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Heidelberger Familienblätter — 1875

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No. 35 - No. 43 (1. Mai - 29. Mai)
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Heidelberger Familienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

M 37.

Samſtag, den 8. Mai.

1875.

II
Joſeph.
Eine Erzählung ans unvergeßner Zeit.
Von A. Rode.

(Fortſetzung.)

Sie nahm zutraulich ſeinen Arm, um ſich darauf
zu ſtützen und den ſtürmiſchen Liebkoſungen einen beque-
men Ableiter zu ſchaffen und trat den Heimweg an. Er
erzählte ihr während des Gehens von den Erlebniſſen
des Tages — wie er Gäſte eingeladen habe — er wolle
der Welt ſein theuerſtes Gut zeigen und ſie Freunden
und Bekannten morgen als ſeine Braut vorſtellen, da
eine Veröffentlichung ihres Herzbundes bis jetzt noch nicht
ſtattgefunden hatte. Auch theilte er ihr mit, wie eine
Deputation der Zigeuner bei ihm geweſen ſei, um ihn zu
bitten, ihnen zum morgenden Feſte eine Tenne der Guts-
gebäude als Tanzplatz einzuräumen — er habe ihre Bitte
bereitwillig erfüllt, ſei aber herzlich froh, die läſtigen Tag-
diebe und Müßiggänger, die nur eine Grille der Regie-
rung zu einer Plage der Gegend gemacht habe, bald nicht
mehr ſehen zu müſſen. Er überraſchte Charlotte mit
einem kleinen rothen Maroquin⸗Etui, in welchem ſie als
Schmuck für den morgenden Tag ein Perlenkreuz fand.
Sie drückte es glücklich und dankbar an die Lippen, ſie
kannte die Thränendeutung der Perlen noch nicht.
Oben im Forſthauſe ſtand die Abendtafel feſtlich ge-
deckt, der Hülfsförſter des alten Herrn nahm heute als
Gaſt Theil daran. Der Braten der alten Lisbeth erwies
ſich als wohlgerathen und der alte Wein des Oberför-
ſters erhöhte die Stimmung. ö
Joſeph hatte die Zeitung aus der Stadt holen müſ-
ſen, ſie enthielt Berichte über den ausbrechenden Krieg
und gab den Siegeshoffnungen, welche das Volk erfüll-
ten, lebhaften etwas prahleriſchen Ausdruck.
Heinrich holte einen Brief hervor, den er geſtern von
einem Freunde und Kameraden aus der Reſidenz erhal-
ten hatte. Er lautete:
Lieber Heinrich!
Endlich geht es fort, dem neuen Roßbach entge-
gen. Wie jammerſchade, daß Du nicht dabei ſein
Kannſt, wenn wir den Bonaparte fangen und der Be-
ſtie die Nägel beſchneiden. Doch werde ich Dir ge-
treulich davon erzählen, wenn ich den Neujahrspunſch
bei Dir trinke, wie ich die löbliche Abſicht habe. Die
herrliche Königin iſt ſeit einigen Wochen von Pyr-
mont zurück und ſah neulich mit den Prinzen und
Prinzeſſinnen der Parade im offenen Wagen zu. Es
war eine Freude die ſtrammen Burſchen in ihren
neuen knappen Uniformen zu ſehen, und die blanken
glänzenden Kanonen ſollen dem Bonaporte ordentlich
um die Ohren brummen und ihn zum Ausreißen
zwingen. Rüſte Küche und Keller, damit wir das
Siegesfeſt würdig bei Dir feiern können. Ich lege
Deiner ſchönen Braut meine ritterlichen Huldigungen
zu Füßen. ö

Dein Freund Guſtav Baron Horn.“

Wienn Heinrich auf Anerkennung der ausgeſprochenen
Kriegsluſt und Bravour für ſeinen Freund gerechnet
hatte, ſo ſah er ſich getäuſcht. Dem alten Manne mißfiel
ſichtlich der aufſchneideriſche Ton des Briefes und er ver-
hehlte es auch nicht. Er dachte an ſeine Jugend zurück
— wie beſcheiden, wenn auch ohne Zagen, waren ſie in
den Kampf gegangen. Er wurde es zum erſten Male,
inne, daß die Zeit über ihn hinweg geſchritten ſei und er
die neue Generation nicht mehr ganz verſtehe. Es be-
drückte ſein Herz, wenn er ſich ſein Kind als Mittelpunkt
eines ſolchen prahleriſchen und oberflächlichen Kreiſes
dachte, und inniger und zärtlicher zog er Charlotte an
ſein Herz, als wolle er ſich verſichern, daß ſie noch ganz
ihm angehöre. *
Heinrich hatte keine Ahnung von dem was die Seele
des Greiſes heute bewegte, er fand den Tou des Briefes
vollkommen gerechtfertigt und dachte mit Entzücken an die
Zeit, wenn ſein gaſtliches Dach die Freunde und Sieger
beherberge. Er ſuchte die Geliebte in ſeinen Ideenkreis
zu ziehen, was ihm aber nicht ganz gelingen wollte.
Endlich trat er an das kleine ſteifbeinige Piano, um eine
luſtige Papagenoarie aus der neuſten Mozart'ſchen Oper
„Die Zauberflöte“ zu ſingen.

IV.

Da fliegt, als wir im Felde gehen,
Ein Sommerfaden über Land,
Ein leicht und licht Geſpinſt der Fern,
Und knüpft von mir zu Dir ein Band.
Ich nahm ihn für ein günſtig Zeichen,
Ein Zeichen, wie die Lieb' es braucht,
ö O Hoffnungen der Hoffnungsreichen,
0 Aus Duft gewebt, von Luft zerhaucht.
Uhland.

Es war noch früh am Morgen als Charlotte von
Dornbach ſchon fertig angezogen vor dem kleinen Spiegel
ihres Zimmers ſtand. Ein vergißmeinnichtblaues Kleid
von feinem Merino umſchloß ihren ſchlanken Leib, die
Taille war der damaligen Mode gemäß ganz kurz, und
der Ausſchnitt des Kleides, ebenſo decolletirt und ihn jetzt
eine ihrer Formſchönheit bewußte Salondame trägt, war
ein Beweis wie die Begriffe der Sittlichkeit ſelbſt unter
der Tyrannei der Sitte und Mode leiden. Um den zar-
ten Hals trug ſie ein blaues Band und auf ihrem jung-
fräulichen Buſen ruhte das erhaltene Perlenkreuz des Ge-
liebten. Sie preßte es ſtill an ihre Lippen, als ein dem-
ſelben geſandter Morgengruß. Ihre reichen braunen
Locken umrahmten den hübſchen Kopf, den ſie mit gratiö-
ſem Anſtande zu tragen wußte. Ihre Arme und Hände
wurden zur Vevollſtändigung der heute mit vielem Ver-
gnügen ausgeführten Toilette mit langen Handſchuhen
von däniſchem Leder und ihre unruhig trippelnden Füß-
chen mit feinen Saffianſchuhen bekleidet. Dann warf ſie
einen befriedigten Blick in den Spiegel und nahm die
erſte ihr heute gewordene Huldigung mit offener Genug-
thuung hin. Sollte ihr Anblick doch den Liebſten ent-
zücken — ſie wollte würdig an ſeiner Seite einherſchrei-
ten. Sie öffnete das Fenſter, denn ihr Geſicht glühte —
der mächtige eiſerne Ofen, der den halben Raum des
 
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