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Brodersen, Kai; Wink, Michael [Hrsg.]; Bartram, Claus R. [Hrsg.]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Hrsg.]
Heidelberger Jahrbücher: Vererbung und Milieu — Berlin [u.a.], 45.2001

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.4063#0309

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Das Erbe der chinesischen Lyriktradition in neuer „Poetic Prose"
(shuqing sanwen) der Republikzeit (1911-1942)

VON GOAT KOEI LANG-TAN

Kurzzusammenfassung

„Poetic Prose" ist ein Begriff aus der englischen Stilkunde. Er
wird auch als Genre-Bezeichnung gebraucht. Die chinesische
„poetic prose", shuqing sanwen, ist ein Sub-Genre der komple-
xen literarischen Gattung sanwen, deren Existenz sich spätes-
tens schon in der Han-Zeit (206 v. Chr.-22i) belegen lässt. Die
neue „poetic prose" der Republikzeit ist ein Bestandteil der Neu-
en Literatur Chinas (Zhongguo xinwenxue). Für ihre Entste-
hung spielt Chinas Begegnung mit dem Westen des neunzehn-
ten Jahrhunderts eine wichtige Rolle: Sie führt zur begeisterten
Aufnahme der europäischen Literatur und Wiederentdeckung
der eigenen Literaturtradition. Diese zeitgeschichtlichen und
kulturellen Rahmenbedingungen bilden das „Milieu" für die
Entstehung der neuen chinesischen „poetic prose". Im vorlie-
genden Beitrag wird aufgezeigt, inwiefern die von der europäi-
schen Literatur angeregte, neue chinesische „poetic prose" das
Erbe der eigenen Lyriktradition aufweist.

1. Das „Reich der Mitte" und die übrige Welt

In einer japanischen Tuschemalerei aus dem fünfzehnten Jahrhundert, der
Essigprobe,' werden jene drei verschiedenen Geisteshaltungen versinnbild-
licht, die das chinesische Weltbild weitgehend bis zum Ende der Republik-
zeit (1942) bestimmen: Die daoistische, konfuzianische und buddhistische
Lehre. Es ist allgemein bekannt, dass die in China vom sechsten Jahrhundert
bis zur Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts verbreiteten wichtigsten Schulen

Das Bild stammt von Kano Motonobu (1476-1559); vgl. Abbildung und Interpretation dazu
in Debon, Günther/Speiser, Werner (Hrsg.) 1957: Chinesische Geisteswelt. Von Konfuzius bis
Mao Tse-tung, Baden-Baden: Holle, 160-161.
 
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