Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Familienblätter — 1875

DOI Kapitel:
No. 88 - No. 95 (3. November - 27. November)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.43706#0362

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Das war Rettung, wenn Rettung überhaupt noch mõ g⸗
lich war. ö ö ö ö

So weit war er mit ſeinen Erwägungen gekommen,

als das Herannahen, das Halten eines Wagens vor der

Thür dieſelben unterbrachch.
Zitternd vor Erregung ging er zum Fenſter — er
ſah Koffer abpacken — ſah wie Graf Leo einer Dame
aus dem Wagen half — dann die Thüre öffnend, hörte
er Stimmen — dann die Treppe herauf ſteigen — da
zum Erſtenmal nach vielen Jahren gedachte er nicht zu-
erſt der ſchicklichen Form, wartete das Kommen des Die-
ners nicht ab — öffnete ſelbſt die Thür, und mit dem
Rufe: mein Kind! meine Leopoldine! umfing er die ihm
entgegen eilende, hohe Frauengeſtalt.
Nachdem die erſte Erſchütterung des Wiederſehens
nach langer Trennung ſich gemindert, der Graf, Leo-
poldine und Felten Zeit gewannen, ſich ruhiger zu be-
trachten, hatten die Erſteren Mühe, ihre Haltung zu be-
wahren. War der gebeugte Greis ihr einſt ſo ſtolz
blickender Vater? fragte ſich Leopoldine, während der
Graf die Lippen feſt aufeinander gepreßt düſter vor ſich
niederſah.
Felten bemerkte die gedrückte Stimmung Beider
nicht, hatte auch vor Entzücken über ſeine ſchöne Tochter
ſeine troſtloſe Loge fuͤr den Angenblick vergeſſen. War
das das lange hagere Mädchen, welches ſo oft durch
ungraziöſe Bewegungen ſeinen Schönheitsſinn, durch lau-
tes Erheben der Stimme ſein Ohr verletzt? Die tief-
blauen Augen, die liebevoll auf ihm ruhten, der ſonore
Klang ihres Organs riefen lebhaft das Andenken ihrer
verſtorbenen Mutter in ihm wach. *
„Darf ich nicht hoffen, ehe ich mich in meine Zim-
mer zurückziehe, Ihrer Fran Gemahlin vorgeſtellt zu
werden, theurer Vater?“ unterbrach Leopoldine die Pauſe.
Wie unſanft aus einem glücklichen Traum erweckt
ſchreckte Felten empor. „Deine Mutter, liebes Kind, be-
findet ſich nicht ganz wohl, ſie hat,“ fuhr er bedrückt
fort, „Unannehmlichkeiten mit der Dienerſchaft gehabt,
welche deine Zimmer nicht mit dem Comfort verſehen,
wie es ſchicklich iſt und du es beanſpruchen darfſt.“
5„O, mein Vater, wie beklage ich, daß um mich die
gnädige Frau geſtört worden iſt. Ich, was mich betrifft,
weiß, daß ich nicht mehr in einem Hotel zu Paris,
Rom oder Neapel, ſondern im Vaterhauſe bin, was
da an Glanz fehlt, erſetzt die Liebe, iſt es doch das
Vaterhaus!“ Sie beugte ſich nieder und küßte Felten
die Hand. ö ö
Feelten ſtreichelte mit der freien Hand Leopoldinens
Haar. Er hatte es wohl verſtanden, was die Tochter
mit der gnädigen Frau ausgedrückt haben wollte. Doch
da hinein wollte er ſich nicht miſchen, das mochten Beide
untereinander ausmachen, gab es doch noch der Dinge
Viele, wo ſein Ausſpruch nöthig war. Beinahe ſchmerz-
lich ſah er nach dem Grafen hinüber. „Haſt du mir
das Kind nicht zu lange entzogen, Leo?“ fragte er
langſam.
„Gewiß zu lange, wenn ihr Hierſein unbequem er-
ſcheint,“ ſagte kalt der Graf. „Die Penſionsſchülerin
war leichter zu befriedigen, als die auf Reiſen, an Welt
und Menſchenkenntniß gereifte junge Dame, die ſich be-
ſonders durch eine feine Unterſcheidungsgabe auszeichnet.
Doch“ fuhr er durch Leopoldinens bittenden Blick beſänf-
tigt milder fort: „heute Abend wenn es dich nicht ſtört,
nehmen wir über das nun hier zu führende Leben Rück-
ſprache. Du mußt Nachſicht üben, Bruder Fritz, und
nicht vergeſſen, daß ich als einſamer alter Mann wich
nicht ganz frei von den Sonderbarkeiten, die Solchen
anzuhaften pflegen, erhalten konnte. So habe ich denn
auch etwas eigenmächtig, ich geſtehe es, während der

Reiſe durch einen Freund für uns handeln laſſen.
Genug für Jetzt.“ Beiden die Hand reichend, entfernte
ſich Graf Leo. ö ö
Auf Felten hatte dieſe Rede des Grafen verſchieden-
artig gewirkt. Anfangs befangen, erfreute ihn ſpäter der
lang entbehrte vertrauliche Ton, und feſt eniſchloſſen,
Alles gut zu heißen, was der Graf anzuordnen beſchließen
könnte, wagte er freier aufzuathmen.
Er führte Leopoldinen nach den ihr beſtimmten Zim-
mern, wo er eine ältere Dame beſchäftigt fand, den In-
halt der Koffer zu leeren. „Frau Wildenau“, ſiellte Leo-
poldinen vor, „meine Geſellſchaftsdame auf der Reiſe,
welche ihre Gaſtfreundſchaft, mein Vater, noch für kurze
Zeit in Anſpruch nimmt.“ ö
Felten verneigte ſich zuſtimmend und bedauerte nur,
nicht früher davon unterrichtet geweſen zu ſein, um für
den Empfang ſo lieber Gäſte mehr Sorge tragen zu
können. Leopoldine verſicherte freundlich, vollkommen zu-
friedengeſtellt zu ſein und bat ihn, der Gattin, die ihret-
wegen ſchon zu leiden gehabt, ſeine Gegenwart nicht
länger zu entziehen.

CFortſetzung folgt.)

*.—

Bom geſtürzten Eiſenbahnkönig.

Es. war ein heißer Juli⸗Tag, da König Wilhelm
von Preußen den norddeutſchen Reichstag im Weißen
Saale um ſich verſammelte, um ihm mitzutheilen, daß
Frankreichs Napoleon dem norddeutſchen Bunde den Krieg
erklärt hibe. Schon lange vor dem feierlichen Akte hatten
ſich die Deputirten eingefunden, der Ernſt der ſchweren
Stunde lagerte ſich auf allen Geſichtern. Unter den Ab-
geordneten war namentlich Einer, der von den Beſuchern
der Gallerie ſcharf in's Aug gefaßt wurde — das war
Dr. Bethel Henry. Strousberg. Sein Name war auf
aller Welt Lippen und den Leuten ſo geläufig, wie der
Bismarck's. Da ſteht er inmitten einer Gruppe von
Granden des Reiches, darunter Fürſt Pleß, der Herzog
von Ratibor und Andere aus altem gräflichen und fürſt-
lichen Hauſe, eine mittelgroße, ſelten kräftige Geſtalt, den
Kopf etwas in den breiten Schultern, die kleinen grauen
Augen lauernd bin und her ſendend. Ein wulſtiger
blonder Schnurrbart bedeckt die Oberlippe, ein kleiner
Anſatz von Bart hängt ſich an die Unterlippe. Auf den
erſten Blick erkennt man eine bedeutende Intelligenz,
eine geſtählte Energie. Und nun mußte man die Leute
reden hören von Strousberg, dem „Eiſenbahnkönig“,
wie vom Grafen Monte⸗Chriſto, daß er ungezählte Reich-
thümer beſitze. Man kam unter die Linden, dort lag im
Schaufenſter bei Eichler eine Schrift von Ernſt Korſi,
welche die Biographie des mythiſchen Millionärs enthielt;
man blieb vor irgend einem Bilderkaſten eines Photo-
graphen ſtehen, und Strousberg's Conterfei blickte einem
entgegen; man trat in eine Conditorei und nahm ein
Journal, „Die Poſt“ zur Hand — ihr Eigenthümer war
Strousberg. Auf dem Rennplatze waren Strousberg's
Pferde das Tagesgeſpräch; im Thiergarten blieb Alles
ſofort ſteben, wenn Strousberg, ein ebenſo geſchickter
Wagenlenker als Reiter, Schwimmer, Turner, mit ſeinem
ungariſchen Vierzug vorüberſauſte. Sprach man von
Armenpflege, ſo wurden die erſten Wohlthäter, die Edelſten
der Stadt gering angeſehen neben Strousberg, der zur
Zeit der oſtpreußiſchen Hungersnoth ganze Extrazüge an
die Stätte des Elends ſendete, im Februar 1869 für
12.000 Thaler Holz an die Armen vertheilen, im Jahre
1870 täglich 10,000 Suppen kochen ließ. Dennoch
 
Annotationen