1901
Heidelberger Akademische Mitteilungen
Nr. 10
Nachdem die Fackeln zusammengeworfen und die geladenen
Gäste und die studentischen Korporationen vor der Säule
im Halbkreis sich aufgestellt hatten, nahm gegen 10 Uhr
der Weiheakt seinen Beginn, indem von der dicht vor der
Vorderwand der Säule errichteten Rednertribüne aus Ingenieur-
praktikant Specht als Vertreter des studentischen Ausschusses
für die Errichtung der Bismarcksäule mit weithin schallender
Stimme die Weiherede hielt. Als Vertreter der Residenz-
stadt übernahm Bürgermeister Siegrist die Säule in den
Besitz und in die Obhut der Stadt Karlsruhe. Zum Schluss
richtete der Rektor der Technischen Hochschule, Professor
Dr. Lehmann an die Studentenschaft eine erhebende An-
sprache, in der er sie aufforderte, dem Vorbilde Bismarcks
nachlebend stets für Wahrheit und Recht und alles, was
gut und edel ist, begeistert einzutreten und toastete auf
diese Ideale der deutschen Studentenschaft. Mit lebhaften
Bravorufen wurden die einzelnen Reden begrüsst. Um halb
11 Uhr hatte die herrliche Feier an der Bismarcksäule ihr
Ende erreicht, und nun ging es, unter Vorantritt der Kapelle,
hinab zum Vogelsang-Restaurant, woselbst der Festkommers
abgehalten wurde.
Zum 21. Juni 1901.
(Gelegentlich der Einweihung der Bismarcksäule bei Ettlingen der
Karlsruher Studentenschaft zugeeignet von Prof. Dr. Böhtlingk.)
Wenn dem Gewalt’gen wir, dem Reichsbegründer
Zur Sonnenwend’ die heil’ge Lohe weih’n,
Mit Flammen grüssen Ihn, den Flamm-Entzünder —
Wir thun’s, durchbebt bis in das Mark hinein.
Gilt's doch — wie wir es ach! zu viel nur wissen —
Des deutschen Mann’s, des deutschen Volkes Sein!
War unser Schicksal doch von je: zerrissen,
Im Bruderzwist, von fremder Art bethört,
Des Vaterlandes ein’ge Kraft zu missen.
Wieviel der Besten sind, also zerstört,
Im Freiheitsdrang — der Knechtschaft nur verfallen!
Wieviel von Volkes Nöten aufgestört,
Nicht in der Schlacht — von Henkershand gefallen!
Selbst Luther — Stein, wie ihre That auch ragt,
Sie türmten nicht des deutschen Reiches Hallen.
Dir ist’s geglückt. Wie Siegfried es gewagt,
Der Drachentöter, einst im Morgenglanze,
Dass weithin es im deutschen Land getagt —
So schwangst auch Du die goldne Siegeslanze!
Hobst aus dem Rhein der Nibelungen Hort
Und stehst für immer auf des Reiches Schanze.
Zur That ward Dir Dein eignes kühnes Wort:
„Wir fürchten Gott, sonst nichts auf dieser Welt!“
So rissest Du uns alle mit Dir fort.
Der uns geführt hinan als Sonnenheld,
Ihm soll der Sonne Höhetag gehören,
Ist’s sein Geist doch, der uns zusammenhält,
Wenn Treue wir dem Reich, uns selber schwören!
Aus der Gelehrten-Welt.
Die Erfindung eines Arztes. In der Charite in
Berlin wird gegenwärtig die Erfindung eines Wiener
Arztes auf ihren praktischen Wert geprüft, der nach
den bisherigen Erfahrungen eine grosse Zukunft vorher-
gesagt werden darf. Der Apparat, um den es sich handelt,
ist der „A tm un gs se s sel“, und sein Erfinder ist der
praktische Arzt Dr. Demetrius Bo ghean. Der Apparat
bezweckt die Regelung der Tiefe des Rhythmus und
der Frequenz der Atmung auf rein maschinellem
Weg und findet bei Herzschwäche, verschiedenen Herz-
krankheiten, Atemnot, zur Vertiefung der Atmung bei
Rekonvaleszenten, zur Besserung der Vitalität der
Lungenspitzen bei beginnender Lungentuberkulose, bei
Vergiftungen durch Kohlenoxydgas etc. Anwendung. Das
überraschendste Ergebnis hat der Apparat bei einem
Fall von Kohlenoxydgasvergiftung gezeigt. Die Patientin
wurde Abends vollkommen bewusstlos und von den Aerzten
aufgegeben in die Charite gebracht. Man brachte die Frau
in den „Atmungssessel“ und setzte den Apparat in Thätig-
keit. Trotzdem die Patientin kein Zeichen von Leben ge-
geben hatte, stellte sich, nachdem der Apparat mehrere
Stunden gearbeitet hatte, gegen Morgen die Atmung
wieder ein und die Frau konnte als gerettet betrachtet
werden. Der „Atmungssessel“ besteht aus einem bequemen
Stuhl mit starker Rücklehne, der durch eine Winkelver-
stellung auch zu einem Liegestuhl umgewandelt werden
kann. An der Brustwehr des Sessels, die diesen nach
vorne abschliesst, befinden sich zwei an Hebelstangen
befestigte gepolsterte Druckplatten, die, sobald der Patient
im Sessel sitzt, an seinen Brustkorb, etwa in der Höhe der
vierten bis fünften Rippe angesetzt werden. Die Hebel-
stangen stehen mit einem Zahnradmechanismus in Ver-
bindung, welcher die elektrische Kraft, die von einem
unter dem Sessel montierten elektrischen Motor ausgeht,
auf die Druckplatten überträgt und sie in Bewegung setzt,
so dass ihr Druck genau dem Heben und Senken des Brust-
korbes bei der Atmung entspricht. Durch die rhythmischen
Kompressionen des Brustkorbes wird eine erhöhte Atem-
thätigkeit durch Förderung der Exspiration und daher auch
der folgenden Inspiration erzielt. Der Sessel kann für
Männer, Frauen und Kinder eingestellt werden und die
Bewegung der Druckplatten je nach der Atmungsfrequenz
des Patienten reguliert werden. Dadurch, dass auch nur
eine Druckplatte in Thätigkeit gesetzt werden kann, ist
es möglich, auch auf das Herz bei gewissen Herzkrank-
heiten, z. B. Insuffizienz der Herzmuskel, einzuwirken.
Zum Betriebe des Apparates genügt ein elektrischer
Strom von Glühlampenstärke. Der „Atmungssessel“ ver-
tritt somit die sogenannte künstliche Atmung und hat
den Vorteil, dass diese Arbeit maschinell, gleichmässig
vor sich geht und beliebig lange Zeit fortgesetzt werden
kann. Ein Modell des Atmungssessels war auf der Pariser
Ausstellung ausgestellt und war schon früher auf der
Ausstellung für Krankenpflege in Berlin preisgekrönt
worden. Seit sechs Monaten befindet sich der Apparat,
der von der Wiener Firma Joseph Leiter konstruiert
wurde, in Berlin, wo sein Erfinder studierte und promo-
vierte. In der nächsten Zeit wird Dr. Boghean die Ergeb-
nisse seiner Untersuchungen in einer wissenschaftlichen
Zeitschrift veröffentlichen.
Veranstaltungen der Vereine.
Sozialökonomische Vereinigung. Montag, den 1. Juli,
abends 8’/4 h. im „Heidelberger Hof“ (Wredeplatz):
Vortrag des Herrn cand. cam. Dönges: „Die Ausfuhr-
prämien“. Kommilitonen als Gäste auch ohne Einführung
willkommen.
Histor.-philos. Verein. Montag, den 8. J uli 1901, abends
8*/2 Uhr, im Museum (roter Saal): Vortrag des Herrn
Kiaatsch: „Die ältesten bisher sicher festgestellten
Spuren und Skelettreste des Menschen aus der Eiszeit
(Diluvium). Mit Demonstration von Abgüssen fossiler
Menschenknochen sowie von Stein-Artefakten und dilu-
vialen Säugetierknochen.“
Heidelberger Akademische Mitteilungen
Nr. 10
Nachdem die Fackeln zusammengeworfen und die geladenen
Gäste und die studentischen Korporationen vor der Säule
im Halbkreis sich aufgestellt hatten, nahm gegen 10 Uhr
der Weiheakt seinen Beginn, indem von der dicht vor der
Vorderwand der Säule errichteten Rednertribüne aus Ingenieur-
praktikant Specht als Vertreter des studentischen Ausschusses
für die Errichtung der Bismarcksäule mit weithin schallender
Stimme die Weiherede hielt. Als Vertreter der Residenz-
stadt übernahm Bürgermeister Siegrist die Säule in den
Besitz und in die Obhut der Stadt Karlsruhe. Zum Schluss
richtete der Rektor der Technischen Hochschule, Professor
Dr. Lehmann an die Studentenschaft eine erhebende An-
sprache, in der er sie aufforderte, dem Vorbilde Bismarcks
nachlebend stets für Wahrheit und Recht und alles, was
gut und edel ist, begeistert einzutreten und toastete auf
diese Ideale der deutschen Studentenschaft. Mit lebhaften
Bravorufen wurden die einzelnen Reden begrüsst. Um halb
11 Uhr hatte die herrliche Feier an der Bismarcksäule ihr
Ende erreicht, und nun ging es, unter Vorantritt der Kapelle,
hinab zum Vogelsang-Restaurant, woselbst der Festkommers
abgehalten wurde.
Zum 21. Juni 1901.
(Gelegentlich der Einweihung der Bismarcksäule bei Ettlingen der
Karlsruher Studentenschaft zugeeignet von Prof. Dr. Böhtlingk.)
Wenn dem Gewalt’gen wir, dem Reichsbegründer
Zur Sonnenwend’ die heil’ge Lohe weih’n,
Mit Flammen grüssen Ihn, den Flamm-Entzünder —
Wir thun’s, durchbebt bis in das Mark hinein.
Gilt's doch — wie wir es ach! zu viel nur wissen —
Des deutschen Mann’s, des deutschen Volkes Sein!
War unser Schicksal doch von je: zerrissen,
Im Bruderzwist, von fremder Art bethört,
Des Vaterlandes ein’ge Kraft zu missen.
Wieviel der Besten sind, also zerstört,
Im Freiheitsdrang — der Knechtschaft nur verfallen!
Wieviel von Volkes Nöten aufgestört,
Nicht in der Schlacht — von Henkershand gefallen!
Selbst Luther — Stein, wie ihre That auch ragt,
Sie türmten nicht des deutschen Reiches Hallen.
Dir ist’s geglückt. Wie Siegfried es gewagt,
Der Drachentöter, einst im Morgenglanze,
Dass weithin es im deutschen Land getagt —
So schwangst auch Du die goldne Siegeslanze!
Hobst aus dem Rhein der Nibelungen Hort
Und stehst für immer auf des Reiches Schanze.
Zur That ward Dir Dein eignes kühnes Wort:
„Wir fürchten Gott, sonst nichts auf dieser Welt!“
So rissest Du uns alle mit Dir fort.
Der uns geführt hinan als Sonnenheld,
Ihm soll der Sonne Höhetag gehören,
Ist’s sein Geist doch, der uns zusammenhält,
Wenn Treue wir dem Reich, uns selber schwören!
Aus der Gelehrten-Welt.
Die Erfindung eines Arztes. In der Charite in
Berlin wird gegenwärtig die Erfindung eines Wiener
Arztes auf ihren praktischen Wert geprüft, der nach
den bisherigen Erfahrungen eine grosse Zukunft vorher-
gesagt werden darf. Der Apparat, um den es sich handelt,
ist der „A tm un gs se s sel“, und sein Erfinder ist der
praktische Arzt Dr. Demetrius Bo ghean. Der Apparat
bezweckt die Regelung der Tiefe des Rhythmus und
der Frequenz der Atmung auf rein maschinellem
Weg und findet bei Herzschwäche, verschiedenen Herz-
krankheiten, Atemnot, zur Vertiefung der Atmung bei
Rekonvaleszenten, zur Besserung der Vitalität der
Lungenspitzen bei beginnender Lungentuberkulose, bei
Vergiftungen durch Kohlenoxydgas etc. Anwendung. Das
überraschendste Ergebnis hat der Apparat bei einem
Fall von Kohlenoxydgasvergiftung gezeigt. Die Patientin
wurde Abends vollkommen bewusstlos und von den Aerzten
aufgegeben in die Charite gebracht. Man brachte die Frau
in den „Atmungssessel“ und setzte den Apparat in Thätig-
keit. Trotzdem die Patientin kein Zeichen von Leben ge-
geben hatte, stellte sich, nachdem der Apparat mehrere
Stunden gearbeitet hatte, gegen Morgen die Atmung
wieder ein und die Frau konnte als gerettet betrachtet
werden. Der „Atmungssessel“ besteht aus einem bequemen
Stuhl mit starker Rücklehne, der durch eine Winkelver-
stellung auch zu einem Liegestuhl umgewandelt werden
kann. An der Brustwehr des Sessels, die diesen nach
vorne abschliesst, befinden sich zwei an Hebelstangen
befestigte gepolsterte Druckplatten, die, sobald der Patient
im Sessel sitzt, an seinen Brustkorb, etwa in der Höhe der
vierten bis fünften Rippe angesetzt werden. Die Hebel-
stangen stehen mit einem Zahnradmechanismus in Ver-
bindung, welcher die elektrische Kraft, die von einem
unter dem Sessel montierten elektrischen Motor ausgeht,
auf die Druckplatten überträgt und sie in Bewegung setzt,
so dass ihr Druck genau dem Heben und Senken des Brust-
korbes bei der Atmung entspricht. Durch die rhythmischen
Kompressionen des Brustkorbes wird eine erhöhte Atem-
thätigkeit durch Förderung der Exspiration und daher auch
der folgenden Inspiration erzielt. Der Sessel kann für
Männer, Frauen und Kinder eingestellt werden und die
Bewegung der Druckplatten je nach der Atmungsfrequenz
des Patienten reguliert werden. Dadurch, dass auch nur
eine Druckplatte in Thätigkeit gesetzt werden kann, ist
es möglich, auch auf das Herz bei gewissen Herzkrank-
heiten, z. B. Insuffizienz der Herzmuskel, einzuwirken.
Zum Betriebe des Apparates genügt ein elektrischer
Strom von Glühlampenstärke. Der „Atmungssessel“ ver-
tritt somit die sogenannte künstliche Atmung und hat
den Vorteil, dass diese Arbeit maschinell, gleichmässig
vor sich geht und beliebig lange Zeit fortgesetzt werden
kann. Ein Modell des Atmungssessels war auf der Pariser
Ausstellung ausgestellt und war schon früher auf der
Ausstellung für Krankenpflege in Berlin preisgekrönt
worden. Seit sechs Monaten befindet sich der Apparat,
der von der Wiener Firma Joseph Leiter konstruiert
wurde, in Berlin, wo sein Erfinder studierte und promo-
vierte. In der nächsten Zeit wird Dr. Boghean die Ergeb-
nisse seiner Untersuchungen in einer wissenschaftlichen
Zeitschrift veröffentlichen.
Veranstaltungen der Vereine.
Sozialökonomische Vereinigung. Montag, den 1. Juli,
abends 8’/4 h. im „Heidelberger Hof“ (Wredeplatz):
Vortrag des Herrn cand. cam. Dönges: „Die Ausfuhr-
prämien“. Kommilitonen als Gäste auch ohne Einführung
willkommen.
Histor.-philos. Verein. Montag, den 8. J uli 1901, abends
8*/2 Uhr, im Museum (roter Saal): Vortrag des Herrn
Kiaatsch: „Die ältesten bisher sicher festgestellten
Spuren und Skelettreste des Menschen aus der Eiszeit
(Diluvium). Mit Demonstration von Abgüssen fossiler
Menschenknochen sowie von Stein-Artefakten und dilu-
vialen Säugetierknochen.“