III. DIE ANTIQUARISCHEN WERKE ZUR TOPOGRAPHIE ROMS
Schon in der Antike war Rom eine der am meisten
beschriebenen Städte, und einige der Rombeschrei-
bungen, etwa in den Werken des Livius oder Varro,1
hatten besonderen Einfluß auf die nachantike
Entwicklung dieser Gattung. Das Christentum
prägte diese literarische Tradition, indem auch christ-
liche Monumente in die Beschreibung aufgenom-
men wurden. Seitdem war in der Literatur der
Rombeschreibung eine doppelte Entwicklung zu
beobachten: Einerseits bildete sich eine Tradition
von katalogartigen Führern durch die wichtigsten
Kirchen der Stadt heraus, zusammengestellt aus vor-
rangig praktischen Gründen für die zahlreichen
Pilger, andererseits entwickelte sich eine Literatur,
die sowohl die antiken Monumente als auch christ-
liche Bauten beschrieb.2 Diese Gattung wird für die
vorliegende Untersuchung herangezogen, weil sich
hieraus die wissenschaftliche Beschreibung des an-
tiken Rom entwickelt hat.3
Das bekannteste Vorbild dieser Gattung waren
die Mirabilia urbis Romae, deren Text um die Mitte
der 12. Jahrhunderts nachgewiesen ist. Die frühen
Handschriften der Mirabilia bieten einen relativ ein-
heitlichen Textbestand, aus dem die Forschung ei-
nen Urtext rekonstruieren konnte, der aus drei
Teilen besteht: Der erste Teil verzeichnet, systema-
tisch nach Sachgruppen geordnet, antike
Gegebenheiten der Stadt, zumeist Bauwerke.
Aufgeführt werden neben der Mauer und den
Türmen der Stadt die »Portae, Arcus Triumphales,
Montes, Thermae, Palatia, Theatra, Loca, quae in-
veniuntur in passionibus sanctorum, Pontes,
Cimiteria, Judices und Aguliae«.4 Die Kapitel die-
ses ersten Teils sind ähnlich auf gebaut: Nach einer
allgemeinen Überschrift folgen die Namen der ein-
zelnen Monumente, zum Teil durch zusätzliche to-
pographische Angaben ergänzt. Innerhalb einiger
Kapitel ist eine topographische Anordnung er-
kennbar, z. B. werden die Tore gegen den
Uhrzeigersinn aufgeführt. Der zweite Teil überlie-
fert einige Legenden, die sich auf antike Bauwerke
beziehen, wie z. B. die der Philosophen Praxiteles
und Phidias, welchen von Kaiser Tiberius wegen ih-
rer hellseherischen Fähigkeiten angeblich zwei
Statuen errichtet worden seien,5 oder des Präfekten
Agrippa, welcher der Göttin Kybele einen Tempel
errichtet habe, da sie ihm im Krieg gegen die Perser
geholfen habe. Der dritte Teil ist eine Art Rundgang
durch die Stadt, in dem weitere antike Bauten ge-
nannt werden, vor allem Tempel und Paläste. Anders
als im ersten werden in diesem Teil die Bauwerke
nicht systematisch nach Sachgruppen, sondern in
topographischer Reihenfolge folgendermaßen ge-
ordnet: Vaticanus, Campus Martins, Capitolium,
Fora, Forum Romanum, Palatinus, Colosseum,
Aventinus, Celius, Lateranus, Esquilinus, Viminalis,
Quirinalis und Transtiberim. In seinem allgemein
gehaltenen Schlußwort gibt der Verfasser an, daß er
die »templa et palatia« der Stadt zur späteren
Erinnerung zusammengestellt habe.
Seit Mitte des 14. Jahrhunderts entstanden einige
»Übergangstraktate«6 wie das um 1425 erschienene
Buch des römischen Stadtschreibers Nicolaus
Signorili De excellentiis urbis Romae. Erst Gian
Francesco Poggio Bracciolini (1380-1459) gelang es
in seinem 1448 abgeschlossenen Werk De fortunae
varietate, die Rombeschreibungen aus den Fesseln
der Mirabilia zu befreien, indem er sie auf der Basis
der klassischen Autoren zu korrigieren versuchte.
Flavio Biondo (1388-1463) setzte dann mit seiner
zur selben Zeit geschriebenen Roma instaurata, die
erst 1481 erschien,7 neue Maßstäbe. Biondo wertete
neben Cicero, Livius, Plinius dem Älteren und dem
Jüngeren, Sallust und Tacitus zum ersten Mal die
Publius Victor und Sextus Rufus zugeschriebenen
Konstantinischen Regionenbeschreibungen8 und
den Commentarius de aquis des Frontinus als
Quellen aus.9 Dabei bezog er schon eigene archäo-
logische Beobachtungen vor Ort mit ein10 und ord-
nete seine Darstellung, wie in den Mirabilia, syste-
matisch nach Sachgruppen.11
1. Die antiquarischen Werke
Ende 1513 veröffentlichte Andrea Fulvio12 sein
Gedicht Antiquaria varia urbis, das Papst Leo X.
gewidmet war. Dieser ermutigte ihn, eine ausführ-
lichere Version zu verfassen. So nahm er an dem von
Leo X. angeregten und von Raffael geleiteten Projekt
teil, die antike Stadt Rom darzustellen. Der geplante
Inhalt dieses Projektes ist bekannt, da Raffael ge-
Antiquarische Werke zur Topographie 51
Schon in der Antike war Rom eine der am meisten
beschriebenen Städte, und einige der Rombeschrei-
bungen, etwa in den Werken des Livius oder Varro,1
hatten besonderen Einfluß auf die nachantike
Entwicklung dieser Gattung. Das Christentum
prägte diese literarische Tradition, indem auch christ-
liche Monumente in die Beschreibung aufgenom-
men wurden. Seitdem war in der Literatur der
Rombeschreibung eine doppelte Entwicklung zu
beobachten: Einerseits bildete sich eine Tradition
von katalogartigen Führern durch die wichtigsten
Kirchen der Stadt heraus, zusammengestellt aus vor-
rangig praktischen Gründen für die zahlreichen
Pilger, andererseits entwickelte sich eine Literatur,
die sowohl die antiken Monumente als auch christ-
liche Bauten beschrieb.2 Diese Gattung wird für die
vorliegende Untersuchung herangezogen, weil sich
hieraus die wissenschaftliche Beschreibung des an-
tiken Rom entwickelt hat.3
Das bekannteste Vorbild dieser Gattung waren
die Mirabilia urbis Romae, deren Text um die Mitte
der 12. Jahrhunderts nachgewiesen ist. Die frühen
Handschriften der Mirabilia bieten einen relativ ein-
heitlichen Textbestand, aus dem die Forschung ei-
nen Urtext rekonstruieren konnte, der aus drei
Teilen besteht: Der erste Teil verzeichnet, systema-
tisch nach Sachgruppen geordnet, antike
Gegebenheiten der Stadt, zumeist Bauwerke.
Aufgeführt werden neben der Mauer und den
Türmen der Stadt die »Portae, Arcus Triumphales,
Montes, Thermae, Palatia, Theatra, Loca, quae in-
veniuntur in passionibus sanctorum, Pontes,
Cimiteria, Judices und Aguliae«.4 Die Kapitel die-
ses ersten Teils sind ähnlich auf gebaut: Nach einer
allgemeinen Überschrift folgen die Namen der ein-
zelnen Monumente, zum Teil durch zusätzliche to-
pographische Angaben ergänzt. Innerhalb einiger
Kapitel ist eine topographische Anordnung er-
kennbar, z. B. werden die Tore gegen den
Uhrzeigersinn aufgeführt. Der zweite Teil überlie-
fert einige Legenden, die sich auf antike Bauwerke
beziehen, wie z. B. die der Philosophen Praxiteles
und Phidias, welchen von Kaiser Tiberius wegen ih-
rer hellseherischen Fähigkeiten angeblich zwei
Statuen errichtet worden seien,5 oder des Präfekten
Agrippa, welcher der Göttin Kybele einen Tempel
errichtet habe, da sie ihm im Krieg gegen die Perser
geholfen habe. Der dritte Teil ist eine Art Rundgang
durch die Stadt, in dem weitere antike Bauten ge-
nannt werden, vor allem Tempel und Paläste. Anders
als im ersten werden in diesem Teil die Bauwerke
nicht systematisch nach Sachgruppen, sondern in
topographischer Reihenfolge folgendermaßen ge-
ordnet: Vaticanus, Campus Martins, Capitolium,
Fora, Forum Romanum, Palatinus, Colosseum,
Aventinus, Celius, Lateranus, Esquilinus, Viminalis,
Quirinalis und Transtiberim. In seinem allgemein
gehaltenen Schlußwort gibt der Verfasser an, daß er
die »templa et palatia« der Stadt zur späteren
Erinnerung zusammengestellt habe.
Seit Mitte des 14. Jahrhunderts entstanden einige
»Übergangstraktate«6 wie das um 1425 erschienene
Buch des römischen Stadtschreibers Nicolaus
Signorili De excellentiis urbis Romae. Erst Gian
Francesco Poggio Bracciolini (1380-1459) gelang es
in seinem 1448 abgeschlossenen Werk De fortunae
varietate, die Rombeschreibungen aus den Fesseln
der Mirabilia zu befreien, indem er sie auf der Basis
der klassischen Autoren zu korrigieren versuchte.
Flavio Biondo (1388-1463) setzte dann mit seiner
zur selben Zeit geschriebenen Roma instaurata, die
erst 1481 erschien,7 neue Maßstäbe. Biondo wertete
neben Cicero, Livius, Plinius dem Älteren und dem
Jüngeren, Sallust und Tacitus zum ersten Mal die
Publius Victor und Sextus Rufus zugeschriebenen
Konstantinischen Regionenbeschreibungen8 und
den Commentarius de aquis des Frontinus als
Quellen aus.9 Dabei bezog er schon eigene archäo-
logische Beobachtungen vor Ort mit ein10 und ord-
nete seine Darstellung, wie in den Mirabilia, syste-
matisch nach Sachgruppen.11
1. Die antiquarischen Werke
Ende 1513 veröffentlichte Andrea Fulvio12 sein
Gedicht Antiquaria varia urbis, das Papst Leo X.
gewidmet war. Dieser ermutigte ihn, eine ausführ-
lichere Version zu verfassen. So nahm er an dem von
Leo X. angeregten und von Raffael geleiteten Projekt
teil, die antike Stadt Rom darzustellen. Der geplante
Inhalt dieses Projektes ist bekannt, da Raffael ge-
Antiquarische Werke zur Topographie 51