Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Pfetsch, Frank R. [Hrsg.]; Bubner, Rüdiger [Hrsg.]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Hrsg.]
Heidelberger Jahrbücher: Konflikt — Berlin, Heidelberg [u.a.], 48.2004 (2005)

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.2229#0193

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
184 Klaus Fiedler und Thomas Haar

klären und überprüfen und sogar systematisch beeinflussen lassen. Um sie zu
erforschen, benötigt man oft keine weltbewegenden, existentiellen Probleme,
die aus ethischen und pragmatischen Gründen ohnehin nicht experimentell
kontrolliert und systematisch untersucht werden können. Vielmehr sind die
Strukturen, die hinter den meisten Konflikten stehen und die dafür verant-
wortlich sind, dass sie wie Pilze immer wieder nachwachsen und oft so schwer
zu überwinden sind, oft auch in kleinen, unbedeutenden Konflikten zu er-
kennen, die man ganz leicht in experimentellen Spielen herstellen und simu-
lieren kann. Realitätsnähe ist gar nicht unbedingt erforderlich, um Konflikte
theoretisch zu analysieren und empirisch zu erforschen. Wie sich dabei her-
ausstellt, erweisen sich Persönlichkeitsfaktoren wie Intoleranz, emotionale
Zustände wie Hass und Misstrauen oder egoistische Tendenzen wie Geldgier
und Leidenschaft dabei gar nicht als notwendige Bedingungen. Hinreichend
sind schon viel subtilere Bedingungen in der Umwelt, in den sozialen Struk-
turen und in der kognitiven Ausstattung des Menschen. Auch ohne schwer-
wiegende Konfliktquellen wie Ressentiments, Frustrationen, Fremdenhass,
knappe Ressourcen oder unvereinbare Ideologien entstehen Konflikte als
ganz normale Folge sozialer und ökologischer Strukturen immer wieder und
nach festen Gesetzen, unabhängig von Emotionen, existentiellen Bedrohun-
gen und von der Persönlichkeit der Beteiligten. Hierin steckt etwas sehr Pes-
simistisches und etwas sehr Optimistisches. Einerseits muss man sich damit
abfinden, dass konfliktgenerierende Strukturen ein völlig normaler Teil der
Realität sind. Andererseits verlieren Konflikte bald ihren schlimmen und be-
drohlichen Charakter, wenn man ihre Normalität und Natürlichkeit erst ein-
mal erkannt und verstanden hat.

Im verbleibenden Teil dieses Artikels wollen wir diese zugegebenermaßen
etwas abstrakten Aussagen durch psychologische Erkenntnisse aus verschie-
denen Bereichen der Konfliktforschung konkretisieren und illustrieren. Nach
einer kurzen Vorbemerkung über reale Interessenkonflikte, deren Bedeutung
wir keineswegs bestreiten wollen, wenden wir uns den subtileren, aber inter-
essantesten Konflikten zu, die im Grunde gar keine manifeste Ursache haben,
sondern mehr im symbolischen Verhalten entstehen, als Teil des Bemühens
um soziale Identität. Danach wenden wir uns dem Schlüsselbegriff des Di-
lemmas zu und verdeutlichen, dass die soziale, ökonomische, politische und
ökologische Welt voller Dilemmata steckt, die zwangsläufig Konflikte generie-
ren. Andere Strukturen, die ständig gegensätzliche Perspektiven und Welt-
sichten erzeugen und damit unweigerlich zu Konflikten führen, sind Infor-
mationsgefälle, das menschliche System der Informationsverarbeitung, Re-
geln der Sprache und Kommunikation sowie die Art und Weise, wie Men-
schen - ob Experten oder Laien - Hypothesen testen, wobei verschiedene
Menschen zugleich Bestätigung für verschiedene Hypothesen finden. - All
diesen Forschungsthemen gemeinsam ist die Einsicht, dass es für viele Kon-
flikte völlig normale, strukturelle Gründe gibt. Erkennt man diese Gründe,
 
Annotationen