ÜBERSETZUNG UND COMMENTAR IX, 1—13 215
nach denen eine der Figuren der Schule von Athen sich wie-
dererkennen Hesse. Petrarca's Verse:
Vidi Archimede star col viso basso
und weiter:
E Diogene Cinico, in suoi fatti
Assai piü, che non vuol vergogna, aperto
scheinen mir kaum citirbar. Denn Kaphael hat weder Dio-
genes in unanständiger Entblössung, noch Archimedes ,col
viso basso' dargestellt, was doch nicht mehr als ,mit gesenk-
ten Blicken' bedeutet1). Lanzi freilich2), der diesen Mangel
gefühlt zu haben scheint, macht, wo er die Stelle anführt,
,col capo basso' daraus.
Diesen Quellen also, die zunächst lagen und aus denen
in höherem oder geringerem Grade Raphael geschöpft haben
sollte, war für ihn nichts zu entnehmen. Dagegen haben
diejenigen, welche ihm Hülfsmittel zu liefern hatten, den Au-
tor glücklich herausgefunden, aus dem sich malerische Mo-
tive für die Gestalten von Philosophen gewinnen Hessen.
1497 war Sidonius Apollinaris zum erstenmale wieder
gedruckt worden. Er, Claudian, Ausonius und Boethius sind
die letzten Lichtpuncte der römischen Schriftstellern. Nach-
her tritt Barbarei ein. Sidonius, der die Deutschen in Gallien,
seine Heimath, einströmen und dort Königthümer gründen
sah, erlebte die äussersten Zeiten römischer Litteratenthätig-
keit als abschliessender Fortsetzung der Autoren der goldnen
Latinität. Bis zu Sidonius ist eine auf ein gebildetes römi-
l) Wie Dante Inf. III, 79 sagt:
— gli occhi vergognosi e bassi.
Alessandro Vellutello bringt in seiner Expositione (Ausg. Venedig 1547 p. 202)
den viso basso des Archimedes damit in Verbindang, dass ihn bei der Er-
oberung von Syracas der Römische Oenturion in seine auf den Boden ge-
zeichneten Figuren ganz versenkt fand. Mir scheint das etwas zu weit ge-
trieben. Keinenfalls, wenn Raphael hierauf hindeuten wollte, brauchte er es
erst aus Petrarca zu holen. ') Storia Pittorica (Firenze 1822). II, 50.