Prager Barock wird abgelöst durch das leichte und elegante Rokoko, das im preußischen
Schlesien sparsam, manchmal fast ärmlich anmutet. Nach den Schlesischen Kriegen hat
das Land wieder für ein halbes Jahrhundert Ruhe, aber Ruhezeiten sind noch niemals
Förderer der Künste und Kulturen gewesen. Am kräftigsten finden wir die Kultur-
äußerungen eines Volkes immer dann, wenn es im Kampfe für eine neue Idee steht. So
bereitet sich in den Zeiten der Ruhe am Ende des achtzehnten Jahrhunderts schon der
nach der Jahrhundertwende eintretende Verfall vor, dem dann durch die Gewerbefreiheit,
die im Handwerk und Handel Unberufene und Untüchtige brachte, freier Lauf gelassen
wurde. Politisch haben die Einigungskriege Schlesien keinerlei Schaden zugefügt, aber
geistig und kulturell sind auch hier die Gründerjahre, die unter einer Scheinblüte schon
die Fäulnis erkennen lassen, deutlich zu bemerken. Das Handwerk hegt schwer darnieder.
Kein frisches Blut, keine neuen Ideen werden ihm zugeführt. Es fühlt sich nicht mehr als
Kulturträger, sondern als Konkurrenz der Industrie und geht dadurch immer mehr dem
Abgrund entgegen. Zu gleicher Zeit wird das Kunstgewerbe als seltsamer Zwitter zwischen
hoher Kunst und Handwerk geboren. Akademisch vorgehildete Künstler fühlen sich be-
rufen, das Kunstschaffen auch auf dem Gebiete des täglichen Gebrauchsgeräts zu be-
stimmen. Es ist klar, daß da nur wirklich starke künstlerische Persönlichkeiten sich mit
ihren Werken durchsetzen konnten, daß auch von ihnen sich nur sehr wenige Arbeiten
erhalten haben, die die durch die Zeit bedingte Qualitätsauslese überstanden. Man braucht
dem Jugendstil nicht jeden Willen zum Guten abzustreiten, aber man wird gerade bei
diesem Kunstgewerbe immer wieder den etwas kühlen Eindruck des zu Akademischen,
zu Berechnenden nicht los. Ein Barockmeister setzt seine technisch herrlich getriebenen
Blüten mit einer Selbstverständlichkeit auf den Mantel eines Bechers oder Pokals, so daß
sie eben nur an dieser Stelle sein können und wirken. Die Becher des Jugendstils aber
fallen uns heute durch ihre eiskalte Berechnung des Ornaments auf die Nerven. Mathema-
tische Konstruktion und künstlerisches Ornament vertragen sich eben nicht. Die letzten
Jahre haben in Breslau eine ganze Reihe von Kunsthandwerkern heranreifen lassen, deren
Arbeit durchaus über dem Durchschnitt steht.
Das kleine Siegel der Breslauer Goldschmiede-Innung
13
Schlesien sparsam, manchmal fast ärmlich anmutet. Nach den Schlesischen Kriegen hat
das Land wieder für ein halbes Jahrhundert Ruhe, aber Ruhezeiten sind noch niemals
Förderer der Künste und Kulturen gewesen. Am kräftigsten finden wir die Kultur-
äußerungen eines Volkes immer dann, wenn es im Kampfe für eine neue Idee steht. So
bereitet sich in den Zeiten der Ruhe am Ende des achtzehnten Jahrhunderts schon der
nach der Jahrhundertwende eintretende Verfall vor, dem dann durch die Gewerbefreiheit,
die im Handwerk und Handel Unberufene und Untüchtige brachte, freier Lauf gelassen
wurde. Politisch haben die Einigungskriege Schlesien keinerlei Schaden zugefügt, aber
geistig und kulturell sind auch hier die Gründerjahre, die unter einer Scheinblüte schon
die Fäulnis erkennen lassen, deutlich zu bemerken. Das Handwerk hegt schwer darnieder.
Kein frisches Blut, keine neuen Ideen werden ihm zugeführt. Es fühlt sich nicht mehr als
Kulturträger, sondern als Konkurrenz der Industrie und geht dadurch immer mehr dem
Abgrund entgegen. Zu gleicher Zeit wird das Kunstgewerbe als seltsamer Zwitter zwischen
hoher Kunst und Handwerk geboren. Akademisch vorgehildete Künstler fühlen sich be-
rufen, das Kunstschaffen auch auf dem Gebiete des täglichen Gebrauchsgeräts zu be-
stimmen. Es ist klar, daß da nur wirklich starke künstlerische Persönlichkeiten sich mit
ihren Werken durchsetzen konnten, daß auch von ihnen sich nur sehr wenige Arbeiten
erhalten haben, die die durch die Zeit bedingte Qualitätsauslese überstanden. Man braucht
dem Jugendstil nicht jeden Willen zum Guten abzustreiten, aber man wird gerade bei
diesem Kunstgewerbe immer wieder den etwas kühlen Eindruck des zu Akademischen,
zu Berechnenden nicht los. Ein Barockmeister setzt seine technisch herrlich getriebenen
Blüten mit einer Selbstverständlichkeit auf den Mantel eines Bechers oder Pokals, so daß
sie eben nur an dieser Stelle sein können und wirken. Die Becher des Jugendstils aber
fallen uns heute durch ihre eiskalte Berechnung des Ornaments auf die Nerven. Mathema-
tische Konstruktion und künstlerisches Ornament vertragen sich eben nicht. Die letzten
Jahre haben in Breslau eine ganze Reihe von Kunsthandwerkern heranreifen lassen, deren
Arbeit durchaus über dem Durchschnitt steht.
Das kleine Siegel der Breslauer Goldschmiede-Innung
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