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Heiberg, Johan L.
Geschichte der Mathematik und Naturwissenschaften im Altertum — München, 1925

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https://doi.org/10.11588/diglit.23924#0013
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I. Mathematik

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unmöglich machen, den eigenen Anteil des Pythagoras zu bestimmen,1
beweist doch das älteste mathematische Dokument, das wir besitzen, die
Mondquadraturen des Hippokrates, daß schon in der ersten Hälfte des
5. Jahrhunderts bedeutende Ergebnisse erreicht waren, und die müssen
den Pythagoreern vindiziert werden und stimmen vollkommen zu den
erhaltenen direkten Nachrichten.

Da Pythagoras, wahrscheinlich veranlaßt durch die Entdeckung der Ab-
hängigkeit der Töne von einfachen Zahlenverhältnissen, das Wesen der
Dinge in der Zahl erblickte, hat ohne Zweifel anfangs die Arithmetik im
Vordergrund des Interesses seiner Schule gestanden. Zwar verlief sie sich
bald in mystisch-phantastische Zahlenspekulationen, aber daneben hat sie
viele wichtige zahlentheoretische Sätze gefunden und u. a. die Proportions-
lehre ausgebidet. Beim weiteren Vordringen stießen die Pythagoreer aber
bald auf irrationale Größen.2 Der in einem Zusatz zu Euklids Elem. X
erhaltene Beweis dafür, daß der Durchmesser eines Quadrats mit dessen
Seite inkommensurabel ist, d. h. für die Irrationalität von V2, darf ihnen
zugeschrieben werden (Euclidis Opp. III p.408).3 Dadurch ^
wurde ihre Proportionslehre, die bisher nur mit Verhältnissen
ganzer Zahlen operierte, für allgemeine Größen unbrauchbar, ^
und sie Avurden gezwungen, ihrer Algebra geometrische Form
zu geben. "Was wir durch die Gleichung (a -\- b)2 = a2 ~f- 2ab 3
b2 ausdrücken, bewiesen sie geometrisch durch neben







e

f



stehende Figur (Fig. 1). Die Differenz der Quadrate (a -f- b)2 Pig-1
und a2 (schraffiert) nannten sie yvco/ucov (Richtmaß, Winkelmaß, s. Euklid,
Elem. II def. 2). Die Gleichungen ax + x2 = b2 lösten die Pythagoreer durch
/\ ß q das sogenannte Flächenanlegen (nagaßol/], Pro-

klos in Euch p. 419 nach Eudemos). Es sei die
Aufgabe, an eine gegebene Gerade AD (a) ein
Rechteck AF, das einem gegebenen Quadrat (b2)
gleich ist, so anzulegen, daß das fehlende oder
überschießende Areal DF ein Quadrat (x2)
Q M wird. Die Figur (Fig. 2) gibt den ersteren Fall
Fis-2 (k'XXeitpig, der zweite heißt vjregßoXrj). Wenn

AB = BD, sieht man leicht, daß Rechteck AF = Gnomon BDHGFE
a\2 / a \2 a

2y ' \2 ' y = aX— x2 = woraus 2^x un(^ c^e Qua(^ra^se^e x
gefunden werden können.

Auf diese Weise hatten die Pjüiagoreer die Gleichungen zweiten Grades
vollständig bemeistert.4 Auch der berühmte pythagoreische Lehrsatz hat
ebensowohl algebraische als geometrische Geltung. Er war ohne Zweifel
schon früher in Einzelfällen bekannt; aber Pythagoras hat ihn verall-

1 Schon Aristoteles spricht vorsichtiger- werfung der Tradition zu weit gehenden

weise lieber von „den Pythagöreern" als Arbeiten von Gr. Junge und H.Vogt, ver-

von Pythagoras. zeichnet ebd. S. 333.)

1 Zeuthen, 0(versigt over det k.) 3 Aristoteles 41a24; 50a37.
D(anske) V(idenskabernes) S(elskabs For- 4 P. Tannery, M(emoires) sc(ientifiques)

handlirjger) 1915 8.333-62. (Auseinander- T (Toulouse-Paris 1912) S. 254-80.
Setzung mit den anregenden, aber in Ver-
 
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