VI. DIE ANTIQUARISCHEN WERKE ZU RELIEFS
Das Bilderrepertoire der Antike ist Renaissance
und Barock, von Münzen abgesehen, maßgeblich
durch die Gattung der Reliefs vermittelt worden.1
Die Anzahl der erhaltenen Reliefs und die
Geschlossenheit der jeweiligen Komposition über-
trafen im 16. Jahrhundert die erhaltenen Überreste
der antiken römischen Malerei und die der unver-
sehrt überkommenen Statuen. Aufgrund der zahl-
reichen Attribute und vielgestaltigen Darstellungen
bekannter Mythen aus der antiken Literatur boten
die Reliefs zusätzliche Ansatzpunkte, die ein ver-
mehrtes Interesse bei Antiquaren und Künstlern
hervorriefen.2 Sie lieferten Informationen beispiels-
weise über Architektur, Bautechnik, Schiffswesen,
Kriegführung, Opferrituale, Triumphzüge, Rüstung
und Waffen, Kleidung und Geräte. Künstlern stell-
ten sie ein unvergleichliches Repertoire von Figuren,
Kompositionen und Motiven zur Verfügung.3
»Andererseits fehlten die den Münzen beige-
schriebenen Legenden, was eine hermeneutische
Fragestellung und die Entwicklung spezifischer
Methoden begünstigte«.4 Daher beherrschen
Reliefwiedergaben die antiquarische Forschung
und ihre enzyklopädischen Corpora, wie bei-
spielsweise die Codices Coburgensis, Phigianus
oder Ursinianusd
Im 15. Jahrhundert galten die antiken Reliefs als
Meisterwerke der antiken Kunst, denn die allge-
meine Vorstellung über Plastik war noch weitge-
hend an Reliefs und an reliefartige Rundskulpturen
gebunden.6 So wurden sie berühmten Meistern der
griechischen Kunst zugeschrieben, häufig Poly-
klet,7 wie beispielsweise das »Letto di Policleto«
aus der Sammlung des Florentiner Bildhauers
Lorenzo Ghibertis (1378-1455). Dieses vermeint-
lich polykletische Relief gehörte im 16.
Jahrhundert zu den begehrtesten antiken Relikten.
Es befand sich in dieser Zeit in der Sammlung des
Giovanni Gaddi, danach in der des Rudolfo Pio
da Carpi; von dort kam es in die des Ippolito II. d’
Este nach Ferrara. Zuletzt ist es in der Kunstkam-
mer Kaiser Rudolf II. in Prag nachweisbar. Der
Grund für die Zuschreibung an Polyklet ist bis
heute unklar, von Ghiberti selbst stammt sie nicht.
Erst in den Quellen des 16. Jahrhunderts, im
Anonymo Magliabechiano sowie bei Giorgio
Vasari und Pirro Ligorio, wird es als Werk
Polyklets bezeichnet.8 Das römische Relief zeigt
einen auf einer Kline ruhenden Mann, dessen
Körper von einer Zudecke verhüllt wird. Eine auf
der Kline sitzende nackte Frau hebt die Zudecke
an. Aus sich heraus läßt die Darstellung des »Letto
di Policleto« keine mythologische Interpretation
zu.9 Es war schon ein umfangreiches altertums-
wissenschaftliches Wissen erforderlich, um wie
Ligorio in einer allegorischen Mythenauslegung
des Motivs das Urbild der Schönheit (Venus) mit
dem Archetyp des schöpferischen Künstlers
(Vulcanus), hier vereint in ehelicher Liebe, zu er-
kennnen.10
Noch bis zum Ende des 17. Jahrhunderts mein-
ten die Antiquare, Werke von Phidias und Polyklet
in den antiken Reliefs fassen zu können.11 Dies hing
damit zusammen, daß der Begriff »Relief« in seiner
umfassenden Bedeutung der Antike nicht bekannt
war, aber hinter dem griechischen TÖQSvpa und dem
lateinischen caelatura vermutet wurde.12 Die
Reliefkunde im Sinne von Zeichnungssammlungen
galt daher als Toreumatographie.13 Das Programm
der Vitruvianischen Akademie von 1542 sah für die
Reliefs zwei Bände vor; Buch 11 sollte die in Rom
befindlichen Sarkophagreliefs darstellen, und zwar
in Form einer genauen archäologischen Aufnahme,
die nichts ändert oder ergänzt. Die zeichnerischen
Darstellungen sollten sowohl von Erläuterungen
zu den historischen oder mythologischen Szenen
und Gebräuchen begleitet werden, als auch von ei-
ner Beurteilung der Skulpturen nach ihrer künst-
lerischen Qualität.14 Im 13. Buch sollten die son-
stigen Reliefs auf Friesen und Tafeln neu aufge-
nommen werden, und zwar nach demselben
Verfahren wie die Sarkophagreliefs. Raffael analy-
sierte schon in der zwischen 1517 und 1519 ver-
faßten Epistola an Leo X. den Konstantinsbogen
nach künstlerischer Qualität und stilistischen
Kriterien. Der Bogen ist aus Spolien unterschied-
licher Epochen der römischen Kaiserzeit zusam-
mengesetzt. Raffael weist die Reliefs den
Regierungszeiten Trajans, Hadrians, Mark Aurels
und Konstantins zu.15 Da die antiken Quellen über
die unterschiedlichen Stile an diesem Bauwerk
nichts berichten, können deren stilistische Unter-
Antiquarische Werke zu Reliefs 133
Das Bilderrepertoire der Antike ist Renaissance
und Barock, von Münzen abgesehen, maßgeblich
durch die Gattung der Reliefs vermittelt worden.1
Die Anzahl der erhaltenen Reliefs und die
Geschlossenheit der jeweiligen Komposition über-
trafen im 16. Jahrhundert die erhaltenen Überreste
der antiken römischen Malerei und die der unver-
sehrt überkommenen Statuen. Aufgrund der zahl-
reichen Attribute und vielgestaltigen Darstellungen
bekannter Mythen aus der antiken Literatur boten
die Reliefs zusätzliche Ansatzpunkte, die ein ver-
mehrtes Interesse bei Antiquaren und Künstlern
hervorriefen.2 Sie lieferten Informationen beispiels-
weise über Architektur, Bautechnik, Schiffswesen,
Kriegführung, Opferrituale, Triumphzüge, Rüstung
und Waffen, Kleidung und Geräte. Künstlern stell-
ten sie ein unvergleichliches Repertoire von Figuren,
Kompositionen und Motiven zur Verfügung.3
»Andererseits fehlten die den Münzen beige-
schriebenen Legenden, was eine hermeneutische
Fragestellung und die Entwicklung spezifischer
Methoden begünstigte«.4 Daher beherrschen
Reliefwiedergaben die antiquarische Forschung
und ihre enzyklopädischen Corpora, wie bei-
spielsweise die Codices Coburgensis, Phigianus
oder Ursinianusd
Im 15. Jahrhundert galten die antiken Reliefs als
Meisterwerke der antiken Kunst, denn die allge-
meine Vorstellung über Plastik war noch weitge-
hend an Reliefs und an reliefartige Rundskulpturen
gebunden.6 So wurden sie berühmten Meistern der
griechischen Kunst zugeschrieben, häufig Poly-
klet,7 wie beispielsweise das »Letto di Policleto«
aus der Sammlung des Florentiner Bildhauers
Lorenzo Ghibertis (1378-1455). Dieses vermeint-
lich polykletische Relief gehörte im 16.
Jahrhundert zu den begehrtesten antiken Relikten.
Es befand sich in dieser Zeit in der Sammlung des
Giovanni Gaddi, danach in der des Rudolfo Pio
da Carpi; von dort kam es in die des Ippolito II. d’
Este nach Ferrara. Zuletzt ist es in der Kunstkam-
mer Kaiser Rudolf II. in Prag nachweisbar. Der
Grund für die Zuschreibung an Polyklet ist bis
heute unklar, von Ghiberti selbst stammt sie nicht.
Erst in den Quellen des 16. Jahrhunderts, im
Anonymo Magliabechiano sowie bei Giorgio
Vasari und Pirro Ligorio, wird es als Werk
Polyklets bezeichnet.8 Das römische Relief zeigt
einen auf einer Kline ruhenden Mann, dessen
Körper von einer Zudecke verhüllt wird. Eine auf
der Kline sitzende nackte Frau hebt die Zudecke
an. Aus sich heraus läßt die Darstellung des »Letto
di Policleto« keine mythologische Interpretation
zu.9 Es war schon ein umfangreiches altertums-
wissenschaftliches Wissen erforderlich, um wie
Ligorio in einer allegorischen Mythenauslegung
des Motivs das Urbild der Schönheit (Venus) mit
dem Archetyp des schöpferischen Künstlers
(Vulcanus), hier vereint in ehelicher Liebe, zu er-
kennnen.10
Noch bis zum Ende des 17. Jahrhunderts mein-
ten die Antiquare, Werke von Phidias und Polyklet
in den antiken Reliefs fassen zu können.11 Dies hing
damit zusammen, daß der Begriff »Relief« in seiner
umfassenden Bedeutung der Antike nicht bekannt
war, aber hinter dem griechischen TÖQSvpa und dem
lateinischen caelatura vermutet wurde.12 Die
Reliefkunde im Sinne von Zeichnungssammlungen
galt daher als Toreumatographie.13 Das Programm
der Vitruvianischen Akademie von 1542 sah für die
Reliefs zwei Bände vor; Buch 11 sollte die in Rom
befindlichen Sarkophagreliefs darstellen, und zwar
in Form einer genauen archäologischen Aufnahme,
die nichts ändert oder ergänzt. Die zeichnerischen
Darstellungen sollten sowohl von Erläuterungen
zu den historischen oder mythologischen Szenen
und Gebräuchen begleitet werden, als auch von ei-
ner Beurteilung der Skulpturen nach ihrer künst-
lerischen Qualität.14 Im 13. Buch sollten die son-
stigen Reliefs auf Friesen und Tafeln neu aufge-
nommen werden, und zwar nach demselben
Verfahren wie die Sarkophagreliefs. Raffael analy-
sierte schon in der zwischen 1517 und 1519 ver-
faßten Epistola an Leo X. den Konstantinsbogen
nach künstlerischer Qualität und stilistischen
Kriterien. Der Bogen ist aus Spolien unterschied-
licher Epochen der römischen Kaiserzeit zusam-
mengesetzt. Raffael weist die Reliefs den
Regierungszeiten Trajans, Hadrians, Mark Aurels
und Konstantins zu.15 Da die antiken Quellen über
die unterschiedlichen Stile an diesem Bauwerk
nichts berichten, können deren stilistische Unter-
Antiquarische Werke zu Reliefs 133