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Heidelberger Familienblätter — 1878

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No. 1 - No. 9 (2. Januar - 30. Januar)
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— 34 —

„Beſonbers, ſo lange wir noch andere gute Freunde
haben!“ lachte Klara. „Herr Erbach, warum engagiren
Sie uns nicht? Wie lange glauben Sie, daß wir Tänze
für Sie reſerviren werden?“
Der Angeredete, der ſchon eine Zeitlang, allerdings
nur von Klara bemerkt, hinter den beiden jungen Damen
geſtanden hatte, trat jetzt mit einem ſeiner lächerlichen
Complimente heran und ſagte, nicht ohne daß eine gluhende
Röthe der Verlegenheit ſein ſo offenes Geſicht bedeckte:

„Fräulein von Reichenau war bereits ſo gütig, mir einen

Tanz zuzuſagen — wenn ich Sie alſo noch bitten darf,
Fräulein von Rambow —“
„So, ſo, hm!“ machte die Uebermüthige, einen kecken
Blick auf Hildegard werfend. „Heute müſſen wir ſchon
beſondere Rückſicht auf Sie nehmen, Herr Erbach! denn
wenn ich recht gehört habe, iſt es jetzt entſchieden, daß
Sie uns verlaſſen werden. Wie ich das ertragen ſoll,
weiß ich freilich noch nicht!“ ö
„Ich denke, wir werden es beide überſtehen!“ ver-
ſetzte Herr Erbach lachend, indem er die dargebotene
Tanzkarte nahm. ö
„Die zweite Polka, wenn ich bitten darf?“
In dieſem Augenblicke ertönte die Tanzmuſik, die
Paare ordneten ſich, Herr Erbach bot Hildegard den
Arm. Als ſie im Tanz dahin ſchwebten — nicht ganz
ſo ideat, als Hildegard gewün ſcht hätte — bemerkte ſie,
daß Hubert neben Valentine auf einem kleinen, von Ge-
wächſen umſtellten Sopha ſaß. Die beiden hatten offen-
bar nicht die Abſicht, zu tanzen. Hubert ſprach, wie es
ſchien, angelegentlich und ſehr ernſt, Valentine hörte mit

geſenktem Haupte zu. Die Diamanten in ihrem dunkeln

Haar funkelten und blitzten, Hildegard erſchrack faſt, ſo
dämoniſch ſchön war ihr die Freundin nie erſchienen.
War es zu bewundeen, wenn Hubert eine Unterhaltung
mit ihr allen andern Vergnügungen vorzog ?
„Iſt das wahr, was Klara geſagt hat?“ fragte
Hildegard während der Pauſe. „Iſt es entſchieden, daß
Sie die Stellung annehmen?“
„Ja,“ ſagte Herr Erbach gepreßt.
Beide ſchwiegen. Hildegard's Herz zog ſich krampf-
haft zuſammen bei dem Gedanken, daß die Entſcheidung
nahte, daß ſich das, was ſie im ſtillen Kämmerlein ge-

dacht und geträumt, jetzt im unbarmherzigen Licht des
Sie fühlte, daß des jungen

Tages bewaͤhren ſollte.
Mannes Augen fragend auf ihr ruhten und ſo zwang
ſie ſich zu der Frage: „Sie werden alſo vorausſichtlich
nur noch kurze Zeit hier bleiben?“
„Nur ſehr kurze!“ erwiderte er. „An meinem neuen
Beſtimmungsort wird meine Anweſenheit verlangt. Ich
werde dort nicht ſo bald Urlaub nehmen können und ſo
muß ich ſchon vorher“ — er ſtockte und fuhr nach augen-
blicklichem Zögern fort — „einiges beſorgen, was ich zu
thun habe!“
Hildegard fühlte von Neuem, wie ſich jenes undefi-
nirbare Etwas erkältend auf ihr thörichtes, warmes Herz
legte. War das, was er zu beſorgen hatte, ein Beſuch
bei ſeiner Mutter? Wenn dem ſo war, warum ſagte er
es nicht geradezu? Schämte er ſich etwa der alten
Bäckers⸗ oder Schornſteinfegerswittwe, die ſeine Kindheit
behütet hatte? Jetzt fühlte ſich Hildegard ſehr geneigt,
der alten Frau die Hand zu küſſen und ſei's auch nur
aus Trotz! Mit dem Muth der Verzweiflung faßte ſie
den Stier bei den Hörnern und ſagte: ö
ö „Sie werden Ihre Mutter doch noch ſehen, ehe Sie
Ihre neue Stellung antreten?“ ö ö
„Ich — gewiß, das iſt ja ſelbſtverſtändlich!“ ſtam-
melte er erſchrocken und verlegen.
„Gewiß!“ verſetzte Hildegard ſchnell deſänftigt. „Es

iſt ſo ſchon bart genug, daß ſie ſo wenig von Ihnen
ſieht. Aber Sie ſchreiben ihr doch oft?“
„Verſteht ſich, verſteht ſich!“ ſagte er haſtig und bot
ihr auf's Neue den Arm zum Tanz.

(Fortſetzung folgt.)

*Dem Gedächtniſſe eines hochverdienten
Mannes ö
hat vor wenigen Tagen die badiſche Volksvertretung ihre
dankbare Geſinnung zugewendet. Aus Anlaß der Bud-
getberathung über die beſtehenden Einrichtungen der
Irrenpflege ergriff der Abgeordnete Kiefer das Wort,
um — hierin der tiefen Sympathie aller Mitglieder des
Hauſes und der anweſenden Vertreter der Großh. Regie-
rung begegnend — zu zeigen, welch' unerſetzlicher Verluſt

dieſe Seite unſerer Staatsthätigkeit durch das Hinſchei-

den unſeres hochverdienten und mit Recht weithin ver-
ehrten Geheimrath Roller erlitten habe. Wir ſind
überzeugt, auch in unſeren Leſerkreiſen verwandten Ge-
fühlen der Dankbarkeit des Andenkens an den aus ſeinem
großen Lebenswerke abgerufenen Mann zu begegnen,
wenn wir dieſe inmitten unſerer Volksvertretung geſpro-
chenen Worte hier im Einzelnen wiedergeben. Die Rede
lautete:
Mit Gefühlen der Entſagung und der Trauer tre-
ten wir heute in dieſe bedeutenden Gebiete der Staats-
verwaltungsthätigkeit heran. Wir wiſſen nicht nur Alle,
daß die Nothwendigkeit und das Gebot der Finanzlage
uns bei Ausführung wichtiger Unternehmungen Einhalt
gebietet — wenn auch nur vorübergehend — in denen
unſere Humanität am liebſten unaufgehaltenen Fortſchritt
verlangt hätte. Wir fühlen aber auch mit beſonderer
Schwere den tief ſchmerzlichen Verluſt einer Kraft, die

ſeit langer Zeit faſt gleichbedeutend war mit der Leiſtungs-

fähigkeit unſeres Staates in der Arbeit der Irrenheilung
und Irrenpflegung. Geheimrath Dr. Roller, der Irren-
arzt, der Forſcher und Gelehrte von europäiſchem Rufe,
der unermüdliche Kämpfer für das Wohlergehen leiden-
der Menſchen, der mildernde und erleichternde Freund
der Armen und Bedrängten, der Retter Vieler, der ganz
vom Geiſte chriſtlicher Kebe beſeelte Vertreter edler Hu-
manität iſt hingeſchieden aus dieſem Leben in der Fülle
ſeiner Verdienſte und inmitten raſtloſer ein halbes Jahr-
hundert durchziehender Arbeit, welcher nur der Tod Ein-
halt gebieten konnte. Während dieſer langen reichgeſeg-

neten Zeit hat dieſer Mann ohne Unterbrechung unſerem

Heimathlande, zu deſſen hoher Ehre, ſeine unvergleichliche
Leiſtungsfähigkeit gewidmet. Sein Leben iſt ein hochbe-
deutendes Blatt in der geſammten Entwickelung dieſer
Heilkunde. Als der junge Mann, wohl ausgerüſtet in
Fleiß und Begabung und mit allen wiſſenſchaftlichen
Mitteln der naturwiſſenſchaftlichen Studien jener Gebiete

und zugleich durch den Beſuch der hervorragendſten Orte

Europas, die man damals die phychiatriſche Wiſſenſchaft
zu fördern bemüht war, an praktiſcher Einſicht und Er-
fahrung wohl vorbereitet in ſeinem badiſchen Heimath-
lande ſich niederließ, um ihm fortan ſeine Dienſte zu
weihen, da befand ſich unſer Irrenweſen in einem Zu-

ſtande der dürftigen Elementaranfänge. Man nannte

damals dieſe düſtern Heimſtädten des Unglücks die „Toll-
häuſer“ und ſie boten vielfach eine das Humanitätsgefühl
verletzende Aehnlichkeit mit den Verwahrungsorten der
Verbrecher. Die Feſthaltung, oft in Ketten und Banden,
der vorwiegende Zug der gewaltſamen Verwahrung und
Entfernthaltung vor der äußeren Berührung des Lebens
 
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