1901
Heidelberger Akademische Mitteilungen
Nr. 11
Von anderen Hochschulen.
Berlin. Ein Vorwort Professor Harnacks
an die Studenten. Der Verein ,Jugendschutz“ Ber-
lin C., Kaiser Willielmstrasse 39/11. gibt eine neue Aus-
gabe der Schrift des Professors Dr. med. A. Herzen
„Wissenschaft und Sittlichkeit“ heraus. Der Rektor
der Berliner Universität, Adolf Harnack, hat zur neuen
Auflage ein Vorwort an die Studierenden geschrieben,
das wir im Wortlaut folgen lassen: „Kommilitonen! Eure
Zukunft — und sie ist die Zukunft des Vaterlandes ;—
hängt von Eurer sittlichen Kraft und Gesundheit ab.
Viele finstere Mächte bedrohen sie; aber die Gefahr,
welche der Verfasser der nachstehenden Schrift Euch
vor Augen führt ist der grössten eine. Ernst und schlicht
hat er sie Euch vorgestellt, ohne Schleier, aber auch ohne
Uebertreibung. Er wendet sich, indem er zur Selbst-
beherrschung und zum Kampf mahnt, an den guten Geist,
der Euch eingepflanzt ist, und er ruft keinen anderen
Bundesgenossen zur Hilfe als Euch selbst. Von sozialen
Verpflichtungen wird in der Gegenwart-viel gesprochen:
seid gewiss, dass die kräftigste soziale Leistung ein reiner
Lebenswandel ist. Er wird Euren Charakter stählen,
Eure Gesinnung läutern und Eure Thatkraft im Dienste
Anderer steigern. Das Beispiel, welches Ihr gebt, wird
für die Sittlichkeit der anderen Klassen der Gesellschaft
entscheidend sein, denn Ihr seid die zukünftigen Führer.
Mut ist die Tugend der Tugenden; aber Mut fliesst nur
aus innerer Freiheit: wer sich nicht selbst beherrscht,
bleibt immer Knecht. Ueber den Anfängen unserer
deutschen Geschichte steht das Zeugnis des Tacitus:
,Sera iuvenum venus, eoque inexhausta pubertas. Nemo
illic vitia ridet, nec corrumpere et corrumpi saeculum
vocatur.1 Macht dieses Wort endlich wahr! Die Pflicht,
die es einschliesst, ist niemals so gebieterisch gewesen,
wie auf der geschichtlichen Stufe, auf der wir uns heute
befinden. Das zeigt Euch Herzen in diesem Vortrag.
Die Stunde ist da, aufzustehen vom Schlaf, und die
Waffen des Lichts anzulegen. In dieser Rüstung werdet
Ihr unüberwindlich sein und das Vaterland, die Mensch-
heit aus innerer und äusserer Not befreien helfen.“
Halle. Man schreibt uns : Der sogenannten Finken-
schaftsbewegung droht eine Krisis. Diese akademische
Reformströmung sucht bekanntlich alle nichtinkorporier-
ten Studenten zu gemeinsamer Arbeit unter voller Wahrung
der Freiheit des Einzelnen und Anerkennung jedes ehr-
lichen Standpunkts zu Organisationen zusammenzuschlies-
Die Volkszahl von Rom jetzt und einst.
Nach der diesjährigen Volkszählung in Italien giebt
Dr. Battandier im Pariser Cösmos einen interessanten Rück-
blick auf die Volkszahl der „ewigen Stadt“ in den früheren
Jahrhunderten ihrer langen geschichtlichen Entwicklung.
In diesen Zahlen, für die allerdings stellenweise nur eine
geringe Gewähr annähernder Genauigkeit zu Gebote steht,
spiegelt sich der Wechsel von Glück und Unglück, Macht
und Verfall deutlich wieder. In den ältesten Zeiten, als
Rom unter seinen ersten sieben Königen stand, wurden be-
reits Volkszählungen vorgenommen, die erste unter Servius
Tullius im Jahre 186 nach Gründung der Stadt (567 v. Chr.),
und bis zum Beginn unserer Zeitrechnung sollen 73 Volks-
zählungen in Rom stattgefunden haben. Da sie teils wegen
der Steuererhebung, teils wegen der Aushebung für den
Kriegsdienst angestellt wurden und nicht um ihrer selbst
willen, so waren die Ergebnisse wenig zuverlässig und schwan-
kend. De Tournon giebt Rom zur Zeit des ersten Königs
Romulus 16000 Einwohner, unter Numa Pompilius 30 000,
unter Tullns Hostilius 50- bis 60 000, unter Ancus Martius
sen. Solcher Organisationen giebt es zur Zeit 13 auf deut-
schen Hochschulen. Sie nennen sich Finkenschaften,
Wildenschaften oder Freie Studentenschaften. Sie er-
heben den Anspruch, alle nichtinkorporierten Studenten
zu vertreten, weil zu ihren Veranstaltungen, vor allem
zu den Vertretungswahlen, alle Nichtinkorporierten Zu-
tritt haben. Dieser Anspruch ist ihnen mehrfach be-
stritten worden. Namentlich in Halle wollen die
Universitätsbehörden nur diejenigen als zur Organisation
gehörig betrachtet wissen, die sich ausdrücklich zu ihr
bekennen. Dass durch Annahme dieser Senatsforderung
der Bewegung als solcher die Spitze abgebrochen würde,
liegt auf der Hand. Die Hallenser Finkenschaft würde
eine Korporation werden. Andererseits wird es der Be-
wegung schwer halten, ihre Ansprüche einmütig durch-
zusetzen. Während nämlich die einen an der Behauptung
festhalten, Finkenschaft sei Studentenschaft minus Kor-
porationen, schränken andere den Anspruch dahin ein,
dass diejenigen, die von der Organisation nichts wissen
wollen, auch von ihr nicht vertreten werden. Gemein-
sam ist beiden Richtungen, dass sie in der numerischen
Unbestimmbarkeit die Grundlage der Nichtinkorporierten-
Organisationen erblicken. Auf den weiteren Verlauf des
Prinzipienkampfes darf man gespannt sein.
Vorstehende Nachricht, die uns nach Schluss der
Redaktion der letzten Nummer zuging, ist durch folgende
Zuschrift überholt worden:
Die Hallenser Finkenschaft aufgelöst. Die am
Freitag Abend abgehaltene Versammlung der Hallenser
Nichtverbindungsstudenten erhob Einspruch gegen die
von den Hallenser Universitätsbehörden vorgenommene
Satzungsänderung, durch welche die bisherige Organi-
sation der Hallenser Finkenschaft zu einer Korporation
im studentischen Sinne gestempelt wird. Eine derartige
vereinsmässige Verengung der bisher alle freien Studenten
umfassenden Organisation stehe im Widerspruch zu Zweck
und Ziel der Finkenschaft, sowie zu dem von sämtl. Nicht-
inkorporierten-Organisationen verfochtenen Standpunkt.
Aus diesen Gründen beschloss man die sofortige Auf-
lösung der Organisation. Das nicht unbeträchtliche Ver-
mögen sowie ' die Gesamtakten der Finkenschaft sind
Vertrauensmännern überwiesen worden. Das Ergebnis
dieser stürmischen Versammlung ist also die Auflösung
einer der grössten und blühendsten studentischen Organi-
sationen an der Hallenser Universität. Die Aufregung
in studentischen Kreisen ist gross. Man hat keine Er-
90- bis 100000. Castiglioni dagegen hat in seiner Mono-
graphie der Stadt Rom versichert, dass bei dem ersten Census
unter Servius Tullius 222179 Einwohner ermittelt wurden, eine
Zahl, die zweifellos viel zu genau angegeben ist, um richtig
sein zu können. Unter der Bevölkerung von Rom, die zur
Zeit der Republik ständig zunahm, ist die Einwohnerschaft
der eigentlichen, zwischen den Mauern eingeschlossenen Stadt
und des umgebenden römischen Feldes zu verstehen. Im
Anfänge des Kaisertums (28 v. Chr.) soll Rom 1 336 680
Einwohner gehabt haben, aber die verschiedenen Gelehrten,
die Untersuchungen über diese Frage angestellt haben,
weichen sehr von einander ab, und Vossius, Montesquieu
und andere haben sich in ihren Schätzungen sogar bis zu
einer Zahl von annähernd 11 Millionen verstiegen. Für die
ersten Jahrhunderte unserer Zeitrechnung liegen wenig sichere
Angaben vor. Der Umstand, dass zwei Zählungen im Jahre
13 und 47 fast genau dieselbe Ziffer (1241630) ergeben
haben sollen, kann unser Vertrauen in die Genauigkeit dieser
Zahlen nur erschüttern; zudem ist es auffallend, dass nach
einer Zählung, im Jahre 73 unter dem Kaiser Vespasianus
die Bevölkerung von Rom unter der Herrschaft des Augustus
um etwa 200 000 abgenommen haben müsste. Jedenfalls
Heidelberger Akademische Mitteilungen
Nr. 11
Von anderen Hochschulen.
Berlin. Ein Vorwort Professor Harnacks
an die Studenten. Der Verein ,Jugendschutz“ Ber-
lin C., Kaiser Willielmstrasse 39/11. gibt eine neue Aus-
gabe der Schrift des Professors Dr. med. A. Herzen
„Wissenschaft und Sittlichkeit“ heraus. Der Rektor
der Berliner Universität, Adolf Harnack, hat zur neuen
Auflage ein Vorwort an die Studierenden geschrieben,
das wir im Wortlaut folgen lassen: „Kommilitonen! Eure
Zukunft — und sie ist die Zukunft des Vaterlandes ;—
hängt von Eurer sittlichen Kraft und Gesundheit ab.
Viele finstere Mächte bedrohen sie; aber die Gefahr,
welche der Verfasser der nachstehenden Schrift Euch
vor Augen führt ist der grössten eine. Ernst und schlicht
hat er sie Euch vorgestellt, ohne Schleier, aber auch ohne
Uebertreibung. Er wendet sich, indem er zur Selbst-
beherrschung und zum Kampf mahnt, an den guten Geist,
der Euch eingepflanzt ist, und er ruft keinen anderen
Bundesgenossen zur Hilfe als Euch selbst. Von sozialen
Verpflichtungen wird in der Gegenwart-viel gesprochen:
seid gewiss, dass die kräftigste soziale Leistung ein reiner
Lebenswandel ist. Er wird Euren Charakter stählen,
Eure Gesinnung läutern und Eure Thatkraft im Dienste
Anderer steigern. Das Beispiel, welches Ihr gebt, wird
für die Sittlichkeit der anderen Klassen der Gesellschaft
entscheidend sein, denn Ihr seid die zukünftigen Führer.
Mut ist die Tugend der Tugenden; aber Mut fliesst nur
aus innerer Freiheit: wer sich nicht selbst beherrscht,
bleibt immer Knecht. Ueber den Anfängen unserer
deutschen Geschichte steht das Zeugnis des Tacitus:
,Sera iuvenum venus, eoque inexhausta pubertas. Nemo
illic vitia ridet, nec corrumpere et corrumpi saeculum
vocatur.1 Macht dieses Wort endlich wahr! Die Pflicht,
die es einschliesst, ist niemals so gebieterisch gewesen,
wie auf der geschichtlichen Stufe, auf der wir uns heute
befinden. Das zeigt Euch Herzen in diesem Vortrag.
Die Stunde ist da, aufzustehen vom Schlaf, und die
Waffen des Lichts anzulegen. In dieser Rüstung werdet
Ihr unüberwindlich sein und das Vaterland, die Mensch-
heit aus innerer und äusserer Not befreien helfen.“
Halle. Man schreibt uns : Der sogenannten Finken-
schaftsbewegung droht eine Krisis. Diese akademische
Reformströmung sucht bekanntlich alle nichtinkorporier-
ten Studenten zu gemeinsamer Arbeit unter voller Wahrung
der Freiheit des Einzelnen und Anerkennung jedes ehr-
lichen Standpunkts zu Organisationen zusammenzuschlies-
Die Volkszahl von Rom jetzt und einst.
Nach der diesjährigen Volkszählung in Italien giebt
Dr. Battandier im Pariser Cösmos einen interessanten Rück-
blick auf die Volkszahl der „ewigen Stadt“ in den früheren
Jahrhunderten ihrer langen geschichtlichen Entwicklung.
In diesen Zahlen, für die allerdings stellenweise nur eine
geringe Gewähr annähernder Genauigkeit zu Gebote steht,
spiegelt sich der Wechsel von Glück und Unglück, Macht
und Verfall deutlich wieder. In den ältesten Zeiten, als
Rom unter seinen ersten sieben Königen stand, wurden be-
reits Volkszählungen vorgenommen, die erste unter Servius
Tullius im Jahre 186 nach Gründung der Stadt (567 v. Chr.),
und bis zum Beginn unserer Zeitrechnung sollen 73 Volks-
zählungen in Rom stattgefunden haben. Da sie teils wegen
der Steuererhebung, teils wegen der Aushebung für den
Kriegsdienst angestellt wurden und nicht um ihrer selbst
willen, so waren die Ergebnisse wenig zuverlässig und schwan-
kend. De Tournon giebt Rom zur Zeit des ersten Königs
Romulus 16000 Einwohner, unter Numa Pompilius 30 000,
unter Tullns Hostilius 50- bis 60 000, unter Ancus Martius
sen. Solcher Organisationen giebt es zur Zeit 13 auf deut-
schen Hochschulen. Sie nennen sich Finkenschaften,
Wildenschaften oder Freie Studentenschaften. Sie er-
heben den Anspruch, alle nichtinkorporierten Studenten
zu vertreten, weil zu ihren Veranstaltungen, vor allem
zu den Vertretungswahlen, alle Nichtinkorporierten Zu-
tritt haben. Dieser Anspruch ist ihnen mehrfach be-
stritten worden. Namentlich in Halle wollen die
Universitätsbehörden nur diejenigen als zur Organisation
gehörig betrachtet wissen, die sich ausdrücklich zu ihr
bekennen. Dass durch Annahme dieser Senatsforderung
der Bewegung als solcher die Spitze abgebrochen würde,
liegt auf der Hand. Die Hallenser Finkenschaft würde
eine Korporation werden. Andererseits wird es der Be-
wegung schwer halten, ihre Ansprüche einmütig durch-
zusetzen. Während nämlich die einen an der Behauptung
festhalten, Finkenschaft sei Studentenschaft minus Kor-
porationen, schränken andere den Anspruch dahin ein,
dass diejenigen, die von der Organisation nichts wissen
wollen, auch von ihr nicht vertreten werden. Gemein-
sam ist beiden Richtungen, dass sie in der numerischen
Unbestimmbarkeit die Grundlage der Nichtinkorporierten-
Organisationen erblicken. Auf den weiteren Verlauf des
Prinzipienkampfes darf man gespannt sein.
Vorstehende Nachricht, die uns nach Schluss der
Redaktion der letzten Nummer zuging, ist durch folgende
Zuschrift überholt worden:
Die Hallenser Finkenschaft aufgelöst. Die am
Freitag Abend abgehaltene Versammlung der Hallenser
Nichtverbindungsstudenten erhob Einspruch gegen die
von den Hallenser Universitätsbehörden vorgenommene
Satzungsänderung, durch welche die bisherige Organi-
sation der Hallenser Finkenschaft zu einer Korporation
im studentischen Sinne gestempelt wird. Eine derartige
vereinsmässige Verengung der bisher alle freien Studenten
umfassenden Organisation stehe im Widerspruch zu Zweck
und Ziel der Finkenschaft, sowie zu dem von sämtl. Nicht-
inkorporierten-Organisationen verfochtenen Standpunkt.
Aus diesen Gründen beschloss man die sofortige Auf-
lösung der Organisation. Das nicht unbeträchtliche Ver-
mögen sowie ' die Gesamtakten der Finkenschaft sind
Vertrauensmännern überwiesen worden. Das Ergebnis
dieser stürmischen Versammlung ist also die Auflösung
einer der grössten und blühendsten studentischen Organi-
sationen an der Hallenser Universität. Die Aufregung
in studentischen Kreisen ist gross. Man hat keine Er-
90- bis 100000. Castiglioni dagegen hat in seiner Mono-
graphie der Stadt Rom versichert, dass bei dem ersten Census
unter Servius Tullius 222179 Einwohner ermittelt wurden, eine
Zahl, die zweifellos viel zu genau angegeben ist, um richtig
sein zu können. Unter der Bevölkerung von Rom, die zur
Zeit der Republik ständig zunahm, ist die Einwohnerschaft
der eigentlichen, zwischen den Mauern eingeschlossenen Stadt
und des umgebenden römischen Feldes zu verstehen. Im
Anfänge des Kaisertums (28 v. Chr.) soll Rom 1 336 680
Einwohner gehabt haben, aber die verschiedenen Gelehrten,
die Untersuchungen über diese Frage angestellt haben,
weichen sehr von einander ab, und Vossius, Montesquieu
und andere haben sich in ihren Schätzungen sogar bis zu
einer Zahl von annähernd 11 Millionen verstiegen. Für die
ersten Jahrhunderte unserer Zeitrechnung liegen wenig sichere
Angaben vor. Der Umstand, dass zwei Zählungen im Jahre
13 und 47 fast genau dieselbe Ziffer (1241630) ergeben
haben sollen, kann unser Vertrauen in die Genauigkeit dieser
Zahlen nur erschüttern; zudem ist es auffallend, dass nach
einer Zählung, im Jahre 73 unter dem Kaiser Vespasianus
die Bevölkerung von Rom unter der Herrschaft des Augustus
um etwa 200 000 abgenommen haben müsste. Jedenfalls