Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Grimm, Herman; Grimm, Herman [Hrsg.]
Fragmente (Band 1,2) — Berlin, Stuttgart: Spemann, 1900

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.47242#0140

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
464

Sie läßt sich nicht zurückzaubern, denn die gesellschaftlichen
Bedingungen sind verschwunden, denen sie entspringt: jener
Glaube an das unendliche gute Wetter der Gegenwart und
Zukunft, der unter der Herrschaft des Rokoko die Völker
Europas beseelte, kehrt nie wieder. Unseren Künstlern fehlt
der Segen dieser ewigen Sommertage. Hier und da nur be-
gegnen wir glücklich begabten Naturen, die sich nicht anfechteu
lassen und so malen, wie es ihnen gerade ums Herz ist.
Auch das moderne bildhauernde Rokoko steht zu dem
ächten alten Rokoko in Gegensatz und erreicht es nicht. Kein
Meister heute wäre im Stande, einen Kopf wie Houdon's
Gluck herzustellen. Die heutigen Versuche, die Wahrscheinlich-
keit des Rokokokostümes durch Nachahmung kleiner gefälliger
Stofffalten zu erhöhen, die man auf colossalen Statuen natur-
getreu reproducirt, erhöhen die Wahrheit und Aehnlichkeit
nicht, die sie bewirken sollen. Wie hoch erhebt sich der gei-
stigen Wirkung nach Schadow's Stettiner Statue Friedrich's
über Rauch's berühmtes Werk, bei dem der Anschein des
Lebens durch theatralisch wirkendes Costüm erzwungen wurde,
während Schadow nach alten guten Mustern die Kleidung des
Königs, absehend von allem Stofflichen, wie auf den geistigen
Ausdruck hingearbeitet hat. Friedrich's durchdringender Blick,
seine königliche Haltung, die Mischung eines großen Herrschers,
großen Feldherrn und großen Gelehrten ist tief empfunden und
einfach zur Erscheinung gebracht worden. Es ist nicht der
alte Fritz, sondern der Große Friedrich, der dasteht. Bekannt
ist, daß Rauch sich lange dagegen sträubte, den König in der
naturalistischen Auffassung hinzustellen, in der wir ihn sehen.
Rauch mußte vorempfinden, daß sein Werk in Zeiten hinein
dauern werde, die zu der Rokokokleidung in keinem Verhält-
 
Annotationen