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M 21.
«erontwortl, R-daktrur PH. «lau Sn «r
in Heidelberg.
Mittwoch, 25. Januar """ Wurm » si.n.r M^8.
Das Soeialistengesetz.
Zum Entwurf des neuen Socialistengesetzes be-
merkt ein maßvolles deutsch-freisinniges Blatt, die Wes.-
Ztg.": Die romantische Strafe der Verbannung, die un-
seren Vorfahren sehr geläufig war, hat für uns etwas
Verletzendes, dem natürlichen Gefühle Widerstreitendes.
Sic erinnert uns an die unmenschliche Härte der ver-
gangenen Zeiten. Man hat das Gefühl, daß nur zwin-
gende Nothwendigkeit oder die Aussicht auf sichersten Er-
folg sie rechtfertigen könnte. Wären diese beiden Be-
dingungen oder eine derselben vorhanden, so würde man
sich allenfalls mit der Maßregel aussöhnen. Wenn ohne
Verbannung der Bebel und Liebknecht der Staat unter-
gehen müßte, oder wenn man sicher wäre, durch die Ver-
bannung der Führer die Socialdemokratie aus der Welt
zn schaffen, so würde man sich leicht zu der Anwendung
des außerordentlichen Mittels verstehen. Es würde heißen
„Noth kennt kein Gebot" und „Lains Mistioa 8uxr6inn
1«x". Die schwache Seite der von der Regierung be-
antragten neuen Strafbestimmungen gegen die Social-
demokratie besteht darin, daß der Erfolg wahrscheinlich
gleich Null sein wird, weit geringer noch als der Erfolg
des bisherigen Ausnahmegesetzes gewesen ist. Die Social-
demokratie ist keine derjenigen Erscheinungen, die von der
Wirksamkeit einiger genialen und energischen Apostel und
Führer abhängen und die verschwinden, wenn man die
leitenden Personen beseitigt. Die Natur der ganzen Be-
wegung bringt es mit sich, daß es nur mäßiger und häufig
vorkommender Begabungen bedarf, um die Geschäfte der
Agitation und Conspiration zu besorgen: Eifer für die
Sache genügt, wenn er verbunden ist mit der Kunst, in
volltönenden Worten feststehende Behauptungen zu wieder-
holen, und mit einem gewissen Scharfsinn, die geheime
Machinationen dem Auge der Polizei entzieht. Die Seele
der Bewegung lebt in den Massen selbst, in den Hundert-
tausenden, die an die socialistische Irrlehre wie an eine
Religion sich mit Kopf und Herz hingegeben haben. Und
diese Seele kann inan natürlich nicht „der Staatsange-
hörigkeit für verlustig erklären". Das bestehende Aus-
nahmegesetz hat ohne Frage Einen Erfolg gehabt: cs hat
den öffentlichen Lärm der Agitation beseitigt. Ob es ohne
dies Gesetz zu ernsten Friedensstörungen gekommen wäre,
wie die „Begründung" der neuen Vorlage sagt, steht da-
hin. Wir trauen unseren Regierungen zu, daß sie auch
mit den gewöhnlichen Mitteln solche Scenen, wie Belgien
sie erlebt hat, verhütet haben würden Zweifelhaft ist es
auch, was die „Begründung" behauptet, daß man es dem
Ausnahmegesetz verdanke, wenn das Ueberwuchcrn der Be-
wegung auf die rein ländlichen Bezirke bisher verhütet
wurde. Denn dafür gibt es andere ausreichende Er-
klärungsgründe, und auch in Ländern, die kein Socia-
listengesetz haben, ist die Socialdemokratie vorwiegend
auf die Stadtbezirke beschränkt. Die Beseitigung des
Lärms ist und bleibt der unbestrittene und der haupt-
sächlichste Erfolg des bestehenden Ausnahmerechts. Nun
wird man aber doch, so hoch man auch die friedliche
Stille schätzen mag, einräumen, daß der Lärm ein ganz
untergeordneter, nebensächlicher, rein symptomatischer Theil
des Uebels war; die eigentliche Krankheit, die Ansteckung
der Massen mit revolutionärsten Leidenschaften, ist, wie die
„Begründung" selbst eingesteht, nicht nur nicht geheilt,
sondern sie ist eher schlimmer geworden. Sie hat sich weiter
verbreitet und sie ist hartnäckiger als je. Das Ergebniß
erinnert lebhaft an das Schicksal eines Kranken, der die
Schmerzen durch Morphium betäubt und mittlerweile das
Uebel, aus welchem die Schmerzen entstanden waren, hat
weiterfrcssen lassen.
Deutsches Weich.
Karlsruhe, 23. Jan. Am 11. Februar d. I. feiert
Se. Gr. Hoh. Prinz Wilhelm von Baden das Fest
seiner silbernen Hochzeit mit I. Kais. Hoh. der Prinzessin
Marie Maximilianowna Romanowska. Wir sind über-
zeugt, das ganze Land wird an diesem Familienfeste des
badischen Fürstenhauses freudigen Antheil nehmen. —
Gestern ist Se. Exc. der commandirende General des 14.
Armeecorps, General v. Obernitz, mit dreimonatlichem
Urlaub nach Oberitalien, zunächst nach Genua, abgereist.
Karlsruhe, 23.Jan. (2. Kammer.) Präsident Lamey
widmet einen ehrenden Nachruf dem gestern verstorbenen
trefflichen Abgeordneten Förster von Weinheim. — In die
Commission für den Gesetzentwurf, betr. die geschlossenen
Hofgüter, werden gewählt die Abgeordneten Klein, Joos,
Geldreich, Osiander, Schmitt von Kaltbrunn, Frech und
Lauck. — Bei der allgemeinen Verhandlung über das
Budget des Wasser- und Straßenbaues wurde der treff-
lichen technischen Leitung dieses Arbeitsgebietes allseitig
und insbesondere von dem Budgetvorstand Abgeordneten
Fridrich wärmste Anerkennung entgegengebracht. Baden ist
hier für die Nachbarstaaten zum Vorbild geworden. Auch
gegenüber und mit dem Reichslande hat der eine Zeit lang
andauernde gegenseitige Kriegszustand hinsichtlich des
Wasserschutzes aufgehört, um einer gemeinsamen segen-
bringenden Arbeit Platz zu machen. Abg. Strübe hebt
hervor, daß bis zum Jahr 1921 zwischen 10- und 11000
Hcctare dem Rheinstrom abgewonnen sein werden, was
eine Wertherhöhung der anliegenden Gelände um 40 Mill,
bedeutet, ganz abgesehen von den sonstigen unberechenbaren
wirthschaftlichen und gesundheitlichen Vortheilen. Abg.
Grether legt den Behörden das jüngste Kind des Fluß-
bauverbandes, „die Wiese", warm ans Herz; Abg. Gesell
(Pforzheim) wünscht gleiche Berücksichtigung auch für Enz,
Würm und Nagold. Baudirector Honsell muß aber diese
Flußläufe so lange ausscheiden, bis sie dem Flußbauverein
angehören, was in erster Reihe ein Erbieten der Gemein-
den zur Leistung der Flußbaubeiträge voraussetzt.
Karlsruhe, 23. Jan. Mit gerechter Spannung sieht
man im Lande dem neuen Staatsdienergesetz ent-
gegen, dessen Entwurf hoffentlich baldigst dem gegenwärtig
versammelten Landtage vorgelegt werden wird. Mit dem
Gedanken an die hiermit zu schaffende Neuordnung der
Beamtenverhältnisse verknüpft sich naturgemäß der Wunsch
nach Neuordnung auch auf einem anderen verwandten Ge-
biete, auf dem Gebiete der Wittwen- und Waisenversorgung
der Beamten nämlich. Die Macht der Thatsachen lenkt
den Blick naturgemäß hierauf. Für die Beamten des
deutschen Reiches besteht ja keine Verpflichtung mehr, aus
ihrer Besoldung einen Theil abzugeben für eine Wittwen-
und Waisenkasse.
Berlin, 22. Jan. Der Kaiser hat sich jetzt voll-
ständig von dem letzten Unwohlsein erhöhst und unterzieht
sich wieder allen den großen und verschiedenen Ansprüchen
und Anstrengungen seiner hohen Stellung.
Berlin, 22. Jan. Es scheint sich zu bestätigen, daß
im Reichstage das Soeialistengesetz erst nach der
zweiten Lesung des Etats auf die Tagesordnung kommen
wird; man wird gut thun, die Aussichten des Gesetzes
nicht nach dem gegenwärtigen Stande der Stimmung in
den einzelnen Fractioncn zu beurtheilen. Es ist richtig,
daß das Centrum bisher gewillt war, gegen eine zu weit
gegriffene Verlängerung und jedenfalls gegen die Ver-
schärfung des Gesetzes zu stimmen; ob aber nicht von
außen her Einwirkungen erfolgen, welche für die Mehrzahl
der Fractioncn eine Aenderung dieser Bestrebungen Hervor-
rufen und die übrigen veranlassen, der Berathung und
Abstimmung fern zu bleiben, ist eine Frage, welche nach
heute im Reichstage verbreiteten Andeutungen als eine
offene zu betrachten ist; wie sich die übrigen Fractioncn,
abgesehen von der Linken, zu dem Gesetze stellen, ist auch
noch durchaus unentschieden. — lieber den Antrag bezüglich
Aufhebung des Identitätsnachweises fand gestern
Nachmittag im Reichstage zwischen Mitgliedern der con-
servativen, der Reichs- und der nationalliberalen Partei
eine Besprechung statt; von conservativer Seite soll ein
Antrag auf Einführung von Exportscheinen eingebracht
werden, die Nationalliberalcn behielten sich ihre Entschlie-
ßung darüber vor, ob und in welcher Weise sie sich bei
Einbringung und Unterstützung des Antrages betheiligen
wollen. — Wie die „Elb-Ztg." hört, hat ein Oanä. nasä.
Entdeckte Herzen.
Roman von Hugo v. Rittberg.
8) (Fortsetzung.)
„Mit ungestillter Sehnsucht und leerem Herzen kehrte
ich", erzählte der Baron weiter, „erst vor kurzer Zeit in
mein Haus zurück. Nach den mancherlei Erlebnissen und
bunten Abwechslungen, welche ich viele Jahre täglich hatte,
fühlte ich hier im Schlosse Langeweile, Ermüdung. Da
kamen Sie, und mit Ihnen begann für mich die Lust zu
wirken, zu schaffen, ich wurde zu neuer Thätigkeit an-
gespornt.
Können Sie sich wundern, daß ich Sie lieb gewonnen
habe und mit Betrübniß daran denke, daß die Scheide-
stunde bald naht? Doch wir sehen uns hoffentlich bald
wieder. Wie sich auch Ihr Geschick gestaltet, ich rechne
bestimmt im nächsten Sommer auf Ihren Besuch.
Und nun, nach der ernst verflossenen Stunde soll
uns Meister Haydn durch seine heitere, liebliche Musik
fröhlich stimmen."
Während er die Notenhefte herbeiholte, äußerte er noch:
„Es steht fest: Wäre Haydn Violinist gewesen, er
hätte das Vollendetste für dieses Instrument geschaffen."
„Eben so sehr bin ich überrascht worden", meinte der
Architect, „durch die reizenden, wunderbar lieblichen Me-
lodien in der Violinparthie Bcethoven'schcr Duette. Ich
habe fleißig seine Klavier-Sonaten gespielt, dach wie war
ich erstaunt, als ich in Ihrem vortrefflichen Spiel die
herrlichen Melodien seiner Duette hörte. In den Sonaten
ist er weniger verschwenderisch damit."
„Der große Meister wußte sehr wohl", warf der
Baron ein, „daß das Gesangvolle, die getragene Melodie,
nur der Bogen oder der Hauch des Bläsers zur wahren
Geltung bringen können, niemals der starre, kalte Ton
des Klaviers."
Beim Scheiden sagte der Baron:
„Wir haben noch einige Duette von Beethoven nicht
gespielt. Für morgen heißt die Parole „Beethoven!"
Ein Beethovensch es Andante.
Mit großem Fleiße hatte der Architect Beethovens
große sogenannte Kreutzer-Sonate studirt, heute sollte sie
von beiden gespielt werden.
Ganz besonders schön wurde das herrliche Andante
von dem Baron ausgeführt. Da dasselbe gleich nach dem
letzten Satze hinüberleitet, war der junge Mann ver-
wundert, als der Baron aufhörte und die Violine vor sich
hinlegte. Er wandte sich um und sah fragend nach dem
Baron, welcher ihn mit hochgeröthetem Gesicht und glühen-
dem Auge anblickte.
„Sie sind unwohl, Herr Baron?" versetzte er theil-
nehmend.
„Nein!" entgegnete dieser, sich wieder sammelnd.
„Verzeihen Sie die Unterbrechung. Man ist nicht immer
Herr seiner Gefühle."
„Das Andante ist wundervoll!" äußerte der Architect.
„Durch Ihr vortreffliches Spiel glaubt man Sphären-
musik zu hören. Sie selbst sind davon ergriffen."
„Es ist ein Stück, welches mich ganz besonders fesselt,
und jedesmal kehrt beim Spiel desselben eine Erinnerung
zurück, welche traumartig durch die Seele zieht, mich me-
lancholisch stimmt und meiner Violine vielleicht dadurch
einen eigenen Reiz verleiht. Sie sehen mich fragend an!
Sie sollen auch meine letzte Thorheit erfahren."
Er läutete. Die ältliche Dame trat ein, zu welcher
der Baron sagte:
„Bitte, liebe Cousine! Zwei Flaschen von dem alten
Burgunder."
„Sogleich!" versetzte diese und verließ das Zimmer.
Als der Wein gebracht war, öffnete der Baron eine
Flasche, füllte die Gläser, reichte eins dem jungen Manne
und sagte:
„Der feurige Wein wird die Phantasie erhitzen und
Sie werden mein thörichtes Handeln mit weniger kaltem
Blute beurtheilen."
Der Baron erzählte:
„Meine Irrfahrten waren beendet, nüchtern, mit
leerem Herzen kehrte ich in mein stilles Haus zurück. Du
hast mit deinem stolzen Namen, deinem Reichthum das
liebende Herz, welches du suchtest, nicht gefunden, sagte
ich mir. Versuche einmal dein Glück in der Verkleidung
eines schlichten Mannes. Möglich doch, ein weibliches
Herz neigt sich dir mit ganzer Seele zu, dann ist dein
Weib gefunden. Lächeln Sie nur, mein lieber Freund!
Die tolle Idee hatte mich mit ganzer Macht erfaßt, und
ich führte sie aus. Eine einfache Garderobe mußte mein
Schneider anfertigen und mit dem Passe meines Gärtners,
der leidlich auf mich paßte, machte ich mich auf die Reise,
um als Rechnungsführer oder Verwalter eine Stellung zu
finden, in welcher ich Gelegenheit hätte, durch meine Per-
sönlichkeit ein liebendes Herz zu erringen."
„Sie nennen diese Idee eine tolle, Herr Baron!"
warf der Architect ein. „Ich finde sie originell, romantisch."
„Sie werden bald erfahren, lieber Steffens, wie
wenig romantisch unsere Zeit ist und wie traurig der-
gleichen Extravaganzen enden. Es war Anfangs mein Wille,
ohne Geld diese Reise anzutreten und aus eigener Kraft
mir mein Brot zu schaffen, doch wie froh war ich, eine
volle Börse zu haben; jede verflossene Stunde verlangte
Geld und immer wieder Geld. Ohne dieses hätte der Hunger
mich bald wieder nach Hause getrieben. Mein erstes Ziel war
eine Fabrikstadt, wo ich in einem bescheidenen Gasthofe
Quartier nahm, um von hier aus durch die Zeitungen eine
Stellung zu erlangen. Bis dahin habe ich nie geglaubt,
wieviel selbst der gewöhnlichste Mann zum Leben braucht.
Kaum war eine Woche vergangen, und schon war durch
Annoncen, kleine Zerstreuungen und meine Zeche im
Gasthofe eine bedeutende Summe ausgegeben. Noch hatte
sich Niemand gemeldet. Im Begriff, weiter zu reisen