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Maistre Francois Villau

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aufführung leiten und an einem unglückseligen Mönch, der sich weigerte,
priesterliche Gewänder für die mitwirkenden Schauspieler zu liefern,
grausame Rache nehmen. Mit der Rabelais eigenen Kaltblütigkeit und
Objektivität wird erzählt, dass Villon auf den gemächlich auf seinem
Maultier dahinreitenden Mönch die Schar der als Teufel vermummten
Schauspieler hetzte, wobei der Unglückliche von dem scheu gewordenen
Tiere zu Tode geschleift wurde.

In diesem trostlosen Dasein, dessen jammervolle Einzelheiten den
Hintergrund zu Villon’s Dichtung bilden und als Zeitbilder von Inter-
esse sind, ist der Dichter seelisch nicht untergegangen. Zu hohem Ge-
dankenflug ist er zwar wenig veranlagt und sein Lebenstraum ist der
eines Darbenden, unstät Umherirrenden, dem ein genussreiches Dasein,
stille Behaglichkeit, die ihm stets versagt war, als die höchsten Güter
des Lebens erscheinen. Von sinnlichen Trieben hin und hergezerrt, den
Lockungen des Lasters unterliegend, sehen wir ihn willenlos von einer
Niederlage seines besseren Ichs zur anderen fortgerissen. Mit der Be-
weglichkeit impulsiver, sinnlicher und dabei willensschwacher Naturen,
wechseln in ihm die Stimmungen. Sein Leben ist ein Ringen zwischen
dem Geist und dem Fleisch, aber freilich ein Ringen ohne tragische
Grösse. Er fühlte selbst diesen Zwiespalt seines Wesens und war sich
selbst ein Rätsel Je congnois tout, fors que moy-mesmes“ ist der Re-
frain einer Ballade (Poesies diverses, ed. Longnon p. 136 f.). Sein Herz
ist weicheren Regungen und zarten Empfindungen zugänglich. Seines
Oheims und Beschützers, Guillaume de Villon, gedenkt er in rührenden
Worten der Dankbarkeit; er nennt ihn seinen „plus que pere — qui
este m’a plus doulx que mere“ (Gr. Test. Str. LXXVI1). Für seine
„arme Mutter“, deren kindliche Frömmigkeit er innig und schlicht zu
schildern weiss, schreibt er ein Gebet an die Jungfrau Maria, die ein-
zige Zuflucht für ihn und die Mutter, „la povre femme“

Qui pour moy ot douleur amere,

Dieu le scet, et mainte tristesse. (Gr. Test. Str. LXXIX.)

Neben den abstossenden Gestalten der „grosse Margot“, der „Belle
Heaulmiere“ und anderer Dirnen, durchzieht seine Werke die Erinne-
rung an eine reinere, innigere Liebe, die er nicht vergessen kann. An-
mutig schildert er das trauliche Zusammensein mit der Freundin:

„Quoy que ie luy voulsisse dire
Elle estoit preste d’escouter,

Sans m’acorder ne contredire;

Qui plus Q, me souffroit acoter

1) = et qui plus est, noch dazu.
 
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