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Maistre Francois Villon.

Von

F. Ed. Sclnieegans.

Die Strahlen der italienischen Renaissance überfluteten Frankreich
am Ende des 15. Jahrhunderts mit solchem Glanze, dass die humanistisch
Gebildeten wie Rabelais aus der Nacht zum Lichte zu erwachen glaubten:
„le temps estoyt encores tenebreux et sentant Linfelicite et calamite des
Gothz qui avoyent mis a destruction tonte bonne literature.“ (Pantagruel
Kap. VIII.) Immer dunkeiere Schatten der Vergessenheit verhüllten den
Augen der Nachwelt die Jahrhunderte des Mittelalters, in denen doch
das Werk der Renaissance mühevoll vorbereitet worden war, und nur
wenige Schriftsteller und die Erinnerung an wenige Dichtungen des
Mittelalters lebten im Andenken der folgenden Jahrhunderte wahrhaft
lebendig fort. Während von gefeierten Dichtern des ausgehenden Mittel-
alters wie Christine de Pisan, Alain Chartier oder dem Lyriker Froissart
nicht viel mehr als der Name erhalten blieb, war das Andenken des
„povre Villon“, des „povre petit escollier“ aus dem 15. Jahrhundert so
frisch und lebendig, dass selbst Boileau ihm einen Ehrenplatz in seinem
Parnass einräumt und, freilich mit Verkennung seines Wesens, ihn als
einen Neuerer und Begründer der kunstvollen Dichtung „in jenen rauhen
Jahrhunderten“ begriisste (Art poetique I, 117 v.) 1). 1533 hatte Clement
Marot die Werke Villon’s auf Betreiben Franz I. herausgegeben. In
dem Vorwort2) erkennt er Villon als seinen Lehrmeister an und erklärt,
dass Villon „vor allen Dichtern seiner Zeit den Lorbeerkranz davonge-
tragen hätte“ (. . . eust empörte le chapeau de laurier devant tous les

1) Dazu bemerkt Ste. Garde, ein Gegner Boileau’s und Verfasser einer „Defense
des beaux esprits de ce temps contre un satirique“ 1675, mit Entrüstung „Voilä
une belle marque de jugement que de louer un voleur, tel que Villon, condamne
(encore par gräce) ä etre banni!“ (Oeuvres de Boileau ed. Berriat-Saint-Prix Bd. II.)

2) Abgedruckt in Oeuvres de Villon ed. Longnon p. GX ff.
 
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