Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Tageblatt: unabhängige Zeitung für Nordbaden — 1888

DOI Kapitel:
Nr. 257-282 (1. - 30. November)
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.70375#1371
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
1888.

MM.

Donnerstag, 22. November

Druck und Perlag von Earl Pfeffer
vorm. Wurm L Pfeffer in Heidelberg.

Erscheint täglich außer Montag. Abennementspreis mit
dem wöchmtl. Unterhaltungsblatt „Alt Heidelberg", für Heidel-
berg: monatlich 50 Pfg. mit Trägerlohn, durch die Post be-
zogen viertelt. Mk. 1.25 ohne ZustcllungSgebühr.

Anzeigen: die'1-spaltige Petitzrtte »»« deren «asm für aus-
wärts 10 Pfg., Lokalanzeigen S Pf>„ Etellengefuche und
WohnimgS-Anz. s Pfg. Reclame 20 Pfg. Bei mehrm. Erschein,
bedeutende» Rabatt. GratiS-Verbreitnng durch Mauer-Vsschlag.

Verkündigungs-Blatt für die Kejirkr Heidelberg, Meinheim, Schwetzingen, Mieslich, Sinsheim, Eppivge», Mosbach, Neckarbischofsheim, Sberbach, AschtH
Buchdruckerei und Expedition: Brunnengaffe 24. Mstlldnrn, Adelsheim, §0lberg, 8anberbischofsheim nnd Merlheim« Buchdruckern und Expedition: Brunn eng affe 14-
BerantwoNl. Rcdacteur Friedrich tiley
in Heidelberg.

Bestellungen für den Monat
Deeember
auf das Heidelberger Tageblatt (General-Anzeiger)
(billigste Zeitung in ganz Baden), werden fortwährend von
sämmtlichen Postanstalten, Briefträgem und unseren bekannten
Agenturen zum Preise von Mk. —.55 frei in'S Haus,
sowie von unseren hiesigen und den Trägern und Träge-
rinnen der nächsten Umgebung zum Preise von 50 Pfg.
monatlich entgegengenommen. Die Expedition.

Mn gewichtiges Wort über Ostafrika.
Einer der gründlichsten Kenner Ostafrikas, der be-
berühmte Afrikareisende Paul Reichard, bespricht in einem
bemerkenSwerthen Aufsatze die Fehler der deutschen Co-
lonialpolitik in Ostafrika. Reichard unterzieht die Maß-
nahmen der Reichsregierung der Reihe nach einer scharfen
Kritik, die um so bemerkenswerther ist, als sie nicht von
einem Gegner, sondern von einem warmen Anhänger der
Colonialpolitik des Fürsten Bismarck ausgeht. Ueber den
jetzigen Auf st and in Deutsch-Ostafrika schreibt
Reichard: „Was seit dem Ausbrechen des Aufstandes ge-
schehen oder vielmehr nicht geschehen ist, ist geradezu un-
erhört. Eine Nation, welche einen Krieg wie 1870/71
ausgefochten hat, konnte unter allen Umständen mit
Leichtigkeit den Aufstand einer Hand voll jämmerlicher
arabischer Schacherer und Bauern, denn etwas anderes
hat man nicht vor sich, im Handumdrehen niederschlagen,
zumal deren Niederlassungen fast sämmtlich geradezu auf
dem Präsentirteller offen an der See liegen, trotzdem
vielleicht auch die Mündung des Pangani derart von den
Aufständigen befestigt ist, daß sie von 3 Seiten vollkom-
men mit Gewehrfeuer bestrichen wird. Aber bis heute noch
ist nicht das Geringste geschehen, wo ein einziges Kanonen-
boot die ganze Erhebung bewältigen könnte, ohne selbst
Truppen zu landen. Bis heute bleibt man bei einem
unverantwortlichen schlaffen Vorgehen. Bei dem ersten
Schuß, den einer der arabischen Händler und Krämer
auf einen unserer Landsleute abgegeben hat, hätte man
das ganze Nest in Grund und Boden schießen müssen,
hätte man den Sultan dafür verantwortlich machen
und die ausgiebigste Genugthuung verlangen müssen
unter der Drohung, den deutschen Vertreter an Bord
zu holen und Sansibar zu beschießen, natürlich unter
Berücksichtigung fremder Interessen. Der ganze Aufstand
wäre innerhalb 24 Stunden niedergeschlagen gewesen
und Niemand, weder Araber noch Eingeborene, würden es
gewagt haben auch nur die Stirne zu runzeln. Der
Schrecken wäre ein so heilsamer gewesen, daß er auch seine
Wirkung bis weit in's Innere hinein nicht verfehlt hätte.

Statt dessen wurde von einem Tage zum andern gezögert,
Deutsche ermordet, selbst im Angesichte unserer Kriegs-
schiffe. Die Engländer, deren Schwäche wir so verlacht
haben, würden den Aufstand innerhalb 24 Stunden nieder-
geschlagen haben." Ein anderer Artikel des „Deutschen
Wochenbl." bemerkt zu der vom „Reichsanzeiger" bestätigten
Thatsache, daß in Kiloa die deutschen Beamten Angesichts
des aus der Rhede liegenden deutschen Kriegsschiffes
„Möve" ermordet wurden, folgendes: „Ob den Comman-
danten der „Möve" die Schuld trifft, daß eine Landung
unterblieb, oder ob die im Berichte des deutschen General-
konsuls Michahelles erwähnten Weisungen die Schuld
tragen, darüber müssen wir Aufklärung fordern. Unsere
Flotte hat den Beruf, die Deutschen in der Fremde zu
schützen, wer hat ein Recht, sie hieran zu hindern? Welchen
Eindruck muß es auf die Araber und auf die Einge-
borenen machen, wenn ein deutsches Kriegsschiff, ohne einen
Schuß zu thun, im Hafen liegt, während in der Stadt
Deutsche tagelang um ihr Leben kämpfen und endlich der
Uebermacht unterliegen? Mit welchen Empfindungen werden
die Deutschen Angesichts des Todes auf das Kriegsschiff
geblickt haben, das mit einem Schuß sie wahrscheinlich ge-
rettet hätte? Und als der Mord geschehen war, warum
hat die „Möve" nicht wenigstens die Mörder gezüchtigt?
Daß bei solchen Vorkommnissen die Achtung vor den
Deutschen schwinden muß, ist selbstverständlich, ein schweres
Unrecht aber ist es, wenn hierfür die Beamten der deutsch-
ostafrikanischen Gesellschaft verantwortlich gemacht werden,
die, wie der amtliche Bericht ausweist, sich heldenhaft be-
nommen haben. Das Verhalten der „Möve" vor Kiloa
erfordert eine strenge Untersuchung."
Deutsches Weich.
Berlin, 19. Nov. Durch die jüngst erfolgten Be-
förderungen zum Generalmajor sind sämmtliche Obersten
mit Patent vom 14. Juli 1885 zur Beförderung gelangt;
es kommen nunmehr die Obersten mit Patent vom 3. De-
cember 1885 an die Reihe, da der einzige Oberst mit
dem dazwischen liegenden Patent vom 16. Sept. 1885,
als welcher in der Rangliste Prinz Wilhelm von Preußen,
des jetzigen Kaisers Majestät aufgeführt ist, bereits am 27.
Januar d. I., als an seinem Geburtstage, unter gleich-
zeitiger Ernennung zum Commandeur der 2. Garde-Jn-
fanteriebrigade, zum Generalmajor befördert worden war.
Berlin, 20. Nov. Heute Vormittag fand im Exer-
cierhause Nr. 2 des Garderegiments die Vereidigung der
Recruten der in Berlin, Spandau und Lichterfelde stehen-
den Garde - Jnfanterietruppen divisionsweise statt. Der
Kaiser traf um 10 Uhr im offenen Zweispänner in
großer Generalsuniform ein, vom Prinzen Heinrich be-

gleitet. Er wurde von Generaloberst v. Pape, dem General^
feldmarschall Graf v. Blumenthal und den fremdländischen
Militärbevollmächtigten empfangen. Der Kaiser begab
sich später, einer Einladung des 2. Garderegiments fol-
gend, zu Fuß durch die Karlsstraße nach dem Casino in
der Caserne.
Berlin, 20. Nov. Der Kaiser und die Kaiserin
mit den kaiserlichen Prinzen sind heute für die Winter-
monate in das Schloß übergefiedelt. Der Kaiser begibt
sich am 22. November mit mehreren Fürstlichkeiten zu den
Hofjagden nach Betzlingen. — Der Herzog und die
Herzogin von Aosta treffen morgen zum Besuch des
hiesigen Hofes ein.
Berlin, 20. Nov. Der russische Thronfolger
wird zum Besuche des Kaisers morgen Abend aus Kopen-
hagen hier eintreffen und voraussichtlich bis Donnerstag
Abend hier verweilen. Zum Ehrendienst sind bestimmt
der Chef des Generalstabs der Armee, General-Adjutant
Graf v. Waldersee, sowie Oberst v. Szczytnicki
aus Paderborn, Commandeur des 1. Westphälischcn Hu-
saren-Regiments Nr. 8, zu dessen Chef der Großfürst-Thron-
folger bei der Anwesenheit unseres Kaisers in Peterhof
ernannt worden ist. General der Cavallerie Graf Wal-
dersee war, wie man sich erinnern wird, bereits zum
Ehrendienst bei dem Thronfolger befohlen worden, als
derselbe im November v. I. mit seinem Vater, dem rus-
sischen Kaiser, zum Besuche hier war.
Berlin, 20. Nov. Der Bundesrath ertheilte
gestern in einer unter dem Vorsitze des Staatssecretärs
v. Bötticher abgehaltenen Plenarsitzung den Entwürfen
eines Gesetzes über Feststellung des Reichshaushaltsetats
für 1889/90 und des Gesetzes wegen Aufnahme einer An-
leihe für Zwecke der Verwaltungen des Reichsheeres, der
Marine und der Reichseisenbahnen die Zustimmung, ge-
nehmigte die Entwürfe der Marineverwaltung, des Aus-
wärtigen Amtes, des Reichsamtes des Innern und über
die Reichsschuld, zum Reichshaushaltsetat für 1889/90
und den Entwurf zum Besoldungs- und Pensionsetat der
Reichsbankbeamten mit Ausnahme der Mitglieder des
Reichsbankdirectoriums für 1889.
Berlin, 20. Nov. Mit besonderer Spannung wird
man diesmal der Thronrede entgegensetzen dürfen, mit
welcher der Kaiser in Person den Reichstag zu er-
öffnen gedenkt. Es ist anzunehmen, daß die Rede auch
die europäische Weltlage und die Stellung Deutschland zu
den benachbarten Mächten berührt. Unser Verhältniß zu
Rußland wird in neuester Zeit durch die militärischen und
financiellen Maßnahmen dieser Macht denen vielfach eine
den Frieden bedrohende Bedeutung beigelegt wird, wieder
als etwas getrübt dargestellt: mit welchem Recht, ist schwer

Die Sirene.
Roman, frei nach dem Amerikanischen, von Ernst v. Treuenfels.
76) (Fortsetzung.)
Auf der Schwelle des Hotels noch erhielt Paul ein
Telegramm, das er mit nervöser Hast öffnete, sich im
Stillen wundernd, von wem es wohl sein könnte, da außer
Ralph Niemand seinen Aufenthaltsort kannte und dieser
doch unmöglich Gelegenheit haben konnte, mit ihm zu ver-
kehren.
Zu seinem größten Erstaunen las er Max Nollis,
Name als Unterschrift der Botschaft, die ihn ersuchte, sich
so schnell als möglich, im Namen der Menschlichkeit, nach
Schönburg zu begeben.
Der Inhalt des Telegramms ließ keinen Zweifel
übrig; Marianne's Gatte sandte nach ihm, damit er dieser
ein letztes Lebewohl sagen könne.
Alle Fähigkeit für menschliche Leidenschaften, Liebe,
Haß, Eifersucht oder Rache war jetzt für immer vorüber,
und der Gatte, der so grausam gekränkt worden war,
konnte nun, wo eine menschliche Seele der himmlischen
Vergebung noch mehr bedurfte als menschlicher Gnade, das
Mitleid walten lassen.
Außerdem war Max Nollis ein gerechter Mensch und
konnte nicht vergessen, daß, obgleich unschuldig und unbe-
wußt, er nichts desto weniger die Braut aus den Armen
ihres Geliebten gewonnen.
In der Tiefe seines Herzens war er nicht im Stande,
Paul Prant zu tadeln — was hatte er denn mehr gethan,
als er selbst gethan hatte? Er war von Marianne Badolf
so bezaubert worden, daß er das Andenken an seine erste
Frau darüber vergessen, und Paul würde nur seinem Bei-
spiele gefolgt sein, wenn er diese geheirathst hätte, die er
für eine Wittwe hielt.
Die verschiedenen anderen Verwicklungen kannte der
Vater nicht; Malwine hatte ihr trauriges Geheimniß tief

in ihrem Herzen verborgen, so daß Mr. Nollis, als er
das Telegramm absandte, nicht wußte, wie schmerzlich ihr
eine solche Anordnung sein müsse.
Was sollte er thun? — War es möglich, daß das
Telegramm auf Marianne's Wunsch war abgesandt worden?
— Mußte er gehen? — Konnte er dem Rufe an ein
Sterbebett ungehorsam sein?
Die ganze Verwicklung, die sein Hingehen herbei-
führen mußte, stellte sich ihm in grellem Lichte dar; er
hatte den Brief, den er geschrieben, schon abgesandt, und
seine Mutter mußte ihn erhalten, ehe er auf Schönburg ankam.
Was würde sie denken, wenn sie von seiner Anwesen-
heit daselbst erführe? — Dann — er konnte Malwine
nicht begegnen! Er glaubte zwar nicht, daß er dies zu
fürchten habe, denn er war dessen sicher, daß sie sich nicht
sehen lassen würde; ihr echt weibliches Zartgefühl würde
schon dafür sorgen, daß eine solche Verlegenheit ver-
mieden würde.
Doch — selbst, wenn er ihr von Angesicht zu Ange-
sicht gegenüber treten sollte, selbst, wenn seine Mutter seine
Anwesenheit erfahren würde, — ganz gleichgültig, welche
Unannehmlichkeiten ihm daraus erwüchsen, war es nicht
klar wie der Sonnenschein, daß es seine Pflicht wäre, zu
gehen — an das Sterbebett des Weibes, das Alles für
ihn gewagt, dessen Verbrechen im Leben wie im Sterben
ihre leidenschaftliche Liebe für ihn war?
Sein Gesicht wurde ruhiger, als es seit dem vorigen
Tage gewesen, da er sich an den Boten wandte, der auf
die schon bezahlte Rückantwort wartete. Ec sagte ihm,
außer der Adresse und Unterschrift nur die Worte „Ich
komme" und ging in sein Zimmer zurück, um dort in
rastloser Ungeduld die Stunden zu verbringen, bis der
nächste Zug abginge, der ihn an das Sterbebett der
schönen Sirene bringen sollte, die er vierundzwanzig
Stunden vorher nicht hatte erwarten können, zum Altäre
zu führen.

Alice horchte in schweigender Betäubung Ralph's ge-
brochenen, leidenschaftlichen Ausrufen mit dem Gefühle,
als ob ihre Seele in ihr schmelzen solle.
„Ralph! — O, Ralph!" war Alles, was sie sagen
konnte, in einem Tone, der kaum mehr war als ein
Flüstern.
Er ließ ihre kalten zitternden Hände los und streckte
die Arme nach ihr aus, seine Augen leuchteten entzückt
durch die Thränen, doch zurückschreckend in der Unschuld
weiblicher Würde entzog sich Alice seinem leidenschaftlichen
Drängen.
„Nein, Ralph, berührte mich nicht — so! Denke,
daß ich nicht Deine Frau bin, und nur Deine Frau
darfst Du in Deine Arme schließen."
Der entsetzliche Ausdruck in ihren Augen schmerzte ihn.
„Du bist meine Frau, Geliebte, mein süßes, theures
Herzensweibchen —"
Sie schüttelte sanft den Kopf.
„Nein, Ralph, Du schriebst mir, daß ich es nicht sei
und und — daß Du — verzichtest — und —"
Unterdrücktes Schluchzen hob ihren Busen und ihr
kindlicher Mund zuckte schmerzlich; dann jedoch gewann sie
ihre Selbstbeherrschung wieder und hörte auf das, was er
eifrig, ehrlich und in einer Weise sprach, daß man fühlte,
jedes Wort trage den Stempel der Wahrheit.
„Ich weiß es, Alice, ich weiß es; sie sagte mir das",
und er zeigte mit dem Kopfe nach dem Hause, wo Ma-
rianne auf dem Sterbebette lag. „Ich wußte nicht, daß
wir uns nicht verheirathen konnten, bis wir mündig waren;
ich hatte keine Ahnung davon, daß ich Dich in eine zwei-
deutige Stellung brachte — und — als sie es mir er-
klärte, — da — ich o, ich war ein elender Feigling,
Alice, Deiner vollkommen unwürdig, denn Du warst mir
in Allem überlegen, was gut und groß und recht war.
Du kannst mich niemals wieder achten, oder — lieben,
— aber — o, Alice, wenn Du wüßtest! — wenn Du
wüßtest, wie ich beherrscht war, — wenn Du wüßtest,
 
Annotationen