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^»L 11.

Verantwort!. Redaktmr PH. Klausner
in Heidelberg.

Freitag, 14. Januar

Druck und Verlag von Wurm L Pfeffer
in Heidelberg.

1887.

Deutsches Reich.
Berlin, 12. Jan. Der Reichstag setzte die Bera-
thung der Militärvorlage fort. v. Helldorf-Bebra spricht
für unveränderte Annahme der Militärvorlage. Hasen-
clever spricht gegen dieselbe. (Bismarck tritt ein.) Der
Kriegsminister Bronsart v. Schellendorf weist auf
die Kommissionsverhandlungen hin, wo die Regierung aus-
geführt habe, daß die bisherige Friedenspräsenzstärke nicht
mehr ausreiche, und diejenige Vermehrung, welche die
Vorlage fordere, unerläßlich sei. Alle Ziffern seien da-
bei genauestens und zutreffendst angegeben worden. Be-
züglich der Dienstzeit und der Ausbildung der Mann-
schaften sei alles wohl erwogen worden. Die Regierung
könne von ihrer Forderung nicht abgehen. Die Einrich-
tungen der anderen großen Armeen ständen dem Vor-
schläge der Regierung zur Seite; er hoffe auf unverän-
derte Annahme. Graf Behr spricht für unverkürzte An-
nahme der Vorlage. Dr. Windthorst kommt auf die
Aeußerung des Reichskanzlers bezüglich des Königs von
Hannover zurück, und behauptet, wenn der König von
Hannover die Hilfe der Franzosen angerufen, so habe er
nur gethan, was auch andere gethan, als sie zur Zeit des
deutschen Bundes mit Italien kokettirten und aus unga-
rischen Gefangenen eine Ungarlegion bildeten. Die Hanno-
veraner seien treue Angehörige des Reiches, die auf den
Schlachtfeldern mit geblutet und bei der Wirthschaftspoli-
tik des Reichskanzlers mitgewirkt hätten. Der Name „Welf"
sei ihm ein Ehrenname. Er empfiehlt schließlich die drei-
jährige Bewilligung der ganzen Vorlage. Fürst Bismarck:
Der Vorredner muthet uns zu, daß wir von dem nächsten
Reichstag auf's Neue die Vorlage uns dann auf 3 Jahre
bewilligen lassen sollen; kann denn die Mehrheit nicht
wechseln? können wir dann nicht ganz geänderten Verhält-
nissen gegenüber stehen? Nach 7 Jahren ist das freilich
ebenso wenig berechenbar, aber in diesem Zeitraum wird
man einerseits die Ausbildung der neuen Truppen besser
fördern und dann die Hoffnung haben können, zu neuen
Kompromissen zu gelangen. Gerade im Interesse der Kom-
promisse halte ich unbedingt an sieben Jahren fest. Im
Zentrum vereinigen sich viele heterogene politische Ele-
mente, sind Sie sicher, daß sich diese Vereinigung immer
erhalten möge? Sind Sie selbst der Fortdauer dieser Ver-
einigung bei den nächsten Wahlen sicher? Ich erinnere
an Bayern: dort ist im Zentrum Einigkeit, soweit die
Interessen der katholischen Kirche in Betracht kommen;
sind aber diese gesichert, so dürften sich doch dort Diffe-
renzen aller Art Herausstellen. Keine Verfassung kann ohne
Kompromisse bestehen; die Sorge für die Verfassung und
das Volk ist auf unserer Seite. Ich meine ein Parla-

mentsheer ist ein solches, welches von der Abstimmung des
Parlaments abhängig ist, und davon kann und soll bei
uns nicht die Rede sein. Als wir Ihnen die Verfassung
und damit so viele Freiheiten und Rechte gaben, haben
wir nie gedacht, daß es zu so elenden Streitigkeiten kommen
werde, wie die, welche hier vorliegen. Wenn dergleichen
möglich, dann haben wir uns in Ihnen geirrt, auch das
Volk hat sich in Ihnen geirrt, ich bleibe dabei. Die Ver-
fassung ist auf unserer, nicht auf Ihrer Seite. Wenn ich
übrigens von einem kaiserlichen Heere spreche, so möchte
ich gewiß nicht der Heereshoheit der eizelnen Souveräne
der Bundesstaaten zu nahe treten. Das Beispiel mit der
Marine ist unzutreffend. Sie wollen hier von Ihrem
Budgetrecht Besitz ergreifen, dieses würde Ihnen nicht
bestritten sein, wenn Sie auf unsere Vorschläge eingehen
wollen. Bismarck verbreitet sich über die Zusammen-
setzung der Opposition aus dem Zentrum, den Freisinnigen
und Sozialdemokraten u. s. w., alle diese Fraktionen bil-
deten stets ein geschlossenes Ganzes gegen die Regierung.
Auf die Bürgschaft für den Frieden, die Windthorst über-
nommen, könne er sich nicht einlassen, auf die Möglichkeit,
daß uns die Franzosen nicht angreifen, könne er sich auch
nicht verlassen. Was nützt es, wenn ich sage, die Fran-
zosen sind heute ungefährlich? Muß es denn nun immer
so bleiben? Sollen wir uns nicht auch auf andere Mög-
lichkeiten vorbereiten? Was die Karolinenfrage betrifft, so
wird man mir doch wohl zugeben, daß es nicht gerathen
war, um dieser Angelegenheit wegen mit Spanien zu
brechen und in den Krieg zu gerathen. Man möge nicht
die Arbeiterfrage hier hereinziehen, aus des Kaisers Ruf
wären sicher die Arbeiter allezeit bereit, für das Vater-
land einzutreten. Er habe die Sache des Königs von
Hannover nicht angeregt, er habe nur von den Folgen
gesprochen, welche eine Niederwerfung Deutschlands durch
die Franzosen herbeiführen könnten. Die Hannoveraner
sind eine Stütze des Kaisers, das kann ich doch von der
Partei hier in diesem Hause nicht sagen. Es ist richtig,
daß wir die Verhandlungen mit dem König von Hannover
abgewiesen haben, aber noch schöner sind wir von Han-
nover abgewiesen worden im Jahre 1866. Alle unsere
Vorstellungen und Bitten um den Anschluß hat Hannover
unbeachtet gelassen, alle vorher uns gemachten Zusagen
wurden nicht gehalten, während der Verhandlungen wurde
gegen uns gerüstet, also liegt kein Grund vor, daß Windt-
horst sich hier heute so ereifert; ich kann nur nochmals um
Annahme der Vorlage im vollen Umfange bitten. Meine
Ueberzeugung und Entschlossenheit, daß auch in drei Mo-
naten von der Vorlage in vollem Umfange nicht ein Haar
breit abzulassen sei, wird dieselbe bleiben. Hierauf wird
der Antrag auf Vertagung angenommen. Es folgt eine

Reihe persönlicher Bemerkungen. Windthorst erklärt,
die Bemerkungen des Fürsten Bismarck über Hannover
seien unzutreffend, er werde darauf zurückkommen. Schluß
um br/y Uhr. Fortsetzung morgen 11 Uhr.
Berlin, 12. Jan. Der Gesetzentwurf, betr. Unfall-
versicherung der Seeleute, wie er von den Ausschüssen
des Bundesraths abgeändert worden, wird in der morgi-
gen Plenarsitzung des Bundesraths zur Berathung ge-
langen. Während das Prinzip, daß die versicherten Ar-
beiter zu den Kosten der Unfallversicherung nichts bei-
tragen, festgehalten wird, wurde den Rhedern die Conces-
sion gemacht, daß sie nicht mehr, wie bisher, die ganze
Last der Krankenversicherung tragen sollten.
Altona, 12 Jan. Von Norden kommend, passirten
gestern 70 Waggonladungen dänischer Pferde, für die
französische Artillerie bestimmt, unsere Stadt.
Gesterreich-Avgarrr.
Wien, 12. Jan. Vorläufig ist von einer Einberufung
der Delegationen zu einer außerordentlichen Session keine
Rede und werde dieselbe erst erfolgen, wenn die Kriegs-
verwaltung Ausgaben in größerem Maßstabe erforderlich
finde. — Die Presse betont, was Bismarck gesagt, sei
überzeugend für jeden Redlichen. Die Bemerkungen über
Frankreich zeigten Achtung vor der französischen Nation
und das stolze deutsche Machtbewußtsein, welches er aus-
drückte, sei frei von jeder Verletzung fremder Empfindlich-
keit. Das Schwergewicht seiner Ausführungen liege im
Apell an gewisse Reichstagsabgeordnete. Die Wahrung
des Deutschen Reiches sei die Parole für die Abstimmung
des Reichstags oder die Neuwahlen. — Das „Fremden-
blatt" hebt den warmen, herzlichen Ton hervor, in welchem
Bismarck gestern in Durchführung seiner Friedensmission
Oesterreichs gedacht. Wenn Bismarck den Einfluß der
Dreikaisermächte auf die Befestigung des Friedens hervor-
gehoben, wenn er die freundlichen Beziehungen dieser Mächte
zu einander betont, so könne dies Oesterreich nur mit
hoher Befriedigung erfüllen, als nachdrückliche Widerlegung
der so vielfach variirten Meinung, als wäre das Ver-
hältniß Deutschlands zu Rußland jemals geeignet gewesen,
das Band zu lockern, das Oesterreich mit Deutschland so
innig verknüpfe.
Arankreich.
Paris, 12. Jan. Der „Frkf. Ztg." wird telegraphirt:
„Figaro", „Matin" und „Radical" besprechen die Rede
Bismarck's. „Figaro" und „Radical" rathen zur größten
Zurückhaltung gegenüber Bismarck's Anklage. „Radical"
glaubt, der Reichstag werde das Septennat verwerfen.
„Matin" sagt: Bismarck habe richtig gesehen. Frankreich
wolle einen Krieg nicht, obschon die Rechnung über Straß-

Gekrochener Stolz.
Erzählung von A. Baumann.
(Fortsetzung.)
Durch das bescheidene Benehmen des Paul Waldon,
sein hübsches Gesicht und die gewählte Redeweise desselben
angezogen, fühlte sie sich veranlaßt, ihm Ella's Lebenslauf
zu schildern. „Sie ist weder mein Kind, noch auch meine
Verwandte," fing die Wittwe zu erzählen an, „und eben
so wenig weiß ich, woher sie gekommen ist und welche
welche Eltern sie gehabt hat. An einem sehr schönen
Sommerabende sah ich eine Frau meinem Hause zuwanken,
welche mir wie eine vornehme Dame vorkam, und noch
zur Stunde kann ich mich des Gedankens nicht erwehren,
daß sie den höheren Ständen angehört haben muß. Sie
hatte ein blasses, schönes Antlitz, reiches, hellbraunes
Haupthaar und hielt ein kleines Kind an der Hand. Sie
war dürftig, fast ärmlich gekleidet- Ich sah, wie sie einen
Brief in den Postkasten steckte und dann weiter ging; ihr
Antlitz wurde blässer und ihre Augen richteten sich, als
sie mich erblickten, mit erloschenem Glanze bittend auf
mich. Es ward mir klar, daß die arme Frau unvermögend
sei, ihren Weg fortzusetzen, weshalb ich sie anredete, wo-
rauf sie sagte: „O, wenn ich nur eiu halbes Stündchen
bei Ihnen ausruhen dürfte! Neben sie Barmherzigkeit
gegen mich." Ich vermochte ihrer Bitte nicht zu wider-
stehen. Sie trat in mein Haus, um es nicht wieder
lebend zu verlassen. „Mein Herz scheint erstarrt zu sein,"
äußerte sie mit blauen, bebenden Lippen, als sie sich auf
einen Stuhl gesetzt hatte, den ich ihr eiligst anbot. „Ella,
mein theueres Kind, „sagte sie, indem sie versuchte, es an
sich zu pressen, — „ich sterbe!" — Und als ich er-
schrocken zu ihrem Beistände hinzusprang, fand ich, daß
sie bereits todt war. Das Verdikt der Leichenschau lautete,
daß sie an einem Herzschlage gestorben sei, veranlaßt durch
Ueberanstrengung und Entbehrung. Wir beerdigten sie

anständig, — denn unsere sämmtliche Nachbarn sind treff-
liche Leute, die, wie sie der Verblichenen in's schöne
Antlitz sahen, es nicht zugeben wollten, daß die Leiche
vom Armenhause aus bestattet würde. Wir beerdigten sie,
sage ich, und dann meinte mein Gatte, daß wir uns von
ihrem Kinde nicht trennen dürften. Es ähnelt seiner
Mutter so sehr, daß wir und Jedermann darüber erstaunt
waren. Mein Mann verhätschelte, ja, verehrte das Kind,
das, nachdem es von uns adoptirt worden war, den Namen
Ella Hope führte."
„Haben Sie in der Folge nie etwas über die Her-
kunft ihrer Mutter in Erfahrung gebracht?"
„Nein, unser Pastor, Herr Kirdell, veröffentlichte
den seltsamen Fall in mehreren der gelesensten Tages-
blättern, war auch Anfangs sehr thätig, Nachforschungen
anzustellen, aber Alles blieb umsonst. Die arme Mutter
hatte um ihren Hals ein goldenes Medaillon, enthaltend
ein Männerporträt und trug außerdem ihrm Hochzeitring,
welcher inwendig mit einer Inschrift versehen war. Ich
befürchtete, wir werden es nie erfahren, wer jenes arme
Weib gewesen ist."
„Und das, — das Kind — ist seitdem als ihre
Tochter erzogen worden?" fragte Paul Waldon. —
„Wenn ich sie bestimmen kann, mich zu lieben, Frau
Hope, wollen Sie mir sie anvertrauen?"
Und dann trat das schüchterne, erröthende Mädchen
herein und Paul ward entzückter als je. Bald darauf
gestand er ihr, wie lieb er sie habe und fragte sie, ob sie
sein Weib werden wolle. Es gab Augenblicke, wo sie ihn
in Verwirrung brachte. Es war etwas in ihrem Wesen,
was sie vor allen andern jungen Mädchen auszeichnete;
sie trug eine Würde, einen Adel zur Schau, ihre Schön-
heit war so eigenartig, ihr Wesen so romantisch.wer
ihre Mutter gewesen war, regte sie zu stets neuen Gedanken
und Phantasiegebilden an.
„Ich bin dessen ganz gewiß," sagte sie eines Tages
zu ihrem jungen Bräutigam, — daß meine Mutter eine

vornehme Dame gewesen ist, obgleich sie mit mir zu Fuß
in diesen Flecken gekommen ist."
„Was bewegt dich zu dieser Annahme?" fragte er.
„Das weiß ich selbst nicht zu erklären, jedoch ich
bleibe bei meiner Meinung. Mit derselben Sicherheit
wage ich zu behaupten, daß ich, wenn ich auch in diesem
niedrigen Hause erzogen und herangebildet worden, doch
eine Lady bin. Magst Du auch über mich lachen, ich
denke nicht desto weniger stets wie eine Dame aus der
Aristokratie. Ich liebe alles Erhabene und Schöne und
ich verachte alles Niedrige und Schlechte. Es ist mir,
als ob meine Geschmacksrichtung weder befriedigt, noch
meine Sehnsucht je erfüllt werden wird. Seltsame Ge-
fühle beschleichen mich und ich sage mir, wenn ich stunden-
lang mein Schicksal erwogen habe, daß ich wohl nie an
meinem rechten Platze sein werde.
Sie saßen während dieses Gespräches unter einem
großen schattigen Eichbaume, die Abendsonne machte Alles
glänzend. „Du bist nicht am rechten Platze hier, mein
Liebling. Dein Platz ist meine reizende Waldwohnung
— das sei deine Heimath! Du sollst meine Königin sein
und ich will für Dich arbeiten, wie kein Mann vorher
gearbeitet hat, eben weil ich über Alles Dich liebe."
Sie erwog nicht, wie ungewiß Paul's künftiger
Reichthum war. Er pflegte ihr gewöhnlich Modelle und
Formen von Dampfmaschinen und Hausgeräthe zu zeigen
und ihr zu berichten, daß ein Patent für diese Erfindung
und jene Verbesserung ihn zu einem reichen Manne
machen würde. Er malte ihr die Zukunft in rosigen
Farben aus und sie — sic willigte lächelnd darein die
Seinige zu werden.
Sie war allerdings sehr jung, zu jung eigentlich,
um sich schon zu verheirathen, aber Frau Hope meinte,
das thätc nichts zur Sache. „Ich werde leichter sterben
mein Kind," sagte sie, „wenn ich Dich in der Obhut
eines guten Mannes weiß."
(Fortsetzung folgt.)
 
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