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Grimm, Herman; Grimm, Herman [Hrsg.]
Fragmente (Band 1,2) — Berlin, Stuttgart: Spemann, 1900

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https://doi.org/10.11588/diglit.47242#0202

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jedoch eine, die in Berlin noch ohne Repräsentation geblieben
war: die Gabe, das Reinmenschliche schön, erhaben und er-
greifend darzustellen, und von einem Werke dieser Richtung
soll jetzt die Rede sein. Scenen aus der Leidensgeschichte
Christi sind aus den verschiedenen Epochen der Entwicklung
Böcklin's in vielen Sammlungen schon zu sehen gewesen:
zum ersten Male jetzt ist ein Werk dieser Art in Berlin aus-
gestellt worden. Bekannt ist, wo. Herr Gurlitt hat das
Talent, Dinge in seinem Ausstellungslocal zu vereinigen, die
nicht nur Interesse, sondern ganz besonderes Interesse erregen.
An dieser Stelle sind wir mit einigen bedeutenden Talenten
zum ersten Male bekannt geworden und werden zugleich über
ihre Fortschritte auf dem Laufenden erhalten. Ich nenne nur
den jüngeren Grafen Kalckreuth, einen von den, man kann
nun sagen. Meistern, die sich auch an Niemand kehren bei
ihrer Production, und bei denen man nicht weiß, wie weit
sie kommen werden, da sie selber nicht ahnen, wohin ihr Weg
sie führt. Ich nenne gerade diesen Namen, weil hier auch
ein aus dem krassen Realismus hervorgegangenes Talent
offenbar die größte Sehnsucht nach idealem Schaffen hat und
einstweilen noch nicht weiß, wie es dazu gelangen soll.
Bei Gurlitt also, in greller electrischer Beleuchtung (die
den Farben des Gemäldes hoffentlich keinen Schaden zufügt),
steht Böcklin's neuestes Werk aus*). Ein quer hingestreckter
todter Christus, über den sich, völlig verdeckt von einem falten-
vollen blauen Mantel, Maria hingeworfen hat, die Mutter
über den Sohn, dessen Leichnam sie nicht losläßt. Nichts
von ihr ist sichtbar, auch ihr Antlitz nicht; nur eine von

l) Jetzt in der Berliner National-Galerie (vgl. unten S. 556).
 
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