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Heidelberger Familienblätter — 1882

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No. 17 - No. 25 (1. März - 29. März)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43712#0086

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fühlte ich mich von Herzen glücklich, an Bord eines ſo
ſchmucken, vom Flaggenknopf bis zum Kiel ſauberen und

tüchtigen Fahrzeuges zu ſein, und bedauerte nur, daß wir

nach jener Küſte gingen, wo ein Schiff, durch die dörrende
Sonne von oben und die Bohrwürmer von unten, gar bald
ſein gutes Ausſehen und leider auch oft ſeine Seetüchtigkeit
verlieren kann.
Kuxhaven lag bereits weit hinter uns, als der Kapitän
in die Kajüte hinunterging und gleich darauf zwei Damen
an Deck geleitete. Meine Ueberraſchung hätte keine größere
ſein können, wenn Philippine Welſer, die Pathin des
Schiffes, in ſelbſteigener Perſon und in ihrer mittelalter-
lichen Tracht plötzlich vor mir erſchienen wäre. Die
ſchwachen Umriſſe des flachen Landes entſchwanden bereits
unſeren Blicken, und nur eine im trüben Waſſer auf⸗ und
niedertauchende rothe Boje ſagte uns, daß wir noch nicht
auf offener See ſeien; wollten die Damen wieder zurück-
kehren, dann mußten ſie dies im Lotſenboot bewerkſtelligen,
gegen Wind und Strom und bei ſchon anbrechender Nacht.
Es war nicht ſchwer zu erkennen, daß die ältere der
Damen die Mutter der andern war, und daß ſie in der
Kajüte geweint hatte. Am meiſten aber wunderte es mich,
daß ihre thränengerötheten Augen keinen Blick für den
Kapitän hatten, der nicht weit von ihnen an der Regeling
lehnte und verſtohlen bald zu den Damen und bald zu dem
Lotſen hinüberſah, der ſoeben ſeinen dicken Ueberrock anzog.
Als unſere Blicke ſich trafen, winkte er mir mit dem Auge.
Ich trat herzu.
„Melden Sie mir, wann das Lotſenboot längsſeit
kommt, Steuermann,“ ſagte er, „aber ohne Aufſehen; ver-
ſtanden?“
Die beiden Damen gehen alſo zurück, das iſt nun klar,
dachte ich; ſie ſind jedenfalls Mutter und Schweſter des
„Alten“, und darum werden ſie auch wohl geweint haben.
Aber wiſſen möcht' ich, warum ſie ſo in einander ver-
ſunken ſind und ihn ganz allein ſtehen laſſen.
Nach einigen Minuten ſchoß der Lotſenkutter heran; ich
ſah den Kapitän mit einem bezeichnenden Blicke an und
legte die Hand an meine Mütze. Der Lotſe kam und
ſchüttelte ihm die Hand. Die Damen flüſterten zuſammen
und bemerkten es nicht. Der Kapitän blickte verlegen und
unentſchloſſen um ſich, dann näherte er ſich ihnen mit
zögernden Schritten. Die beiden erhoben ihre thränen-
feuchten Geſichter. Der Lotſe in ſeinem Ueberrock, die
müßig umherſtehenden und wartenden Matroſen, vor allem
aber das Geſicht des Kapitäns, ſagten ihnen, daß die Zeit
gekommen war. Sie erhoben ſich ſchweigend und gingen
vorwärts nach der Mitte des Schiffes, und nun fing ich
an, alles zu verſtehen. Die alte Dame wendete ſich zu
ihrer Tochter und drückte ſie lange und ſchmerzlich an ihr
Herz, und als dann Kapitän Langlands ihren Arm nahm
und ſie ſorgſam die Fallreepstreppe hinunterführte, ſah ſie
ihm voll ins Geſicht und ſagte mit erſtickter Stimme:
„Mag Gott dir vergeben, Heinrich!“
Jetzt war ſie im Boot, das ſchnell in das Kielwaſſer
des Schooners hinaustrieb.
„Holt die Großſchoot an!“ ſchrie der Kapitän heiſer.
Die Zurückgebliebene lief ſchnell über das Quarterdeck
und blickte über den Stern hinab nach dem weiter und
weiter zurückweichenden Boote. Die alte Frau ſtand hoch
aufgerichtet, die Kopfbedeckung war ihr abgeweht und ihre
grauen Haare flatterten im Winde; kein Wort kam aus
ihrem Munde; aber ſie ſtreckte ihre dürren, zitternden,
krampfhaften Hände nach ihrem Kinde aus, und all ihr
Blut und Leben ſchien ſich in dieſe ſprechenden Hände zu
drängen!
Die Tochter wankte; ich ſprang hinzu und fing die
Fallende in meinen Arm auf; eine Minute lang ruhte ihr
Kopf an meiner Bruſt. Nie vorher hatte ich ein ſo zartes

78 —

Weſen geſehen, ſie war ſo leicht wie eine jener Abend-
wolken dort, und ich fühlte ſie kaum in meinen Armen.
Und wie ſchön war ihr bleiches Geſicht, wie ſchön! Ich
ſtand verloren im Anblick deſſelben und rührte mich nicht
und wagte kaum zu athmen.
„So, Steuermann, nun geben Sie mir meine Frau
wieder,“ ſagte Kapitän Langlands hinter mir, dann nahm
er ſie in ſeine ſtarken Arme und trug ſie hinunter in die
Kajüte. Ich hörte ihn nach dem Schlüſſel zur Medizinkiſte
rufen und bald darauf kam er wieder an Deck, um vor-
ſchriftsmäßig zu notiren, wo und wann wir den letzten
Punkt des Landes aus dem Geſicht verloren.

(Fortſetzung folgt.)

Eine Geſchichte ohne Namen.

Von Julius Stein.
(Schluß.)

Die Induſtriegeſellſchaften ſchoſſen wie Pilze empor.
Es waren Pilze, die auf dem faulen Holze der Gewinn-
ſucht, im Moder des Leichtſinns, auf dem Schlamme der
Unmoralität wucherten. Niemand wandelt ungeſtraft unter
Palmen, Niemand ſicher, der dem Irrlicht über dem
Sumpfe folgt. ö
Aber die eingebildeten Werthe gebärten neue Werthe.
Die letzten waren nicht bei der Geburt, geſchweige denn
nach dem Tode glücklich zu ſchätzen. ö
Eine Zeitlang ging alles glatt, lebte die Welt herrlich
und in Freuden.
Der reiche Mann baute ſich, wo Miniſter und Geſandte
wohnen, ein feenhaftes Palais. Man fand darin die
Wunderlampe Aladins, da Ediſons Lampe noch nicht er-
funden war, Parquets von Roſen⸗ und Ebenholz, Wände
von Marmor und Alabaſter, Teppiche von Smyrna und
Stoffe aus Indien, den Luxus von Paris und den Com-
fort von London. Die Tafeln bogen ſich unter der Laſt
der luculliſchen Gerichte, der edelſte Wein perlte in den
funkelnden Römern und die Cigarren — bei Cigarren kann
man ja den Preis ſagen — koſteten tauſend Thaler pro
Mille. Auch eine herrliche Bibliothek thronte in dem
Palais. Schade, daß ſie unter den Hammer kam, ohne
daß Jemand in einem ihrer Bücher geleſen hätte.
Das iſt das Loos des Schönen auf der Erde.
* *
Wenn ein Eiſenbahnkönig baut, haben die Krämer zu
thun; wo Holz gehauen wird, fallen Späne. Es wurde
in der That damals viel verdient, ſpäter freilich noch mehr
verloren. ö
Auch die Armen und Elenden wurden nicht vergeſſen.
Der große Gründer ſpeiſte zehntauſend Mann und ließ
maſſenhaft Brennholz vertheilen. Er kaufte eine Zeitung,
um ſeim Meinung zur öffentlichen Meinung zu machen;
er erwarb Rittergüter und ließ ſich von Tagelöhnern und
Kleinbauern wählen. Das neue membre of parliament
ſchwieg im hohen Hauſe noch mehr als ein bekannter
großer Schweiger. Das war zur ſelben Zeit, als ſeine
edlen Rennpferde ſeinen Namen in den Journalen des
Sports neben ſich verherrlichten. ö ö
Die Jagd nach den Millionen wurde international.
Kröſus arbeitete in allen Ländern der alten Welt zu gleicher
Zeit, aber Niemand ſagte zu ihm:
„Wenn Du über den Niemen gehſt,
großes Reich zerſtören.“ ö
Und als er ging, fand er ſein Moskau, wie der große
Corſe. Er wollte nur zehn Millionen aus einigen Banken

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