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Heidelberger Familienblätter — 1875

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No. 18 - No. 26 (3. März - 31. März)
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Stadtheater.
Montag, den 22. März (Gaſtſpiel der Fräul. Ethel
und der Herren Wünzer, Regiſſeur, Werner vom Großh.
Hoftheater zu Darmſtadt) Fauſt. Tragödie von Göt he.
Wohl ſelten dürfte uns dieſes klaſſiſche Stück in ſolch voll-
endeter Beſetzung vorgeführt werden, wie dieſes heute geſchehen,
und wir hoffen daher, daß es uns der Leſer verzeihen wird,
wenn wir dieſe Vorſtellung einer eingehenden Beſprechung un-
terziehen. — Stets wird dieſe Dichtung eine unwiderſtehliche
Anziehungskraft ausüben. Der Grund hiervon mag wohl dar in
zu finden ſein, weil dieſes tiefſinnigſte Gedicht in die Bruſt
eines Jeden ſo mächtig greift, daß er darin mehr oder minder
die Kämpfe ſeiner eigenen Natur in den Worten des Dichters
wiedergegeben findet.
Wohl gibt es keine Tragödie, in welcher ſich die Charaktere
in ſtärkeren Antitheſen und Contraſten bewegen, als Fauſt.
Fauſt ſelbſt, der gigantiſche helle Denker und der feurige Lieb-
haber, „Mephiſto“ der „Geiſt“, der ſtets verneint, alſo die reinſte
Abſtraction und dennoch die verkörperte „Mißgeburt von Dreck
und Feuer,“ ein übermenſchliches Phantom in menſchlicher Per-
ſönlichkeit, „Gretchen“, das naivunſchuldige, zur Jungfrau er-
blühte Mädchen, und die durch das Bewußtſein ihrer Schuld
zum Wahnſinn gebrachte Mutter⸗ und Kindesmörderin! Welche
Kunſt des Dichters, dieſe Contraſte in ſolche lebenswarmen Ge-

ſtalten zu vereinigen, welche Aufgabe für die Darſteller, der,

Verwirklichung dieſer Grundideen des Dichters dramatiſche
Geſtaliung zu verleihen. — ö
Beginnen wir mit der Darſtellung der Titelrelle durch
Herrn Wünzer.
Herr ünzer, im Beſitz einer mächtigen impoſan ten
Perſönlichkeit und eines klangvollen ſonoren Organs, wußte na-
mentlich in den erſten Akten das rhetoriſche Element derſelben
mit künſtleriſcher Vollendung uns vorzuführen. Insbeſondere
gelang es ihm in dem großen Monolog des erſten Aktes, die
herrliche Rede als das tiefſte Erlebniß ſeines verhängnißvollen
Ringens nach Erkenntniß darzuſtellen. Mit ergreifendem Aus-
druck ſchilderte er das Erwachen ſeiner beſſeren Gefühle bei dem
Klange der Oſterchöre, und der gebrochen aus der Tiefe des
Herzens entſtrömende Ausruf: „Die Thräne quillt, die Erde
hat mich wieder!“ verfehlte nicht, erſchütternden Eindruck zu
erzielen.— Die Scene im Freien, die Rückkehr zur Stube, zur
trauten Lampe wurde ebenfalls mit einfach würdiger Deklama-
tion gegeben nur begegneten hier dem Darſteller zwei ſtörende
Verſprechen. Das Eine darin beſtehend, daß derſelbe ſtatt zu
ſagen: „Wir ſehnen uns nach Offenbarung, — die nirgends
würdiger und ſchöner brennt, — Als in dem neuen Teſta-
ment,“ an Stelle des neuen, das alte Teſtament ſetzte, und in
derſelben Scene, ſtatt: „Auf einmal ſeh ich Rath, — Und
ſchreib getroſt: im Anfang war die That!“ „auf einmal ſeh
ich Licht“ ſprach, wodurch natürlich der Reim verloren ging.
Vorzüglich war derſelbe wiederum in der Vertragsſcene mit
Mephiſto, in jener Scene, welche den Schlüſſel zum Verſtändniß
des ganzen Fauſt enthält, wo er die Würde des menſchlichen
Geiſtes, der nie im Sinnlichen ſeine vollſtändige Befriedigung
erlangen kann, mit rhetoriſcher Erhabenheit und männlicher Fe-
ſtigkeit zur Geltung brachte. Gelang es dem Künſtler, uns den-
„Fauſt“ und das wahrhaft Fauſtiſche mit Vollendung vorzu-
fuͤhren, ſo blieben die Scenen jedoch wo an die Stelle des Fauſt
der „Don Juan“ tritt, hinter jenen zurück, obgleich auch hier
ſo oft der Denker wieder hervortritt, wie in dem herrlichen
Glaubensbekenntniß, in der Scene „Erhabner Geiſt, Du gabſt mir,
gabn mir Alles“ ꝛc., ſeine Darſtellung im Göthe'ſchen Geiſte frei
und groß, voller Weihe und poetiſcher Kraft war.
Die Darſtellung des „Erdgeiſtes“ durch Herrn Giegold
konnte ſchon in phonetiſcher Hinſicht nicht zur Geltung gelangen,
da deſſen Organ nicht geeignet iſt, einen Fauſt „in allen Lebens-
tiefen erzittern zu laſſen“. Auch Herr Giegold verſprach ſich in
der kurzen Schilderung, welche er zu ſprechen hatte, indem er
auf den Zuruf: „Der du die weite Welt umſ chweifſt, Ge-
ſchäftiger Geiſt, wie nah fühl' ich mich dir!“ antwortete: „Du
gleichſt dem Geiſt, den du verſtehſt nicht mir!“ Auch den
Hauptfactor ſeiner Thätigkeit vergaß er gänzlich anzugeben,
nämlich „Geburt und Grab.“ — ö
Herr Becker gab den Wagner in befriedigender Weiſe. Er-
machte aus demſelben keineswegs, wie dies öfters geſchieht, einen
Einfaltspinſel, ſein Wagner iſt nur ein trockener Philiſter, kei-
neswegs aber ein dummer Menſch; nur in Vergleiche mit Fauſt
erſcheint er ſimpel. Sprache und Maske waren natürlich und
ſeine Leiſtung eine recht verdienſtliche.
Eine wahrhafte, künſtleriſch vollendete Muſterleiſtung war die
des Herrn Werner als „Mephiſto“, welcher es verſtand, die
infernaliſch materialiſtiſche Geſtalt der Voltsſage glücklich mit
dem cavaliermäßig ironiſchen Tone des Göthe'ſchen Mephiſto zu
verſchmelzen. Am meiſten kehrte er den von der Cultur beleck-
ten Teufel in den Scenen mit „Marthe“ und „Gretchen“ hervor,
während ſich ſeine wahrhaft diaboliſche Natur im Selbſtgeſpräch

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und in der Hexenküche prägnant offenbarte. Schon ſein Auf
treten mit dem gebogenen Rücken, hatte etwas unheimlich⸗ſchlan-
genhaft⸗jeſuitenartiges an ſich, um dann deſto effectvoller in der
erſten Unterredung mit Fauſt faſt gigantiſch aufzuwachſen. Mi-
mik und Haltung, ſtummes Spiel und Schärfe der Accentuirung
waren gleich vortrefflich, erſtere ganz insbeſonders in der Scene
mit dem Schüler, wo auch die Verkörperung des Hohnes, der
verſteckten Bosheit und Jronie ganz aus einem Guſſe war. Herr
Werner erndete faſt nach jeder größere Scene lebhaften Beijall
und nach der Scene mit dem Schüler zweimaligen ſtürmiſchen
Hervorruf.
Herr Heuſer gab den „Schüler“, das neu auf der Uni-
verſität angekommene Mutterſöhnchen, dem es ſo ernſt darum-
iſt, „gern was Rechts hier außen zu erlernen“ mit jener Un-
ſchuld und doch zugleich mit jener Aufmerkſamkeit, welche uns
ahnen läßt, daß wohl mit der Zeit auch aus ihm ſich ein Fauſt
entwiceln dürfte. Herr Heuſer trug weſentlich bei den Erfolg.
dieſer Scene zu ſteigern.
Frau Heuberger ſpielte die ehrſame „Wittwe Schwert-
lein“ ohne jegliche Uebertreibung und bewies ſchon durch ihren
ſaubern gefälligen, wenn auch ältlich ſteifen, ſo doch noch coquett
arrangirten: Anzug, daß ſie noch nicht aus den Jahren ſei, welche
zur klöſterlichen Betſchweſterlichteit einladen. Sowohl ihre Entrü-
ſtung über den treuloſen Gatten, als auch ihre Bemühungen,
Mephiſto zu feſſeln wurden mit einer Natürlichkeit geſpielt. welche
ihre Wirkung nicht verfehlte.
Die Scene in „Auerbachs Keller“, welche ebenfalls bedeu-
tende Schwierigkeiten darbietet, ging recht gut von ſtatten und
verdienen die betreffenden Herrn Köckert, Larmont, See-
mann und Giegold lobende Anerkennung.
Herr Reichert ſpielte den „Valentin“ recht durchdacht.
Wohl hätten wir ein etwas ſtrammeres Auftreten und im erſten.
Theil ſeiner Rede einen etwas mehr erbitterten Ton gewünſcht,
hingegen ließ die Sterbeſcene nichts zu wünſchen übrig und die
Wiedergabe des ſterbenden, braven Soldaten war ebenſo ein-
fach als auch rührend und ergreifend.
Fräul. Ethel aus Darmſtadt ſpielte das „Gretchen mit
phantaſtiſch dichteriſchem Impuls. Gleich ihr Auſtreten und die-
kurzangebundene Abweiſung nahmen das Publikum für dieſelhe
ein. Der Vortrag des Liedes vom „König in Thule“ machte
einen Eindruck, deſſen Natürlichkeit und Gefühlsinnigkeit ſich
ſchwer vergißt. Vortrefflich wußte ſie dem Uebergang von dem
unbeſangenen Mädchen zum Erwachen der Leidenſchaft drama-
tiſch künſtleriſche Geſtaltung zu verleihen. Ebenſo gelang es ihr,
den inneren Gemüthszuſtand und die Zerknirſchung ihrer Seele
im Gebete Ausdruck zu verleihen, während wir bei der darauf
folgenden Scene, bei der Leiche ihres Bruders, den mimiſch

plaſtiſchen Ausdruck der Verzweiflung gerne etwas gemildert

geſehen hätten. Auch in der Kerkerſcene hatte Fräul. Ethel
wahrhaft künſtler iſch vollendete Momente, doch würde ſie durch
ein mächtigeres Organ jedenfalls noch bedeutend gewinnen.
Nichts deſto weniger hinterließ die Künſtlerin auch in dieſen
Scenen einen gewaltigen tragiſchen Eindrück durch ihr wahrhaft
edles, ausdrucksvolles und der innerſten Seele entſtrömendes
Spiel. Auch Fräul.Ethel ward vielſach mit Veifall belohnt.
undemehrmals gerufen.
Das Haus war vollſtändig ausverkauft und ſchon des
Nachmiitags mußte das Orcheſter geräumt werden, um die An-
ſprüche der Nachfragenden befrirdigen zu können.
Wir glauben im Sinne aller anweſend Geweſenen zu handeln,

wenn wir der Leitung unſeres Theaters unſere Anerkennung.

für das Arrangement des Gaſtſpiels dieſer drei Künſtler aus-
ſprechen.

Heil unſerm Kaiſer!
Uff jedem Flegge deitſcher Erd,
Wo deitſche Herze ſchlage,
Do werd der heit'ge Dag geehrt
Unn bis zum Thron
Zur Kaiſerkron
Manch' Glückwunſch nuffgetrage.
Doch viele Herze ſchlage noch
In unſ're deitſche Gaue;
Un eingepreßt ins pfäffiſch Joch
Durchwiehlt das Werk
Der remiſch Klerk
Was wir mit Kraft erbaue.
Doch s'batt ſe nichx, deß Wuthgeheil
Der renitente Paffe
Mir ſchirme unſers Kaiſers Heil
Mit Kraft unn Ehr
„Sein deitſches Heer
In Civil unn in Waffe.

Neuenheim, den 22.½3. 1875. ESoldat.

Druck und Verlagzvon Adolph Emmerling in Heidelberg, unter deſſen Verantwortlichkeit. —
 
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