beide aber schreiben ausschliesslich im
katholischen Sinne. Beide zudem, obgleich der letztere in
seinen Madonnen Raphael's ') eine breite und mühsame Ar-
beit lieferte, die von Vergleichung der Handzeichnungen aus-
geht, sind unzuverlässig und erzählen ohne solide Unter-
lage nur auf den Effect los. An demselben Fehler leidet,
was Vitet in seinen kunsthistorischen Studien 2) publicirt hat.
Er sucht romanhaft abzurunden. In dem früheren Sinne der
soliden Historiker der Restauration und Julimonarchie — ich
brauche nur den Grafen Laborde zu nennen — arbeitet auf
dem Gebiete der italiänischen Kunst heute Niemand mehr
in Frankreich.

Voran, wo es sich um den rationellen Betrieb italiänischer
Kunstgeschichte handelt, steht unbestritten England. Dort
reiches Material, langjährige Praxis, ausgebreitetes Publikum,
Aufmerksamkeit, Verständniss und guter Wille. England ist,
nachdem Deutschland so ziemlich zurückgetreten war, der
eigentliche Markt für die Raphael betreffende Arbeit geworden.

l) Les Vierges de Raphael, 3 Theile, 1869. a) Etudes sur l'Histoire
de PArt, 4 vol. Im ersten Bande ein langer Artikel über Raphael in Flo-
renz mit ungerechtfertigten Angriffen auf die Deutsche Kunstcritik sowie
mit auffallenden Proben eigner TJnkenntniss.
 
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