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deren geistig bevorzugt gewesen, sondern man wendet sich dem
Rokoko, wie auch dem Quattrocento, nur deßhalb gern zu,
weil beide dem Coloristen interessante Aufgaben bieten. Unsere
heutigen Maler wenden all ihre Kunst auf, um einander in
der Fähigkeit zu übertreffen, das Geschehende so unmittelbar
uns vor Augen zu stellen, als ständen wir ihm gegenüber.
Mancher glaubt auch wohl, daß es ihm gelungen sei, etwas
zu schaffen, dem, um das Leben selber zu sein, nur die Sprache
fehle. Aber unseren Photographien, wenn wir sie lebensgroß
und farbentreu beschaffen könnten, würde mehr fehlen als bloß
die Sprache. Es würden lauter Gestalten sein, denen man,
eben weil sie vollkommen getreu wären, das Stillhalten an-
merkte. Fast alle unsere Portraitisteu malen Leute, die stille
halten. Sie wissen den Kopf ihres Auftraggebers diesem auf
dem Portrait nicht so organisch frei zwischen die Schultern zu
setzen als die Natur diese Aufgabe leistet. Unsere Portraits
sind, auch wo die Bewegung des Körpers noch so unbefangen
erscheinen soll, ungelenk. Der Grund ist leicht zu erkennen,
wenn wir die Bildnisse derjenigen unter unseren Malern,
welche offenbar die älteren Meister studirt haben, eine Aus-
nahme bilden sehen. Wäre meine Aufgabe, die Werke der
heute arbeitenden vorzüglichsten Portraitisten zu kritisiren, so
würde ich die vielleicht mit Sicherheit nennen können, die ihre
Erfolge dem Studium der großen Bildnißmaler des 18. und
17. Jahrhunderts verdanken. Kopf und Gestalt bilden bei
diesen ein Ganzes und die Bewegung ist eine natürliche.
Sehen wir, mit welcher Unbefangenheit die Gestalten, die
Pesne malt, ruhig dastehen oder sich bewegen. Diese Aisance,
ich finde kein entsprechendes deutsches Wort, war die Eigen-
schaft der besten Gesellschaft vor der französischen Revolution.
deren geistig bevorzugt gewesen, sondern man wendet sich dem
Rokoko, wie auch dem Quattrocento, nur deßhalb gern zu,
weil beide dem Coloristen interessante Aufgaben bieten. Unsere
heutigen Maler wenden all ihre Kunst auf, um einander in
der Fähigkeit zu übertreffen, das Geschehende so unmittelbar
uns vor Augen zu stellen, als ständen wir ihm gegenüber.
Mancher glaubt auch wohl, daß es ihm gelungen sei, etwas
zu schaffen, dem, um das Leben selber zu sein, nur die Sprache
fehle. Aber unseren Photographien, wenn wir sie lebensgroß
und farbentreu beschaffen könnten, würde mehr fehlen als bloß
die Sprache. Es würden lauter Gestalten sein, denen man,
eben weil sie vollkommen getreu wären, das Stillhalten an-
merkte. Fast alle unsere Portraitisteu malen Leute, die stille
halten. Sie wissen den Kopf ihres Auftraggebers diesem auf
dem Portrait nicht so organisch frei zwischen die Schultern zu
setzen als die Natur diese Aufgabe leistet. Unsere Portraits
sind, auch wo die Bewegung des Körpers noch so unbefangen
erscheinen soll, ungelenk. Der Grund ist leicht zu erkennen,
wenn wir die Bildnisse derjenigen unter unseren Malern,
welche offenbar die älteren Meister studirt haben, eine Aus-
nahme bilden sehen. Wäre meine Aufgabe, die Werke der
heute arbeitenden vorzüglichsten Portraitisten zu kritisiren, so
würde ich die vielleicht mit Sicherheit nennen können, die ihre
Erfolge dem Studium der großen Bildnißmaler des 18. und
17. Jahrhunderts verdanken. Kopf und Gestalt bilden bei
diesen ein Ganzes und die Bewegung ist eine natürliche.
Sehen wir, mit welcher Unbefangenheit die Gestalten, die
Pesne malt, ruhig dastehen oder sich bewegen. Diese Aisance,
ich finde kein entsprechendes deutsches Wort, war die Eigen-
schaft der besten Gesellschaft vor der französischen Revolution.