Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Familienblätter — 1882

DOI Kapitel:
No. 70 - No. 78 (1. September - 30. September)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.43712#0300

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
den Rieſenſchlangen ſich über den Boden ausbreiten; der
Gummibaum heißt daher auch bei den Eingeborenen
„Schlangenbaum“. Häufig erheben ſich dabei zugleich die
Wurzeln über den Boden gleich ſtarken, ſenkrecht ſtehenden
Brettern und bilden ſo mächtige Stützpfeiler, auf denen der
Rieſenſtamm unbewegt dem Sturme Trotz bietet. Die
Zwiſchenräume zwiſchen den Stützpfeilern bilden förmliche
Kammern oder Schilderhäuſer, in denen ſich ein aufrecht-
ſtehender Mann verſtecken kann.

— (Intelligenz der Fiſche.) Aus Neapel be-
richtet man ein amüſantes Experiment, welches vor Kurzem
in dem dortigen prächtigen Aquarium angeſtellt worden iſt.
Das Etabliſſement iſt am Rande des Meeres gelegen, be-
ſitzt jedoch auch Süßwaſſer-Baſſins, in denen Flußfiſche
gehalten werden. In einem derſelben befand ſich ein Hecht,
den man mit lebendigen Grundeln fütterte, die man in ſein
Baſſin warf. Als er ſich eines Tages müde und ſatt
nach der Jagd in einen Winkel zurückgezogen hatte, ließ
man langſam zwiſchen ihm und den noch übrigen Grun-
deln eine Scheidewand aus unbelegtem und vollkommen
durchſichtigem Spiegelglas herab. Sobald ſich bei Meiſter
Hecht der Appetit wieder zu regen begann, verſuchte er es,
nach ſeiner Gewohnheit, ſich auf die Grundeln zu ſtürzen,
ſtieß jedoch mit der Naſe heftig gegen das Glas; er zau-
derte ein wenig, dann machte er neue Angriffe und holte
ſich ſtets einen neuen Puff. Endlich zog er ſich in ſeinen
Winkel zurück, ſchien ſeine ſonſtige Gefräßigkeit gänzlich
aufgegeben zu haben, denn er machte keinen weiteren Ver-
ſuch, die Grundeln zu behelligen. Nach einigen Tagen
zog man die Scheidewand ebenſo ſachte wieder heraus, und
die Grundeln, die nun Raum ſpürten, verbreiteten ſich im
ganzen Baſſin. Einige kamen dem Hecht in nächſte Nähe,
der ihnen nicht nur nichts that, ſondern ſich ſchleunig zurück-
zog und ſorgfältig der ganzen Brut auswich, der er ohne
Zweifel die Püffe zuſchrieb, die er auf die Naſe erhalten
hatte. Es dauerte mehrere Tage, bevor ihn der Hunger
endlich zwang, zu ſeinen alten Gewohnheiten zurückzukehren.
Als Zeichen der Ueberlegung bei Thieren, die man im All-
gemeinen einer tieferen pſychiſchen Combination nicht für
fähig hielt, iſt der Vorgang jedenfalls bemerkenswerth.

— Auf einer Sommerbühne — wir wollen den Ort
diskret verſchweigen — wurde vor Kurzem Goethes „Fauſt“
aufgeführt, und zwar mit einer nicht nur für Goethekenner
ſehr intereſſanten Neuerung. In der Scene, wo Gretchen
am Spinnrade das „Meine Ruhe iſt hin“ deklamirt, ſtand
auf jener Sommerbühne Gretchen vor dem Tiſche mit —
Wäſchelegen beſchäftigt, da ein Spinnrad in der Requſiten-
kammer des Muſenhauſes nicht vorhanden war. „Wenn

es nur eine häusliche Beſchäftigung iſt!“ dachte jener Re-

giſſeur, der Gretchen ebenſo gut an die Küchenmaſchine

hätte ſtellen können: „Meine Ruhe iſt hin, mein Herz iſt

ſchwer. . ..“ Auch ein Fenſter putzendes, oder Eierkuchen
backendes Gretchen würde die von Goethe angedeutete häus-
liche Wirkſamkeit Gretchens paſſend illuſtrirt haben. Das
Spinnrad iſt nur noch ein Theaterequiſit, die mechaniſchen
Hilfsmittel des modernen Haushaltes ſehen anders aus,
und wenn das letzte Spinnrad verſchwunden iſt, ſeufzt
Gretchen vielleicht vor der — Nähmaſchine ihre Klagen
um die verlorene Ruhe.

— (Ein neuer Schlachtruf.) Der bekannte An-
ſtifter der neueſten Deutſchenhetze, Herr Paul Deroulede,
verſteht, wie er ſelbſt zugegeben hat, kein Wort Deutſch.

Eines Abends kam er, erzählt ein Correſpondent der „Fkf.
Ztg.“, mit mehreren ſeiner chauviniſtiſchen Freunde der
Liga zuſammen und theilte denſelben entrüſtet mit, er habe
ſoeben an den Fenſtern des Turnvereins gelauſcht und die
antifranzöſiſche „Wacht am Rhein“ hellauf ſingen hören.
Herr Derouléde beſitzt nicht blos dichteriſche Anlagen, ſon-
dern iſt auch muſikaliſch. Man bat ihn, ſo ungefähr die
Melodie des gefährlichen Liedes nachzuſingen. Dem ent-
ſprechend begann Herr Derouléêde; aber kaum hatte er die
1. Strophe geſungen, als ihn einer der Zuhörer, der ein
paar Worte Deutſch wußte, mit der Bemerkung unterbrach:
„Aber das iſt ja ein religiöſes Lied; ich hörte es oft und
weiß jedenfalls ſo viel beſtimmt, daß darin von Wallfahr-
ten die Rede iſt!“ Herr Derouléde wurde unwillig und
entgegnete: „Auch ohne Deutſch zu verſtehen, weiß ich das
beſſer! Hören Sie nur den wilden Schlachtruf, der in
dem Lied als Refrain vorkommt, den Ruf, welchen ich von
1870 her noch ſo klar in der Erinnerung habe!“ Und
nun ſang Herr Derouléde den Schlachtruf, welcher in nichts
Anderem beſtand, als in dem Refrain des alten Kneip-
liedes „Die Pinſchgauer wollten wallfahrten geh'n:
Tſchahi, Tſchaho, Tſchahia hia ho!“ u. ſ. w.

— Ein liebenswürdiges Bonmot des verſtorbenen
Honved-Miniſters Szende kolportirt man in Peſt. Vor
längerer Zeit traf er in Wien mit dem Fürſten Bismarck
in einer illuſtren Geſellſchaft zuſammen, und beide Männer,
hohe impoſante Geſtalten, überragten alle Anweſenden um
ein Bedeutendes. „Sehen Sie,“ ſagte Bismarck, „wir ſind
die Größten in der Geſellſchaft ...“ — Miniſter Szende
entgegnete beſcheiden: „Excellenz ſind wohl der Größte, ich
bin nur der Längſte.“

Vom Büchertiſch.

—8 Von P. K. Roſegger's „Ausgewählten Schriften“
(in 80 zehntägigen Lieferungen à 50 Pf. — A. Hartleben's Ver-
lag in Wien) ſind uns ſoeben die Hefte 61 70 zugekommen.
Die überaus beifällige Aufnahme, welche die erſten zwölf Bände
(Liefgn. 1—60 von Roſegger's „Ausgewählten Schriften“ gefun-
den, veranlaßte die Herausgeber, noch vier neue Bände (61 —80.
Lfg.) folgen zu laſſen, wovon zwei bereits in Heften erſchienen
ſind. Da haben wir „Die Sonntagsruhe“, in welcher wir den
Autor von einer ganz neuen Seite kennen lernen. Außer ſeinen
neueren Dialectgedichten, die zum Theile durch ihres Verfaſſers
Vorleſungen bekannt geworden ſind, enthält der Band auch hoch-
deutſche Gedichte, wovon mehrere durch eine glühende Erotik, an-
dere durch reine Gefühlstiefe, wieder andere durch zornige Welt-
anklagen ſich auszeichnen. In den Aufſätzen über Kinder begegnen
uns die berühmten Artikel: „Spaziergänge mit dem Knaben“,
„Spaziergänge mit dem Mädchen“, die bei ihrem erſten Erſcheinen
in Roſegger's „Heimgarten“ ſo begeiſtert aufgenommen worden
ſind. Endlich tritt uns die Weltanſchauung des Verfaſſers nir-
gends ſo klar und wohlthuend entgegen, als in den „Wahrzeichen
und „Weltbetrachtungen“, mit denen der inhaltsreiche Band
ſchließt. — Der andere, als der 14. Band der ganzen Sammlung,
nennt ſich „Dorfſünden“, er enthält Novellen, deren Inhalt durch
den Geſammttitel gar treffend angedeutet iſt. Weiter brauchen
wir nichts zu ſagen.
Die von der Verlagshandlung veranſtaltete Ausgabe von
Roſegger's Ausgewählten Schriften in 16 Bänden (zum wohl-
feilen Preiſe von 2 M. 50 Pf. geheftet, oder 3 M. 70 Pf. ge-
bunden pro Band), für jenen Theil des Publikums, welcher die
Lieferungs⸗Ausgaben vermeidet, dem aber ebenfalls Gelegenheit
zu bequemer Anſchaffung in Bänden dadurch geboten werden ſoll,
iſt bekanntlich bis zum zwölften Bande ausgegehen. Die vier
nenen Bände, enthaltend: Sonntagsruhe — Dorfſünden —
Meine Ferien — Der Gottſucher, werden, wie die Verlagshand-
lung mittheilt, noch vor Ende 1882 in der Band-Ausgabe er-

ſcheinen.

Druck u. Verlag von Adolph Emmerling u. Sohn in Heidelberg. Für die Redaction verantwortlich: Fr. Emmerling.
 
Annotationen