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Heidelberger Tageblatt: unabhängige Zeitung für Nordbaden — 1888

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Nr. 127-151 (2. - 30. Juni)
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Erscheint täglich außer Montag. Monnementst>reiS mit
^em wöchentl. UnterhaltungSblatt „Alt Heidelberg", für Heidel-
berg: monatlich 50 Pfg. mit Trägerlohn, durch die Post be-
zogen viertelt. Mk. 1.25 ohne Zustcllungsgebühr.

Verkündigungs-Blatt für die Ktjirke Heidelberg, Weinheim, Schwetzingen, Wiesloch, Sinsheim, Eppingrn,
-Buchdruckern und Expeditton- Brunnengaffe 24.Walldürn, Adelsheim, Norberg, Taubrrblschofsheim und Wrritzei«.

Anzeigen: die'l-spalkge Petttzeik «der »n«l Aamn sür «US-

Mosbach, Neckarbischofsheim, Sberbach, Kachel


Buchdruckern und Lxpedittvn: Brunncngaffe 04-

M 133.

Verantwortl. Redacteur PH. Klausner
in Heidelberg.

Samstag, 9. Juni

Druck und Verlag von Carl Pfeffer
vorm. Wurm L Pfeffer in Heidelberg.

1888.

Deutsches Reich.
Karlsruhe, 6. Juni. Nach der „Bad. Landpost"
Ard unser Großherzog l. Paar am 17. d. M. der
Einweihung der neuen protestantischen Kirche in Teutsch-
Aurcuth beiwohnen. — Der Schluß des Landtags
Angt in erster Reihe von der Beendigung der Berichter-
Attung über das Beamtengesetz in beiden Häusern des
Landtags, sodann aber von dem Umstand ab, ob es ge-
"W, schon auf den ersten Anlauf in den so wichtigen
Ad umfassenden Fragen eine vollständige Einigung zwischen
Aden Häusern zu erzielen. Dies ist zwar möglich, aber
Ach nicht gerade wahrscheinlich; jedes Hin-und Herschieben
ss Gesetzes zwischen den beiden Häusern aber verlängert
.sk Tagung und macht eine Berechnung des Landtags-
Wusses vorläufig unmöglich. Die Hochsommertemperatur
" dabei auch nicht entscheidend, denn die in Frage stehen-
W Interessen sind zu wichtig, als daß das Thermometer
Aei in Frage kommen könnte. Bekanntlich ist die Com-
Wsivn der 1. Kammer mit der Vorbereitung ihres Be-
W>ts an der Hand der von der Commission der 2. Kammer
Aden Beschlüsse schon seit voriger Woche beschäftigt.
w Berichte von Winterer, Friderich und Fieser werden
A Laufe der nächsten Woche in der Commission der 2.
Auiwer entgegengenommen. — Nach der neuesten Rech-
UNgsdarstellung der Civildienerwittwenkasse be-
Aßl das vorhandene Grundstocksvermögen 8284097 Mk.,
°vvn auf den Reservefonds 1696555 Mk. entfallen.
Ad kommen noch einzelne weitere Beträge, so daß sich
„A Reinvermögen, abgesehen vom Reservefonds, auf
- 03602 Mk. beläuft. Die Zunahme gegen das Vor-
wird auf 111853 Mk. berechnet. Der Stand der
Aechtigten Mitglieder betrug auf 1. November 1887 im
»AUzen 2430, davon 347 im alten und 2083 im neuen
«Aband, djx hx,, bezugsberechtigten Wittwen und
"^wsen 9Zg mit einem Gesammtbetrag von 620653 Mk.
Baden-Baden, 7. Juni. Die Großherzogliche
5.Auili e wird heute Abend hierher übersiedeln. In den
Ochsten Tagen steht der Besuch der hohen Schwestern des
Aoßherzogs bevor, der Großfürstin Olga von Rußland,
.^Herzogin von Sachscn-Coburg-Gotha und der Fürstin
Leitungen. Der Großherzog wird regelmäßig zur Ent-
° Annahme von Vorträgen nach Karlsruhe reisen.
j, Berlin, 6. Juni. Die Frage, ob das Grundleiden
Kaisers Knorpelhautentzündung oder Krebs ist, bleibt
wie vor unentschieden, wenigstens haben die den Mo-
lchen behandelnden Aerzte es vermieden, in der Weise,
tz? in einigen Blättern geschehen, das Vorhandensein
2, " Krebs zu leugnen. Das wilde Fleisch, welches mehrere
^ie, u. A. Prof. v. Bergmann, für Krebswucherung

hielt, zeigte sich nicht schon in San Remo, sondern erst in
Charlottenburg Mitte April und trat ziemlich stark auf.
Es lagerte besonders in der Nähe des Mundkanals, da,
wo die Haut der Luftröhre mit demselben zusammenhängt.
Zur Zeit geht diese Erscheinung wieder zurück und dürfte
in wenigen Tagen verschwunden sein. Das Allgemeinbe-
finden des hohen Patienten läßt nichts zu wünschen übrig.
Der Appetit ist recht rege, so daß sich das Aussehen des
Kaisers täglich bessert. Von diesem gebesserten Aussehen
schließen auch die Aerzte auf die Wahrscheinlichkeit der
Gewichtzunahme. In Folge dessen wird der Kaiser von
morgen ab gewogen. Hoffen wir, daß die Zunahme des
Gewichts eine stetige ist.
Berlin, 6. Juni. Boulanger'sAuftreten in
der Pariser Kammer wird nach näherer Ueberlegung von
der hiesigen Presse nun doch als ein gewichtigerer
Vorgang angesehen, als dies unter dem Eindrücke der
ersten Pariser officiösen Meldung der Fall war. Die
„Nordd. Allg. Ztg." meint, Boulanger habe sowohl dem
Parlamentarismus, als auch den Parlamentariern ein
Sündenregister vorgehalten. Der Redner sei anscheinend
seiner Wirkung auf weitere Kreise voll bewußt gewesen
und die temporären Sieger hätten alle Ursache zur Vor-
sicht und Wachsamkeit. Die „National-Zeitung" gewinnt
den Eindruck, als ob der Vorgang gezeigt hätte, daß nur
die dritte Republik in der Minderheit geblieben und daß
praktisch nur noch die Frage zu erledigen sei, wann und
von wem sie bestattet werden soll.
Berlin, 7. Juni. Der „Reichsanzeiger" bringt das
Gesetz betr. die Abänderung des Artikels 73 der
Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850, vom
27. Mai 1888: „Wir Friedrich von Gottes Gnaden
König von Preußen u. s. w. verordnen, unter Zustimmung
beider Häuser des Landtages, für den Umfang der Mo-
narchie, was folgt: Z 1. An Stelle des Artikels 73 der
Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850 tritt folgende
Bestimmung: Artikel 73. Die Legislaturperiode des Hauses
der Abgeordneten dauert fünf Jahre. Artikel 2. Dieses
Gesetz tritt mit Ablauf der gegenwärtigen Legislaturperiode
des Hauses der Abgeordneten in Kraft. Urkundlich unter
Unserer höchsteigenhändigen Unterschrift und beigcdruckten
königlichen Jnsiegel. Gegeben Charlottenburg, 27. Mai 1888.
(I..8.) Friedrich, v. Bismarck, v. Puttkamer. v. May-
bach. Frhr. v. Lucius, v. Friedberg, v. Bötticher, v. Goßler.
v. Scholz. Graf v. Bismarck."
Berlin, 7. Juni. Den „Berl. Polit. Nachr." zu-
folge verordnet eine kaiserliche Cabinetsordre, daß
die Jnfanterieofficiere künftighin anstatt des Degens einen
leichten Säbel in Stahlscheide tragen, ähnlich dem badischen
und hessischen Säbel, und daß ferner die berittenen Jn-

santerieofsiciere hohe Stiefel wie die Cavallerie tragen.—
Gestern Abend fand im Victoriatheater die erste Aufführung
des Luther-Festspiels von Trümpelmann statt. Die Auf-
nahme war eine sehr begeisterte.
Potsdam, 7. Juni. Der Kaiser hatte heute keine
besonders gute Nacht, da der Schlaf öfter durch Husten
unterbrochen war; er blieb in Folge dessen auf Anrathen
der Aerzte bis gegen 11 Uhr Vormittags im Bett. Gegen
12 Uhr sollen der Kriegsminister, der General v. Albedyll,
der Oserstallmeister v. Rauch und Fürst Radolin zum
Vortrag empfangen werden.
Kiel, 5. Juni. Auf S. M. Panzerschiff Olden-
burg sind in See Schießversuche abgehalten worden,
wobei festgcstellt wurde, wie groß die Einwirkung der Er-
schütterung beim Abfeuern eines der großen Geschütze auf
lebende Wesen sei, welche in unmittelbarer Nähe des Ge-
schützes sich befänden. Zu diesem Zwecke hatte man vier
lebende Kaninchen und zwei lebende Schafe mitgenommen
und auf dem Vorderdeck in der Nähe des Geschützes an-
gebunden. Die Kaninchen verloren beim ersten Schuß,
die Schafe beim zweiten Schuß das Leben.
GesterretH-MRMrK.
Wien, 7. Juni. Das Gesetz wegen Beiziehung von
Reservisten zur activen Dienstleistung im Frieden tritt
heute in Wirksamkeit. — JnRaudnitz explodirten wieder-
holt Petarden vor Wohnungen von Juden. Das alt-
czechische Blatt beschuldigt die dortige Jungczechenpartei
dieser Petardenwürfe, um die Israeliten, welche mit den
Altczechen gehen, von der Theilnahme an den Bezirksver-
tretungswahlen abzuschrecken.
Wien, 7. Juni. Die Prager Blätter Riegerscher
Richtung fordern heute am dritten Tage der Reichsraths-
ferien auf, daß Graf Taaffe seine Versprechungen erfülle
und den Czechen jene Zugeständnisse mache, die sie nach
den großen Opfern für das Staatswohl beanspruchen können.
Die Czechen hätten mit der Regierung nur einen Waffen-
stillstand geschlossen, nun müsse die Regierung die Be-
dingungen desselben erfüllen, um einen ehrenvollen Frie-
densschluß herbeizuführen.— Warschauer Meldungen
zufolge werden russischen Officieren Urlaubsgesuche an-
standslos, auch auf längere Fristen, bewilligt. General
Gurko wird demnächst, der „Politischen Korrespondenz" zu-
folge, die in Sommerquartieren vertheilten Truppen, wahr-
scheinlich auch jene des Grenzgebietes, besichtigen.
IrasKrtich-
Paris, 7. Juni. Der Marschall Leboeuf ist heute
gestorben. — Der Oberkriegsrath wird dem Kriegsminister
einen Chef des General st abs Vorschlägen, und zwar,
wie es wieder heißt, den General Miribel. — Gestern
hat Goblet bei dem diplomatischen Empfange dem ita-

Die Ueilchendame.
Roman von Carl Görlitz.
(Fortsetzung.)
Und Frau ließ ihre Näharbeit in den Schooß sinken
d>in ^te zusammen. Sie hatte es nicht über sich ge-
H An können, ihrem Manne zu gestehen, auf welche
o,iA Ortmann ihr den Wechsel, dies compromittirende
Wn seiner alten Schuld geraubt hatte.
.?°rge darum nicht, lieber Mann, antwortete sie, in-
dak ganze Fassung zusammennahm, Du weißt,
^s Papier selbst aufbewahrt habe, um noch einen
IAH bei ihm zu machen.
»us r Kranke antwortete nichts; er mochte vielleicht
>»ied .Hülfe Ortmanns nicht mehr rechnen oder schon
W s" völlige Antipathie versunken sein, war 'es doch
ein Scheinleben, welches der Aermste immernoch führte,
hab Emrny war an den eisernen Ofen gegangen und
glg b Ul den dort stehenden kleinen Milchtopf geblickt;
denselben leer fand, kehrte sie still nach ihrem Bett
setzte sich auf dasselbe und lies ihr Köpfchen hängen.
Mutter war keine Bewegung ihres Kindes ent-
»bxx süe hätte in ihrer Verzweiflung aufschreicn mögen,
^as k- ^zwang sich fast mit übermenschlicher Kraft.
Sie Aalte ein solcher Schmerzensausbruch auch geholfen?
ihre "dl klagen, Sie mußte handeln. Sie legte
Näharbeit zusammen und stand entschlossen auf.
Hast, mit welcher dies geschah, lenkte die Auf-
fr^Adeit Pauls auf seine Frau. Willst Du fortgehen?
dn will einige Einkäufe machen, erwiderte Therese,
lch muß an die Bereitung des Mittagessens denken.
djes„?!"uch's feines Gesichtchen verklärte sich förmlich bei
Geld ^°"cn ihrer Mutter. Hast Du denn auch noch
' Mama? Ich denke, Du hast die letzte Mark von

dem Gelde, welches Du für die genähten Bettzüge er-
halten, gestern ausgegeben?
Therese schüttelte den Kopf. Ich habe noch einen
Spargroschen, mein kleiner Liebling, sagte sie mit unsäg-
licher Anstrengung, denn sie besaß in Wirklichkeit keinen
Pfennig mehr, und da sie bei deni Laden-Inhaber, für
welchen sie nähte, schon im Vorschuß war, durfte sie auch
dort keine Hülfe erwarten; doch hatte sie Kraft genug,
Emma's Köpfchen zu streicheln, indem sie hinzusctzte: Ich
hoffe, euch eine recht kräftige Suppe zu kochen.
Das Kind wurde bei diesem Versprechen ganz ver-
gnügt, stand auf und reichte der Mutter ihr Umschlagetuch.
Therese küßte Mann und Tochter und zeigte Beiden ein
lächelndes Gesicht, während in ihrem Herzen die Ver-
zweiflung tobte.
Rasch verließ sie die Dachstube, denn ihre Selbstbe-
herrschung war dahin. Während sie die drei Treppen
hinabsticg, stürzten die Thränen aus ihren Augen. Sie
wußte nicht, woher sie die Mittel zu einem, wenn auch
noch so einfachen Mittagessen hernehmen sollte, und doch
war sie fest entschlossen, nicht ohne irgend eine Eßwaar
zu Mann und Kind zurückzukehren.
Oft hatte sie sich der menschenfreundlichen Leute er-
innert, welche ihr vor einigen Wochen nach jenem schweren
und doch nutzlosen Gange zu Ortmann so liebreich ge-
holfen hatten. Der Gedanke daran richtete sie auch heute
wieder auf. Jene Hülfe war zwar nur eine Vorüber-
gehende gewesen, aber Gott konnte doch ihr und der Ihrigen
Schicksal auch dauernd zum Bessern wenden; freilich
mußte sie das Ihrige dazu thun, und das war in diesem
Falle wieder sehr schwer. Da sie aber nicht mit leeren
Händen nach Hause kommen wollte, war sie zu Allem
entschlossen.
Ja, sprach sie zu sich selbst, als sie auf der Straße
vorwärts schritt, es gibt noch heute gute Menschen, das
habe ich ja damals an mir selbst erfahren, ich will also
nicht verzweifeln. Zu dem Bezirksvorstcher wage ich

allerdings nicht hinzugehen, denn Vormittags hat er ja
keine Sprechstunde, ich werde vertrauensvoll dem Prediger
unseres Kirchspiels meine Noth klagen und ihn um Hülfe
bitten; ich habe mich ja schon wiederholentlich an seinen
Predigten erbaut und seine Worte auf der Kanzel haben
mich stets getröstet. Das ist der rechte Mann, der hat
Herz und Verständniß für das Unglück. Er wird unserem
Untergange sicher vorbeugen, um so mehr ich nicht von
ihm selbst Unterstützung verlange; er steht an der Spitze
des Samaritervereins zum guten Hirten, welcher für ver-
schämte Arme sorgt. Aus der Kasse seines Vereins wird
er mir gewiß einige Thaler geben, wenn ich ihm unser
Elend schildere und erzähle, auf welche Weise wir aus
unseren früheren glücklichen Verhältnissen in solche Noth-
lage gekommen sind. Ach, hätte ich es doch schon längst
gethan; aber es wird mir noch immer schwer, zu klagen
und zu bitten, ich war es früher nicht gewohnt.
Während dieses Selbstgesprächs hatte Frau Therese
Lamprecht das aus gelben Backsteinen erbaute palastähn-
liche Haus erreicht, welches der Herr Prediger Libau als
Amtswohnung inne hatte. Man mußte erst einen reizen-
den Vorgarten, in welchem die prächtigsten Frühlings-
blumen blühten, durchschreiten und kam dann an die mit
kostbarer Schnitzarbeit verzierte Hausthür von Eichenholz.
Nachdem Therese mit klopfendem Herzen die Hausglocke
gezogen, wurde die Thüre geöffnet.
Der Küster, ein wohlgenährter blonder Mann mit
glattrasirtem, feisten Gesicht, das in der Röthe der Ge-
sundheit strahlte, empfing Therese auf dem Flur und fragte,
was sie wünsche.
Ich möchte den Herrn Prediger Libau sprechen,
lautete die bescheidene Antwort.
Der Herr Prediger ist heute sehr beschäftigt, sagte
der Küster, darum bin ich hier; haben Sie irgend eine
kirchliche Amtshandlung anzumelden, so kann ich dieselbe
notiren.
Ich kann mein Anliegen nur dem Herrn Prediger
 
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