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Pfetsch, Frank R. [Editor]; Bubner, Rüdiger [Editor]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Editor]
Heidelberger Jahrbücher: Konflikt — Berlin, Heidelberg [u.a.], 48.2004 (2005)

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.2229#0138

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Amnestie und Vergebung.
Für eine Trennung von Ethik und Politik

BARBARA CASSIN

„How to turn human wrongs into human rights"
(anonymes Graffito)

Trennung und Vermischung

Ich möchte mit einem Satz beginnen, dessen Sinn zu ergründen ich einfach
nicht müde werde, einen Satz von Plutarch, der ein Gesetz Solons kommen-
tiert, welches verbietet, schlecht über die Toten zu reden: „Es ist etwas Politi-
sches, dem Hass seine Dauer zu nehmen" (Leben des Solon, 21). Der Hass und
das Böse, genauer: eine Inszenierung des Hasses durch ein Reden, ein
Schlecht-Reden, ist, versteht man den Satz recht, nicht etwas Ethisches, son-
dern etwas Politisches.

Der Film von Andre Van In über die „Wahrheits- und Versöhnungskom-
mission"1 schildert in der ersten Szene die Ermordung eines gewissen Mbeki.
Die Kommissionsbeauftragte Yasmin Sooka leitet die Verhandlung. Die Mut-
ter und die Witwe bezeugen, was sie gesehen haben: Leichenteile von Mbeki
überall in der Garage. Die Witwe sagt schließlich: „Wie könnte ich diesem
grausamen Mörder vergeben?"

Yasmin Sooka antwortet sehr leise etwa folgendermaßen: „Diese Leute for-
dern zwar die Amnestie, aber Sie sind nicht verpflichtet, Ihnen zu vergeben".
Sie sind keineswegs verpflichtet, ihnen zu verzeihen, wir aber, wir werden sie
begnadigen. Von dieser Entkoppelung von Vergebung und Amnestie möchte
ich ausgehen, weil sie in meiner Sicht trotz aller Theatralik eines der außerge-
wöhnlichsten Merkmale der „Kommission für Wahrheit und Versöhnung"
darstellt. Sie führt uns mitten in das Problemfeld, an die Grenzlinie zwischen
Ethischem und Politischem, der ich zu folgen versuchen möchte.

Dieser Film Die Wahrheitskommission, der durch seine Schlichtheit und sein Verständnis der Tatsachen
beeindruckt, wurde von Andre Van In am 11. Juni 2003 im Saal Dussan in der Ecole Normale Superieure
gezeigt; einige Szenen wurden am 13. Juni kommentiert, namentlich von Alain Badiou und Antoine Ga-
rapon, aber auch von Ilan Lax, Yasmin Sooka, Charles Villa-Vicencio, selbst „Schauspieler" in diesem
Film.
 
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