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möge in das Strafgesetzbuch einen Paragraphen einstigen,
wonach bei Gerichtsverhandlungen von den fünf Richtern
wenigstens einer nicht schlafen dürfe. (!) Laikenbacher be-
streitet zwar die Absicht einer Beleidigung, die Richter
ließen sich diesen groben Spaß jedoch nicht gefallen und
verurtheilten den Schlingel zu vier Wochen Gefängniß.
* Mannheim, 4. Jan. Wie bekannt, wird im Laufe
dieses Jahres am hiesigen Platze eine „Amerikanische
Ausstellung und Gedenkfeier der deuschen Kulturmission
in der neuen Welt" stattfinden. Dieselbe soll eine
Illustration des amerikanischen Geisteslebens geben und
die reichen, verschiedenartigen Hilfsquellen für wissenschaft-
liche Forschungen und wirtschaftliche Unternehmungen ent-
falten. Nach einem mir vorliegenden Programmauszug
wird die Ausstellung folgende Abtheilungen umfassen: 1)
Amerikanische Naturprodukte: Erze, Mineralien, Gesteine;
Produkte des Feldes und Waldes, der wissenschaftlichen
Industrie. Metallurgie. Chemische und pharmazeutische
Produkte. Erfindungen und Patente. Jndustrieprodukte
im Allgemeinen. 2) Gegenstände der Naturgeschichte,
Archäologie, Ethnologie, Photographien von amerikanischen
Landschaften, Landkarten. 3) Hervorragende Produkte der
amerikanischen Literatur und Wissenschaft. Graphische Künste.
Buchdruck. 4) Darstellung des Antheils und der Mit-
wirkung öffentlicher und anderer Institute in der Kultur-
entwickelung der amerikanischen Nation, ihre Organisation,
Hilfsmittel und Transaktionen.
* Mannheim, 5. Jan. Am Morgen des 1. Jun.
1880 wurde in der Nähe von Leutershausen ein israeliti-
scher Handwerksbursche, Namens Pollack aus Hamburg,
schwerverwundet aufgefunden; erstarb schon nach wenigen
Stunden, ohne wieder zum Bewußtsein gekommen zu sein.
Der Verdacht, den Mord begangen zu haben, lenkte sich
damals auf zwei Handwerksburschen aus Norddeutsch-
land, welche am Tage vor der Mordnacht in der Gesell-
schaft des Ermordeten die Bergstraße entlang gewandert
waren; es wurde gegen Beide Anklage wegen Mordes
erhoben, die im Dezember 1880 vor dem Schwurgericht
Mannheim zur Verhandlung kam. Die Geschworenen er-
kannten, da direkte Beweise gegen die beiden Burschen nicht
Vorlagen, auf „Nichtschuldig", worauf dieselben wieder in
Freiheit gesetzt wurden. Sechs lange Jahre sind seit jener
Mordnacht in's Land gegangen; man gab sich wohl kaum
mehr der Hoffnung hin, daß der oder die Mörder zur
Rechenschaft gezogen werden könnten, damit die zum Himmel
schreiende That gesühnt werde. Doch heute endlich scheint
das Dunkel, das über diese geheimnißvolle Mordaffaire so
lange ausgebreitet war, sich zu lichten. Man glaubt end-
lich, die richtigen Mörder, die sich wohl schon lauge in
Sicherheit gewiegt haben mögen, entdeckt zu haben. Wie
nämlich der General-Anzeiger zu melden weiß, hat Herr
Polizeikommissär Meng den einen der Mörder in Neu-
münster im Holsteinischen verhaftet und letzten Samstag
Abend im Gefängniß hier eingeliefert; dem zweiten Mörder
glaubt man ebenfalls auf der Spur zu sein.
< Neckargemünd, 6. Jan. Ein seltenes Fest hat
heute unsere Stadt gesehen, das Fest des fünfzigjährigen
Dienstjubiläums unseres allverehrten Dekans und Protest.
Stadtpfarrers Wöttlin. Schon gestern Abend wurden
demselben die Glückwünsche der Kirchengemeinde durch deren
Vertreter dargebracht, aber auch die politische Gemeinde
hat dem Gefeierten eine Ueberraschung bereitet, die ihn
hoch erfreute — sie hat ihn zum Ehrenbürger der hiesigen
Stadt ernannt und wahrlich sie hat damit ihrer Dankbar-
keit den schönsten Ausdruck gegeben, indem sie diesen, um
das Armenwesen so hochverdienten Mann so ehrt! Um
acht Uhr brachte der hiesige Gesangverein dem Hrn. Dekan
ein Ständchen, desgleichen heute Morgen die Schuljugend
mit der Musikkapelle. Um halb 11 Uhr heute vereinigte
sich die Festgemeinde, die Herren Geistlichen der Diözese

die Herren Lehrer und sämmtliche Schulkinder zu einem
stattlichen Festzug vom Pfarrhaus zur Kirche unter Vor-
antritt des Jubilars und des amtirenden Geistlichen, beide
im Ornat. Der Letztere schilderte in ergreifender, schöner
Rede die Herrlichkeit dieses seltenen Festes und die großen
Verdienste des greisen Geistlichen in all' seinem vielseitigen
Streben und Wirken und überreichte ihm schließlich eine
weitere große Ehrcnauszsichnung! Das Eichenlaub zu dem
bereits innehabenden Zähringer Löwenorden Namens Sr.
Kgl. Hoheit unseres Großherzogs. Tief gerührt dankte
der Jubilar für die vielen Ehrenbezeugungen und wie er
sagte „unverdiente Lobeserhebungen" — wir aber wissen es
besser, daß diese „wohlverdiente" waren, wir wissen zu
erzählen von der unermüdlichen Hilfsbereitschaft und von
dem offenen Herzen, das jedem Menschen voll Liebe ent-
gegenschlägt. Weit über seine Pflichten hinaus hat der
Herr Dekan stets geholfen und gethan, was in seinen
Kräften stand, deshalb hängt auch die Gemeinde mit Liebe
und Verehrung an ihm und vereinigt sich in dem Wunsche,
daß ihn uns der Allmächtige noch lange Jahre am Leben
erhalten möge.
— Walldorf, 4. Jan. Im Jahre 1886 wurden
dahier geboren 142 Kinder und zwar 70 männlichen und
72 weiblichen Geschlechts, darunter sind 12 außereheliche
Geburten. Gestorben sind 90 und zwar 47 männliche
und 43 weibliche Personen einschließlich 3 Todtgeburten.
Ehen wurden abgeschlossen 24, wovon 18 ihren Wohnsitz
hier und 6 auswärts haben. — Heute Vormittag ist der
verheirathete 27 Jahre alte Taglöhner Peter Schell II.
beim Stammholzfällen im Gemeiudewald dadurch verun-
glückt, daß er von einem umgefallenen Stamme am Kopf
getroffen wurde und sofort eine Leiche war. Der Verun-
glückte hinterläßt eine arme Wittwe mit einem Kinde.
tz Bon der Schwarzbach, 6. Jan. Am verflossenen
Montag wurde auf der Gemarkung Spechbach, dem Jagd-
terain des Prinzen von Löwenstein zu Langenzell, Treib-
jagd abgehalten, welche aber zu der Menge des Wildes,
welches es auf hiesiger Gemarkung hat, nur ein ganz ge-
ringes Ergebniß lieferte. Es sollen, wie ich erfahren konnte,
nur 3 bis 4 Rehe und etwa 36 Hasen geschossen worden
sein. Am zweiten Tage wurde die Neckarhalde abgetrieben
und sollen hier 5 Rehe und 7 Hasen erlegt worden sein.
* Aus der Pfalz, 6. Jan. Der „Pf. K." schreibt
vom 5. ds.: Gestern sprang die 19 Jahre alte Sophie
Kroneiß, von Ludwigshafen gebürtig, seither bei ihrer
Mutter in Mundenheim wohnhaft, von der Brücke aus
in den Rhein. Auf der Brücke ließ sie ihren Hut, Muff
und eine Visitenkarte liegen. — Ferner wird uns mit-
getheilt, daß ein junger Mann, Namens Karl Weber, an
seine Mutter, Wittwe Paul Weber, einen Brief gerichtet
habe, in welchem er mittheilt, daß er den Tod im Rhein
gesucht habe. Die Leichen der Beiden, welche ein Liebes-
verhältniß unterhalten haben sollen, sind noch nicht gefunden.
* Frankfurt, 4. Jan. Das Manuskript von Scheffels
Festlied zum Heidelberger Universitätsjubiläum befindet
sich seit einigen Tagen im Besitze des Freien deutschen
Hochstifts Hierselbst. Hofkapellmeister Vinzenz Lachner in
Karlsruhe, welcher Ehrenmitglied des Hochstifts ist, hat
es demselben nebst der Originalpartitur seiner Komposition
des Liedes zum Geschenk gemacht.
* Aus Rheinhessen, 5. Jan. Das Tagesgespräch
bildet das heimliche Abreisen zweier Mädchen wohlhaben-
der Eltern mit ihren Liebhabern von Oppenheim. Die
flüchtigen Mädchen sind Israelitinnen und ihre Liebhaber-
gehören der katholischen Religion an und soll der Anlaß
zur Flucht der jungen Leute, die mit reichen Geldmitteln
versehen, ihren Weg nach Amerika eingeschlagen haben,
darin zu suchen sein, daß die beiderseitigen Eltern den
Eheconfens verweigerten.
* München, 5. Jan. Der Humorist Gemmig in

München bat eine 30tägige Hungerwette bei täglich ein-
maligem Genuß eines Glases Wasser an. Zwei Herren
wetteten 20,000 gegen 10,000 Mark. Gemming erhält
bei gewonnener Wette die Hälfte. Der Hungerkandidat
verbleibt während der Fastenzeit in Ungerers Restaurant,
beobachtet von zwei Zeugen und einem Arzt. Jeden Abend
muß der Faster eine Runde durch das ganze Lokal machen.
Der Wettbeginn ist auf den 5. Januar festgesetzt.
* Aus Baden, 6. Januar. Dem Altbürgermeister
Ueberle in Leopoldshafen wurde in der Neujahrsnacht
von irgend einem rohen Burschen ein Schrotschuß durch
die Fenster des Wohnzimmers geschossen. Als Ueberle
den Fall sofort zur Anzeige gebracht und seine Wohnung
wieder betreten hatte, fiel ein zweiter Schuß von Außen,
der im Zimmer Beschädigung anrichtete. — Die seit 17
Jahren bestehende Käsereigenossenschaft in Binningen
hat sich dieser Tage aufgelöst. Es blieben bei der Schluß-
abrechnung noch 10000 Mk. durch die Mitglieder zu
decken. Die Hälfte der Summe soll Freiherr v. Hornstein
bezahlt haben. — Der Vorschußverein in Sinsheim er-
zielte im Jahre 1886 bei einem Umsätze von 939 600
Mark rund 123000 Mk. Einnahmen — In Folge ge-
ringer Ergebnisse der Lotterie in Baden fürchtet man auch
für die Existenz der Iffezheimer Rennen, welchen aus der
Lotterie 80000 Mk. Ueberschüsfe zuflossen. — In Heck-
feld hat sich ein Militärverein gebildet.
Vermischtes.
Aus Thüringen, 4. Januar. Vor Kurzem
richtete eine Anzahl Wehrleute, Reservisten und Landwehr-
männer im altenburg'schen Westkreise an die Militärbehörde
eine Bittschrift, in welcher dieselbe ersucht wurde, die
betreffenden Versammlungen nichtin Gera, sondern in Herms-
dorf resp. Kloster-Tausnitz abzuhalten, da dadurch eine
Geld und Zeitersparnis; für die Mannschaften erzielt werde.
In Folge dieses gemeinsamen Schrittes wurde Standge-
richt über die Unterzeichner abgehalten und die Mehrzahl
derselben wegen gemeinsamer Unterzeichnung einer Schrift
in Militärischen Angelegenheiten zu drei Tagen Mittelarrest
vcrurtheilt. Der Sammler der Unterschriften soll aber
vier Wochen erhalten haben. — Der Schneefall in den
Thüringer Wäldern ist ein ganz enormer. Für das Wild
ist das in einer Beziehung gut, es kann nicht gejagt
werden, desto mehr leidet es aber an Futtermangel.
Hirsche und Rehe kommen auf der Landstraße bis an den
Eingang der Dörfer.
— Brüssel, 5. Jan. Das gestrige Gruben-Unglück
von Eskrussiaux richtete furchtbare Verheerungen an. Bis-
her wurden 37 Tobte und 5 Schwcrverwundete geborgen.
Der ganze Schacht ist gründlich zerstört.
Lokales.
X Heidelberg, 6. Jan. (Theater.) Unter den mehrfachen Wie-
derholungen, welche in letzterer Zeit über die hiesige Bühne gingen,
ist besonders „Nanon" hervorzuheben, welche ein lobendes Wort
verdient. Der Text zeichnet sich vor dem so mancher andern
Operette vortheilhaft aus. Und über manche leichteren Stollen
hilft die graciöse und melodienreiche Musik hinweg. Abgesehen
von den zum Volkseigenthum gewordenen Walzer: „Anna, zu
Dir ist mein liebster Gang" re., weist die Operette eine reiche
Mille der schwungvollsten und anmuthendsten Weisen auf, welche
sich über den Durchschnittswerth der gewöhnlichen Operettenmusik
bedeutend heben. Die geschickte Componirung und durchgehends
feinsinnige Instrumentation läßt überall den erfahrenen Musiker
und gewiegten Bühnencomponisten erkennen. Wir erinnern nur
an das Terzett zwischen Nanon, Ninon und Hector, das Duett
zwischen Nanon und Ninon, den ersten Chor des 2. Actes, Mar-
sillac's Couplet: „Der Weiseste der Weisen", das Terzett zwischen
dem Abbe, Marsillac und d'Aubignö. Sehr lobenswert!) war
die humoristische, schelmisch-neckische Darstellung der Titelrolle in
Spiel und Gang durch Frl. Möbus. Frl. Carlo löste die etwas
heikle Aufgabe, die Persönlichkeit der etwas frivolen Courtisane
Ninon, auf zart beseitete Gemüther nicht verletzend wirken zu
lassen, ziemlich geschickt. Besonders ist zu erwähnen der nette

Wieder breitete er seine Arme aus. Alice zögerte,
zitterte, dann aber flog sie mit einem Ausruf der Freude
in seine Arme und an seine Biust.
Ein langes Schweigen folgte, während dessen Crafton
in furchtbarer Wuth mit deu Zähnen knirschte. Mrs.
Malson und ihre Haushälterin aber sahen erschreckt von
Einem zum Andern und fingen an die Wahrheit zu be-
greifen.
„Bringen Sie Miß Alice's Hut und Umhang",
sprach der Graf endlich, zu Gretchen gewendet.
Die alte Frau gehorchte.
„Und nun, falscher Freund", sagte der Graf ruhig,
aber mit ernster und strafender Stimme, indem er sich an
Crafton wandte, „wir scheiden hier für immer. Nach all'
Deiner Schlechtigkeit und Verrätherei können wir nie
wieder zusammen verkehren. Deine Bestrafung überlasse
ich Deinem eigenen Gewissen."
Crafton antwortete nichts. Er verspürte große Nei-
gung, sich auf seinen Verwandten zu stürzen und ihn
niederzuschlagen; aber er wußte, daß der Graf stärker war,
als er. Seine Hand fuhr nach der Brust, um seinen
Revolver zu suchen, aber die alte Sally, welche ihn scharf
bewacht hatte, erfaßte seine Hand mit eisernem Griff und
hielt ihn fest, so daß er sich nicht rühren konnte.
„Hier wird kein Verbrechen verübt!" rief sie ent-
schlossen. „Gehen Sie, Mylord. Der Schlüssel zur vor-
deren Gartenthür hängt an einem Nagel rechts bei der
Thür. Gehen Sie!"
Der Graf nahm Alice wie ein Kind in seine Arme
und eilte, gefolgt von Gretchen, durch den Vordergarten
hinaus auf die Straße.

XDVIII.
Es war Abend. Lady Trevor saß allein in ihrem
Boudoir. Sie erwartete Mr. Pulford und hatte sich gegen

alle Besucher verleugnen lassen. Das Gemach war glän-
zend erleuchtet und behaglich erwärmt, und sie hatte pracht-
volle Toilette gemacht zu Ehren seiner Ankunft. Dia-
manten, auf silberne Zweige gesetzt, schmückten ihr schwarzes
Haar, und Diamanten umschlossen ihren Hals, ihre Arme
und Finger. Mr. Pulford liebte solche Pracht, und sie
hatte sich als Braut für ihren Verlobten geschmückt.
Nur ihr Gesicht war nicht das einer glücklichen Braut.
Ihre dunklen Augen blitzten in einem seltsamen unheim-
lichen Glanze; ihre schönen Züge trugen einen harten und
entschlossenen Ausdruck. Aber dennoch war sie ruhelos und
ängstlich und schreckte bei jedem Geräusch zusammen. Dann
und wann fuhr ihre Hand unwillkürlich unter das Kleid
an ihre Brust, wo sie zwei Fläschchen unter Sammet und
Seide verborgen hielt.
Nicht im Stande, ruhig zu sitzen, schritt sie im
Zimmer auf und ab, unruhig und nervös. Sie trat an
ein Fenster, schlug die Gardine zurück und blickte hinab
auf die Straße.
„Er sollte schon hier sein," murmelte sie. „Er tele-
graphirte, daß er heute Morgen in London ankommen
werde. Wie, wenn es ihm doch mißlungen wäre? Doch
nein, ein Mißlingen ist nicht möglich. Er hat seinen Zweck
erreicht, und sein Erfolg ist sein Todesurtheil!"
Sie setzte ihren Gang durch's Zimmer fort. Plötz-
lich hörte sie hastige Schritte aus der Treppe, die sich
dann ihrem Zimmer näherten. Im nächsten Augenblick
wurde die Thüre geöffnet und Pulford trat ein.
Pulford blieb an der Thür stehen, wie bezaubert von
ihrer Erscheinung; dann eilte er zu ihr, um sie zu be-
grüßen. Sie duldete ohne Widerstreben seine Umarmung,
erwiderte sie jedoch nicht.
„Wann kehrten Sie aus Schottland zurück?" fragte
sie, als er sie losgelassen und sie ein paar Schritte zu-
rückgetreten war.
„Heute Morgen," antwortete er. „Ich war todt-

müde, vollständig erschöpft und habe den ganzen Tag im
Bett zugebracht. Wie herrlich Du aussiehst, Edith, wie
eine Feenkvntgin! Ist all' dieser Glanz für meine Augen
bestimmt, oder hast Du Gesellschaft?" und er warf einen
hastigen Blick durch's Zimmer.
„Ich schmückte mich für Dich, Horace," sagte die
Wittwe mit erheuchelter Freundlichkeit. „Ich will heute
Abend keine anderen Besucher empfangen, als Dich."
Pulford sah sie scharf an. Diese neue Liebenswür-
digkeit ihrerseits überraschte ihn. Sie hatte sich gegen die
Heirath mit ihm gesträubt; sie hatte ihn mit Unwillen und
Zorn behandelt, er hatte ihre unweibliche Liebeserklärung
vor Lord Glenham gehört und die Erklärung, daß sie ihn
hasse, er hatte ihren Abscheu vor ihm ihr an den Augen
abgelesen — und nun war sie mit einem Male wie um-
gewandelt! Diese ungewohnte Freundlichkeit machte ihn
mißtrauisch.
„Du bist heute nicht Du selbst," bemerkte er spöttisch.
„Es ist nicht Deine Art, bloß meinetwegen so im Glanze
zu erscheinen. Was soll das bedeuten, meine liebe Edith?
Welche Verrätherei hast Du vor?"
Die Wittwe zuckte leicht. Konnte er ihre Seele durch-
schauen? Sie stellte sich, als fühle sie sich beleidigt, um
ihre Verwirrung unter einem Schmollen verdecken zu
können.
„Verrätherei?" wiederholte sie. „Wie kannst Du mich
der Verrätherei beschuldigen? Ich heuchle keine Liebe zu
Dir; ich gebe mir nicht den Anschein, als sei eine Heirath
mit Dir nach meinem Geschmack; aber in Deiner Ab-
wesenheit habe ich mich entschlossen, mich in's Unvermeid-
liche zu fügen. Ich bin zu stolz, um den Leuten zu zeigen
daß ich eine unglückliche Braut bin. Wenn ich Dich doch
heirathen muß, will ich mir den Anschein geben, als ge-
schehe es freiwillig und aus Liebe, und als sei ich glücklich.
(Fortsetzung folgt.)
 
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