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Heidelberger Familienblätter — 1882

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No. 96 - No. 104 (2. December - 30. December)
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heidelberger Familienblätter.

Belleetriſtiſche Beilage zur Heidelberger Beitung.

Yr. 97.

Mittwoch, den 6. December

1882.

Geſühnt.

Novelle von F. L. Reimar.
(Fortſetzung.)

Das Geſicht des älteren Mannes zeigte noch die be—⸗
friedigte Miene, mit welcher er vorhin aus der Kirche ge-
treten war, das des jüngeren dagegen einen vielleicht noch
größeren Ernſt, wenigſtens war demſelben in dieſem Augen-
blick etwas Finſteres beigemiſcht, zugleich freilich der Aus-
druck einer nur mühſam zurückgedrängten Spannung.
Herr Holm ſchien denn auch nicht geſonnen zu ſein, die
letzte auf eine lange Probe zu ſtellen. Faſt unmittelbär,
nachdem beide eingetreten waren, ſagte er: „Nun wir ſo-

weit ſind, nehme ich keinen Anſtand, Ihnen die Papiere,
von denen wir redeten und die ich Ihnen ſchon einmal

zeigte, in die Hand zu geben.“

„Ich habe darauf gerechnet!“ ſagte der junge Offizier

kurz. — 4
Der Advokat zog einen Schlüſſel hervor, öffnete mit
ihm einen der großen Schränke, welche die Wände faſt
vollſtändig einnahmen, und kehrte dann an den Tiſch zurück,
neben welchem der andere ſtehen geblieben war. Der
Gegenſtand, welchen er jetzt in ſeiner Hand trug, war ein
Bündel von Papieren, das entweder ſchon vorher zurecht-
gelegt worden war, oder deſſen Aufbewahrungsſtelle er
genau im Gedächtniß gehabt haben mußte, denn es war
keine Minute mit dem Suchen nach ihm verloren gegangen.
Mit einem Meſſer durchſchnitt er jetzt das zuſammen-
haltende Band, und dann reichte er das ganze Packet dem
jungen Gatten ſeiner Nichte hinüber.
„Ueberzeugen Sie ſich nun, ich bitte, daß es die rich-
tigen Dokumente ſind!“
Der junge Mann ſtreckte haſtig ſeine Hand aus; ſein
Geſicht war ſehr bleich, und an dem heftigen Athmen ſeiner
Bruſt merkte man, daß dieſelbe von etwas Gewaltſamen
bewegt ward. Er hielt ein Papier nach dem andern vor
ſeine Augen und betrachtete es genau; zugleich aber ver-
riethen die nervöſen Bewegungen ſeiner Finger, daß ein
Widerwille gegen die Unterſuchung in ihm zu über-
winden blieb.
„Es ſind die rechten!“ ſagte er dann.
Holm nickte dazu nur. Er hatte die Pauſe benutzt, um
mit den auf dem Tiſche befindlichen Zündhölzern eine Kerze
in Brand zu ſetzen, und als ob er vorausſetze, daß ſein
Gaſt die letztere jetzt nöthig haben werde, ſchob er ihm den
ſilbernen Leuchter entgegen. Und als wenn eben alles auf
Verabredung geſchäͤhe, nahm Hardeck eins der Papiere,
hielt es an die Flamme, daß es hell aufflackerte und dann
in einen ſchattenhaften Reſt verwandelt ward. Nun kam
die Reihe an ein zweites Blatt und darauf an das dritte
— bis alle Papiere, die er ſoeben noch in der Hand ge-
halten hatte, verzehrt waren.
mit einer einzigen Bewegung zuſammen und trug ſie zu
einem der Fenſter, an dem ſich mit raſchem Griff eine
Scheibe öffnen ließ; eine Sekunde ſpäter hatte ein Wind-
ſtoß den loſen Stoff in alle Lüfte verſtäubt. — Das leiſe

hören bereitete, deutlich zu leſen ſtand, ein.

Die Aſche ſtrich er alsdann

Wort, welches Hardecks Lippen dabei murmelten, konnte
als ein Gottlob gedeutet werden.
Herr Holm hatte in dieſer Zeit keine Silbe geſprochen.
Mit über der Bruſt verſchränkten Armen blickte er dem
Thun des andern zu, und er begann auch noch nicht zu
reden, als dieſer nun gegen den Tiſch zurücktrat.
„Ich denke, jetzt ſind wie fertig!“ ſagte Hardeck.
„Noch nicht ganz,“ entgegnete der Advokat und ſah da-
bei dem jungen Manne feſt in's Geſicht; „ich möchte Ihnen
noch ein paar Worte ſagen — einiges aus der Vergangen-
heit, damit Sie mich verſtehen lernen.“
„O, ich bitte ſehr,“ ſagte Hardeck mit kalter Höflich-
keit, „ich verlange durchaus keine weiteren Auseiuander-
ſetzungen.“ ö
„In dem verkniffenen Geſichte Holms blitzte etwas wie

Spott auf.

5 O, ich glaub's ſchon,“ entgegnete er, „daß Sie der-
gleichen nicht verlangen! Was Sie nach unſerer Ueber-
einkunft verlangen konnten, ward Ihnen ja! Aber
eine Erklärung noch, weßhalb ich jenen — nun ſagen wir
jenen Antheil an Ihnen nahm und nicht that, was ich
hätte thun können, gebe ich Ihnen —: zum Hochzeits-
geſchenk, wenn Sie ſo wollen! — Sie haben in Ihren
Augen etwas, Hardeck, das mich an ein Mädchen erinnert,
welches ich einſt kannte; es war Ihre Mutter. Wundern
Sie ſich ſoviel Sie wollen, aber Ihre Mutter hat einmal
mein Herz, das jetzt nach wenig Menſchen mehr fragt, in
ihrer Hand gehabt. Alles hätte ſie aus mir machen kön-
nen — nichts wäre mir zu ſchwer und für nichts wäre
ich zu gering geblieben, wenn ſie es gewollt hätte. Aber
ſie wünſchte nict — oder wünſchte es wenigſtens nicht
lange, daß ich ihretwegen etwas anderes und beſſeres wurde
als ich war, denn dann kam Ihr Vater und er zeigte ihr,
daß ich nur als ein armer Schlucker daſtand in der Welt
und daß er ihr Anſehen und Glück und Ehre — haha,
wie weiß ich, was ſonſt noch alles! bieten könne, und da
ward ſie ſein Weib und ich — —“ er hielt inne und
ſtrich ſich mit der Hand über ſein Geſicht und durch ſeine
grauen, buſchigen Haare. „om — nun ja, was nützt es,
davon zu reden?!“ ö
„Sie ſprechen wahr: es nützt nichts weiter!“ fiel
Hardeck, in deſſen Zügen die Pein, welche ihm das Zu-
„Meine Mutter
iſt längſt geſtorben, und da der Vater jetzt auch todt iſt,
ſo erſparen Sie ſich und mir die böſen Erinnerungen.“
Das unwillige Zucken, welches einen Moment durch
Holms Züge glitt, verrieth, daß ihm die Art der Unter-
brechung nicht behagte; er faßte ſich jedoch raſch und zeigte
ſogar ein Lächeln — nur, daß daſſelbe etwas Hämiſches
hatte. —
„Jawohl, wie wunderlich es doch in der Welt zugeht!
Der Vater und die Mutter ſind todt und Sie ſind mein
Neffe geworden. — Bei der Gegenwart alſo wollen wir
ſtehen bleiben.“ ö
Der Offizier verbeugte ſich.
ſagte er kalt.
Holm lachte kurz auf.

„Wie Sie befehlen!“

„Gebrauchen Sie auch den
 
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