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Barock und Rokoko

dritte um neun Jahre jünger als
Watteau, alle den ſehr viel größeren
Watteau um eine beträchtliche zeit
überlebend. Sind dieſe feinen Meiſter,
mit ihnen auch die Paſtelliſten Je an-
Etienne Liotard (der Maler
des bekannten Dresdener Schokoladen-
maͤdchens) und Guentin Latour
in der Sauptſache Maler der zeitge-
nöſſiſchen Geſellſchaft von der Szene
bis zum Bildnis, ſo ſchöpft Fran-
gois Boucher, ros in Paris ge-
boren, 770 ebendort geſtorben, den
graziöſen Typus der Mythologie des
Rokoko — dieſen Typus, der den be-
zaubernden Frauen der Epoche erlaubt,
unter Namen von Göttinnen aus
griechiſch-römiſcher Sage die Nrinoline
und das Corſage abzulegen und die
eleganteſten Entblößungen zu wagen.
Allerdings iſt Boucher am ſchönſten,
95 “ M unmittelbarſten iſt: 1 Aufnahme: Dr. Franz Stoedtner, Berlin
mit dem gar nicht erſt mythologiſch %%
gerechtfertigten Bilde eines nackten London, Nationalgalerie

Mädchens in der Münchner Alten

Pinakothek oder in den prachtvoll⸗graziöſen Bildniſſen ſeiner Gönnerin, der Mar-
quiſe von Pompadour. Der Provengale Je an⸗HJonoré Sragonard, 7732 in
Graſſe geboren, so, nach der Revolution, in Paris als ein ſchon verjährter Typus
verſtorben, greift die Überlieferung des Boucher auf; aber wie er perſönlicheren Tempe-
raments iſt, treibt er ſeine Kunft entſchloſſener und großartiger ins Maleriſche; es
gibt Arbeiten ſeiner Hand, die hinter den kühnſten Augenblicken des maleriſchen
Frans Hals kaum zurückſtehen, ja ſchon den maleriſchen Schwung des Delacroix voraus-
ahnen laſſen. Endlich ſcheidet ſich vom feinnervigen Genie des Rokoko, das auch im aus-
gebreiteten Garten der zeitgensſſiſchen Graphik köſtliche Namen trägt wie lauter heitere
Blumen, etwa die Namen Moreau⸗le-Jeune, Auguſtin de Saint⸗Aubin, Gravelot, Eiſen,
Cochin⸗Fils — vom graziöſen, ſehr verliebten, auch unbedenklich laſziven, immer aber dich-
teriſch beſchwingten Geiſt des Rokoko alſo ſcheidet ſich endlich eine neue Weltzeit, die ſchon
das neunzehnte Jahrhundert anbahnt. Dieſe neue Weltzeit verkündet die „Rückkehr zur
Natur“; dem ſentimentaliſchen Evangelium des Jean-Jacques Rou ſſeau verwandt,
gleichgeſtimmt aber auch den Landſchaftsmalern des holländiſchen Barock, betreibt eine neue
Schule im ſpäten Rokoko die reine, vom Geſellſchaftlichen abgewandte Landſchaftsmalerei;

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