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LEBEN RAPHAEL'S

Die Natur als von der Kunst überwunden hinzustellen,
war damals eine so geläufige Wendung, dafs sie fast überall
angewandt wird, wo man einem Künstler etwas Schmeichel-
haftes sagen will. Man nahm die Natur als Künstlerin, welche
die Gedanken Gottes zu Gestalten formt, und bringt sie so zum
Künstler in Gegensatz, von dem sie bei dieser Arbeit noch
übertroffen wird. Vasari stellt Raphael hier höher als Michel-
angelo, dessen persönliches Auftreten er öfter eritisirt. Ra-
phaels liebenswürdige Verkehrsformen erwähnt auch Giovio
gleich in den ersten Sätzen seiner Biographie: ,Die dritte
Stelle in der Malerei neben Michelangelo und Lionardo hat
Raphael durch die wunderbare Anschmiegsamkeit und natür-
liche Gestaltungskraft seines gelehrigen Ingeniums erworben.
Durch sein vertrauliches Verhältnifs zu den Mächtigen, deren
Gunst er durch die liebenswürdigste Dienstfertigkeit zu er-
langen verstand, sowie durch die Vortrefflichkeit seiner Ar-
beiten stand er so hoch da, dass ihm niemals die Gelegenheit
fehlte, seine berühmte Kunst in vollem Glänze zu zeigen.'
Passavant irrt, wenn er in Giovio's Worten das Bestreben er-
blickt, Raphael als einen Höfling darzustellen, der durch
seine Gewandtheit den grössten Theil seines Ruhmes erworben
habe'). Giovio hatte dies so wenig im Sinne, als Vasari wenn
er Raphaels äusseres Auftreten als wichtigste Ursache seines
Erfolges neben seine Kunst stellt.

4. Und in Wahrheit, da die Mehrzahl der Künstler bis zu
seinen Zeiten von Natur eine gewisse Mitgift an Wunderlichkeit
und Ungebüdetheit empfangen hatten, was, abgesehen davon dass
es sie zu zurückgezogenen, seltsamen Leuten machte, auch daran
Schuld trug, dass in ihnen mehr die menschlichen Schatten-
seiten als der Ruhm und Glanz der freien-Künste welche die
Menschen unsterblich machen, zur Erscheinung kamen ; so trat als
natürlicher Gegensatz dagegen ein, dass Raphael all die seltensten

') N. E. 229.
 
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