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Historisch-Philosophischer Verein <Heidelberg> [Hrsg.]
Neue Heidelberger Jahrbücher — 3.1893

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Wunderlich, Hermann: Zur Sprache des neuesten deutschen Schauspiels, [1]: Vortrag gehalten im historisch-philosophischen Verein zu Heidelberg
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https://doi.org/10.11588/diglit.29064#0264
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252

Hermann Wunderlich.

ihnen allen darf doch die stoffliche Abneigung nicht die Augen ver-
schliessen gegenüber etwaigen Fortschritten in der Technik.

Wohl halte ich es für eine Einseitigkeit, die sich nur an einem
litterarischen Brennpunkte so scharf zuspitzen konnte, dass man die
Technik als Selbstzweck auffasst. Und wenn Heine für seine Ansicht, dass
an einem Kunstwerk die Form alles, der Stoff nichts bedeute, jenen Pariser
Schneider anführt, der sich einen Frack ebenso teuer bezahlen liess, wenn
ihm der Stoff geliefert wurde, wie wenn er ihn selbst zu liefern hatte

— „er lasse sich nur die Form bezahlen und den Stoff schenke er“

— so ist dies ein etwas gefährlicher Vergleich, den wir schon im Inter-
esse des neuen Dramas hier nicht weiter fortspinnen wollen.

Aber wir wollen zunächst einmal ganz vom Stoffe abselien und uns
nur der Frage zuwenden, ob die Kunst fortgeschritten ist, ob die Mittel
sich verfeinert haben, den Stoff zu behandeln. Doch auch hier werden
wir immer auf die Gegenwirkungen stossen, mit denen gerade der Stoff'
die Mittel umbildet, die ihn bilden sollten, wie andererseits die Vorliebe
für bestimmte Spielarten in der Entwicklung der Mittel auch bestimmte
Stoffgebiete nahe rückt. Das vornehmste Mittel für den dramatischen
Künstler ist die Handhabung der Sprache, und gleich das Wort
„Sprache“ zeigt uns das eben erwähnte Wechselverhältnis aufs neue.
Denn unter der Sprache eines Schauspiels versteht man vielleicht ebenso
oft den Gehalt, den es darbietet, die Accente, mit denen es uns an-
spricht, als die Worte, die es setzt und zusammenfügt. Wir wollen
eben diese ins Auge fassen.

Hier zeigt sich gleich ein tief gehender Unterschied zwischen Ael-
teren und Heueren. Die Sprache ohne Worte, die Gebärden und
das Mienenspiel, fand auch bei den Aelteren Beachtung; aber Schiller
und Goethe und Andere haben sie mehr dem Schauspieler überlassen
oder in Bühnenanweisungen untergebracht, die Neueren dagegen bevor-
munden nicht blos den Schauspieler bis in die intimsten Einzelheiten
seiner Kunst, sondern sie setzen die Mimik geradezu in den Dialog
selbst ein. In Hauptmanns Friedensfest (Berlin S. Fischer 1890.)
sehen wir im Mittelpunkte der Handlung eine lange stumme Scene, die
im Druck fast eine Seite (S. 39) einnimmt. Die Gebärden, die hier vor-
geschrieben werden, sollen nicht etwa blos die Handlung fortführen
(Robert, plötzlich entschlossen tritt er auf seinen Vater
zu und schüttelt ihm die Hand) oder lebhafte Empfindungen zum
Ausdruck bringen (alle erschrecken u. a.) nein auch für direkte Mit-
teilungen sind sie bestimmt. Und diese beschränken sich nun nicht
 
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