78 Franz Emanud Weinert
Lernanforderungen adäquate Begabung Voraussetzung ist, so gilt nach den
Aussagen dieses Gutachtenbandes noch mehr der umgekehrte Satz, dass im
Zusammenwirken der Faktoren, durch die Begabung zustande kommt und
sich entwickelt, die richtig angelegten Lehr- und Lernprozesse selbst ent-
scheidende Bedeutung besitzen." (Erdmann 1969 S. 5 f.).
„Man ist nicht begabt, sondern man wird begabt", wurde zur hoffungsvol-
len Maxime, später zur verzweifelten Hoffnung ungezählter Lehrer; die Ega-
lisierung der geistigen Entwicklung unterschiedlicher Menschen durch kom-
pensatorische Bildung wurde zum fundamentalen Ziel vieler Politiker.
Von dieser pädagogischen Vision träumte man nicht nur in der Bundes-
republik Deutschland, sondern auch in Großbritannien, Skandinavien, den
Vereinigten Staaten von Amerika und in vielen anderen Ländern. In den
USA radikalisierte Benjamin Bloom, ein sehr angesehener und einflussrei-
cher Bildungsforscher, die wissenschaftlich höchst spekulative, aber päda-
gogisch für gültig gehaltene Annahme: „Was irgendeine Person in der Welt
lernen kann, kann fast jede Person lernen, vorausgesetzt, dass das frühere
und gegenwärtige Lernen unter angemessenen Bedingungen erfolgt ... die
Theorie bietet eine optimistische Perspektive auf das, was Bildung für Men-
schen leisten kann."
Was für eine pädagogische Utopie; aber auch welch ein psychologisches
Fehlurteil! Theoretische Grundlage der pädagogischen Verheißung Blooms
war die schlichte, in den 60er Jahren systematisch untersuchte Tatsache eines
kompensatorischen Verhältnisses zwischen dem individuellen Niveau der
Lehrvoraussetzungen und der benötigten Lernzeit zur Erreichung eines an-
spruchsvollen Bildungszieles. Wer weniger kann und weniger weiß als ande-
re, muss eben mehr Zeit für zusätzliche, nachholende und ergänzende Lern-
schritte investieren, um jene Aufgaben meistern zu können, die bessere
Schüler bereits früher beherrschen. Man spricht deshalb vom Modell des
zielerreichenden Lernens und Lehrens, das aber erst in Verbindung mit der
theoretischen Annahme praktischen Sinn macht, dass nämlich die zusätzlich
benötigte Lernzeit als Funktion des vorhergehenden systematischen Lernens
kontinuierlich abnimmt. Diese Erwartung konnte empirisch nicht bestätigt
werden! Ein statistischer Witzbold hatte deshalb schon früh errechnet, dass
man die Schulzeit einfach auf einhundertzwanzig Jahre verlängern müsste,
damit jeder und jede Heranwachsende einen universitären Abschluss erreicht.
Aus dem umfangreichen und vielfältigen seriösen Forschungsbemühun-
gen zu dieser Thematik mussten die Verfechter einer pädagogischen Egali-
sierungsillusion mehr oder mindestens resignativ oder aggressiv zur Kenntnis
nehmen, dass das Modell des zielerreichenden Lernens zwar für umschrie-
bene Bildungsziele - z.B. beim Erwerb des Lesens, des Schreibens oder der
Arithmetik - brauchbar und sogar notwendig ist, dass aber auch unter op-
timalen schulischen Bedingungen gilt: Hält man bei unterschiedlich begab-
Lernanforderungen adäquate Begabung Voraussetzung ist, so gilt nach den
Aussagen dieses Gutachtenbandes noch mehr der umgekehrte Satz, dass im
Zusammenwirken der Faktoren, durch die Begabung zustande kommt und
sich entwickelt, die richtig angelegten Lehr- und Lernprozesse selbst ent-
scheidende Bedeutung besitzen." (Erdmann 1969 S. 5 f.).
„Man ist nicht begabt, sondern man wird begabt", wurde zur hoffungsvol-
len Maxime, später zur verzweifelten Hoffnung ungezählter Lehrer; die Ega-
lisierung der geistigen Entwicklung unterschiedlicher Menschen durch kom-
pensatorische Bildung wurde zum fundamentalen Ziel vieler Politiker.
Von dieser pädagogischen Vision träumte man nicht nur in der Bundes-
republik Deutschland, sondern auch in Großbritannien, Skandinavien, den
Vereinigten Staaten von Amerika und in vielen anderen Ländern. In den
USA radikalisierte Benjamin Bloom, ein sehr angesehener und einflussrei-
cher Bildungsforscher, die wissenschaftlich höchst spekulative, aber päda-
gogisch für gültig gehaltene Annahme: „Was irgendeine Person in der Welt
lernen kann, kann fast jede Person lernen, vorausgesetzt, dass das frühere
und gegenwärtige Lernen unter angemessenen Bedingungen erfolgt ... die
Theorie bietet eine optimistische Perspektive auf das, was Bildung für Men-
schen leisten kann."
Was für eine pädagogische Utopie; aber auch welch ein psychologisches
Fehlurteil! Theoretische Grundlage der pädagogischen Verheißung Blooms
war die schlichte, in den 60er Jahren systematisch untersuchte Tatsache eines
kompensatorischen Verhältnisses zwischen dem individuellen Niveau der
Lehrvoraussetzungen und der benötigten Lernzeit zur Erreichung eines an-
spruchsvollen Bildungszieles. Wer weniger kann und weniger weiß als ande-
re, muss eben mehr Zeit für zusätzliche, nachholende und ergänzende Lern-
schritte investieren, um jene Aufgaben meistern zu können, die bessere
Schüler bereits früher beherrschen. Man spricht deshalb vom Modell des
zielerreichenden Lernens und Lehrens, das aber erst in Verbindung mit der
theoretischen Annahme praktischen Sinn macht, dass nämlich die zusätzlich
benötigte Lernzeit als Funktion des vorhergehenden systematischen Lernens
kontinuierlich abnimmt. Diese Erwartung konnte empirisch nicht bestätigt
werden! Ein statistischer Witzbold hatte deshalb schon früh errechnet, dass
man die Schulzeit einfach auf einhundertzwanzig Jahre verlängern müsste,
damit jeder und jede Heranwachsende einen universitären Abschluss erreicht.
Aus dem umfangreichen und vielfältigen seriösen Forschungsbemühun-
gen zu dieser Thematik mussten die Verfechter einer pädagogischen Egali-
sierungsillusion mehr oder mindestens resignativ oder aggressiv zur Kenntnis
nehmen, dass das Modell des zielerreichenden Lernens zwar für umschrie-
bene Bildungsziele - z.B. beim Erwerb des Lesens, des Schreibens oder der
Arithmetik - brauchbar und sogar notwendig ist, dass aber auch unter op-
timalen schulischen Bedingungen gilt: Hält man bei unterschiedlich begab-