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M2S1.

Berantwortl. Redacteur Friedrich Kley
in Heidelberg.

Dienstag, 11. Deeember

»ruck und Berlag von Tarl Pfeffer
vorm. Wurm 4b Pfeffer in Heidelberg.

1888.

Die Arbeiterbewegung in Belgien
nimmt einen immer turbulenter werdenden Ausdruck an.
Wir haben vor einigen Tagen gemeldet, daß am ver-
flossenen Sonntag in Brüssel die Königin selbst von
einem johlenden und tumultuirenden Volkshaufen in gröb-
licher Weise insultirt worden sei. Heute liegen über dieses
Vorkommniß nähere Meldungen vor, denen wir folgende
Einzelheiten entnehmen: Sonntag Nachmittags wurde in
St. Josse ten Noode unter freiem Himmel eine Versamm-
lung abgehalten, wobei es überhaupt lebhaft zuging. Der
Bürger Verrycken, einer der ältesten und bekanntesten bel-
gischen Socialisten, hielt von einem Stuhle herab eine
Ansprache. Nach der Rede begab sich die aus etwa 200
Mitgliedern bestehende Versammlung unter Vorantragung
der rothen Fahne nach der Stadt und dem großen, die-
selbe rings umziehenden schönen Boulevard, auf welchem
es gerade von Spaziergängern wimmelte. Unter Abfingung
der Carmagnole und Marseillaise und Begleitung einer
schrillen Blechmusik auf kleinen, bei den belgischen Socia-
listen sehr beliebten Pistons bewegte sich der, inzwischen
auf etwa fünf- bis sechshundert Theilnehmer angewachsene
Zug auf dem Boulevard lärmend vorwärts. Es mochte
gegen vier Uhr sein, als der tobenden Menge der Wagen
der Königin entgegenkam, welche ihre tägliche Ausfahrt
machte. Kaum hatte die Bande die Königin erkannt, als
sie dieselbe auch mit Zischen, Pfeifen und Geschrei em-
pfing. Die Polizei, welche höchst spärlich vertreten war,
erwies sich machtlos. Die Königin war über den Auf-
tritt sichtlich sehr erregt, wandte ihr Pony-Gefährte, das
sie selbst lenkte, sofort um und fuhr nach dem Palaste
zurück, diesmal unter begeisterten Zurufen der Spazier-
gänger, welche ihr eine Ovation bereiteten.
Der Bürgermeister von Brüssel, Buls, hat in Folge
dieser Vorgänge an allen Straßenecken der Stadt einen
Erlaß anhcftcn lassen, welcher das strengste Verbot aller
öffentlichen, nicht genehmigten Aufzüge, sowie der Zu-
sammenrottung verkündet. In der Sitzung des Gcmeinde-
rathes, welcher den Erlaß einstimmig genehmigt hat, hatte
der Bürgermeister seinen Antrag mit den Worten be-
gründet: „Bis jetzt habe ich kein allgemeines Verbot er-
lassen; nachdem aber unsere Herrscherin gestern durch
eine Bande beschimpft worden ist, welche auch andere Per-
sonen auf dem Boulevard insultirt hat, glaube ich die
Pflicht zu haben, derartige ordnungswidrige Vorgänge unter
sagen zu müssen."
Die belgische Staatsanwaltschaft bemüht sich so ener-
gisch als möglich, gegen die intellectuellen Urheber der
tumultuarischen Vorgänge einzuschreiten. Ihre Energie
wird besonders angespornt durch den Umstand, daß fast

täglich die Kunde von neuen „Dynamitanschlägen" aus
den verschiedenen Landestheilen in Brüssel eintrifft. Zu-
nächst hat man einige Führer der social-revolutionären
Propaganda verhaft.
Die Lage der belgischen Arbeiter, besonders in den
Kohlenbezirken, von denen die Ausschreitungen meist aus-
gehen, ist freilich eine mehr als traurige. Die Verzweif-
lung ist in diesen Kreisen so groß, daß ihre Auswüchse
auf die Dauer mit Gewalt nicht niedergehalten werden
können. Bis jetzt aber hat man sich in Belgien hartnäckig
dagegen gewehrt, irgend welche durchgreifenden Maßregeln
auf dem socialpolitischen Gebiete anzubahnen. Viel-
leicht erzwingt nun die Furcht, was die vorschauende Klug-
heit längst hätte bewirken sollen.
Deutsches Reich.
Karlsruhe, 8. Dec. Nach dem Reichshaushaltsetat
für 1889-90 soll Baden 7480103 Mark an Matri-
cularbeiträgen aufbringen. — Die Commission zur Be-
gutachtung des deutschen bürgerlichen Gesetzbuches
mit Rücksicht auf dessen Einführung in Baden hält auch
jetzt nach Erstattung der Einzelberichte noch zahlreiche
Sitzungen zur Zusammenfassung der commissarischen Er-
gebnisse. Dieselben dürfen in einem umfassenden General-
berichte niedergelegt werden. — Die von der Centralstelle
des landwirthschaftlichen Vereins den Bezirksvereinen vor-
gelegten Fragen hinsichtlich des Branntweinsteuer-
gesetzes beziehen sich 1. auf die Richtigkeit des vom
Gesetz zu Grunde gelegten Ausbeuteverhältnisses; 2. auf
den nach Maßgabe der örtlichen Arbeitslöhne und Brenn-
materialpreise einschließlich der Steuer noch zu erzielenden
Gewinn; endlich 3. auf etwaige in der Ausführung des
Gesetzes vorhandene und zu beseitigende Mißstände. Man
sieht, es findet hier eine durchaus offene, das Interesse
des Kleinbrenners in das Auge fassende Erörterung statt,
deren Ergebnisse bestimmt sind, den maßgebenden Reichs-
und Landesbehörden als Grundlage für die zu beschaffende
Abhilfe zu dienen. Das ist jedenfalls vernünftiger und
ausfichtsvoller, als der unfern Bauern ertheilte kluge
Rath, Angesichts des Branntweingesetzes ihre Kirschbäume
umzuhauen, ein Rath, welcher sogar in einem oberländischen
Bezirke wirklich befolgt worden sein soll.
Karlsruhe, 8. Dec. Die Kronprinzessin von
Schweden, Tochter der Großherzoglichen Badischen
Herrschaften, sieht im Laufe der ersten Monate des nächsten
Jahres einem frohen Familienereigniß entgegen.
Berlin, 8. Dec. Der Reichstag wird bis Ende
nächster Woche Sitzungen halten und dann die Weihnachts-
serien beginnen. Außer der Fortsetzung der Specialbe-
rathung des Etats wird in dieser Zeit noch die erste

Lesung des Genossenschaftsgesetzes stattfinden und
der Zusatzvertrag zum Handelsverträge mit der
Schweiz erledigt werden, welcher dem Reichstage heute
zugegangen ist. — Ein Tag der Reichstagsverhandlungen
wird für Initiativanträge aus dem Hause sreigehalten,
und es ist sehr wahrscheinlich, daß an demselben auch der
Antrag des Centrums über die Unterdrückung der
Sclaverei zur Verhandlung kommen wird. Es besteht,
wie es heißt, auch Seitens der Regierung der Wunsch,
sich noch vor Weihnachten über die Colonialpolitik auszu-
sprechen und das wird bei dieser Gelegenheit geschehen.
Bestimmte Beschlüsse über ihre Haltung in der ost-
afrikanischen Frage hat die Regierung bis jetzt
noch nicht gefaßt.
Aus der Pfalz, 7. Dec. Gleich der Handelskammer
in Wiesbaden hat auch die pfälzische Handels- und Ge-
werbekammer zu Ludwigshafen auf Antrag des Bezirks-
gremiums Neustadt a. H. am 20. November ein Gesuch
au den Fürsten Reichskanzler gerichtet, in welchem um
Vorlage eines Gesetzentwurfes gebeten wird, welcher die
Zulassung einer rationellen Verbesserung des Weines durch
Zusatz von reinem Zucker und den Verkauf dieses Weines
ohne Angabezwang gestattet.
Leizig, 8. Dec. Der Afrikareisende Dr. Hans
Meyer ist wohlbehalten hierher zurückgekchrt.
Aus Elsaß-Lothringen, 7. Dec. Der „Pariser Figaro"
ist von heute ab der Zensur unterworfen.
IrasLrsiH.
Paris, 8. Dec. General B o u l a u g e r benachrichtigte
seine Wähler in den Departements Somme und Niedere
Charente, daß er die Wahl im Nord-Departement ange-
nommen habe. Er dankt für die Unterstützung, welche die
drei Departements der Sache der Revision hätten ange-
deihen lassen. Die Stunde der allgemeinen Berathung
nähere sich, und da die Boulangiste«'einig seien, könne das
Ergebniß nicht zweifelhaft sein. — Hauptmann Driant,
der Schwiegersohn des Generals Boulanger, ist mit
einer einmonatltchen Arreststrafe belegt worden, weil er
ohne Wissen seiner Vorgesetzten ein Buch unter der Auf-
schrift : „Der bevorstehendeKrieg" (la, Znsrrs äs äsuaain)
veröffentlicht hat.
Belgier».
Brüssel, 8. Dec. Zahlreiche Verhaftungen haben statt-
gefunden, namentlich von den Republikanern, die auf dem
Congreß in Chatelet geredet haben. Entweder werden
dieselben im Hinblick auf Dynamitanschläge, welche nach
den Reden vorgekommen find, wegen Aufreizung zu Ge-
waltthaten oder wegen Angriffs auf die Sicherheit und die
Einrichtungen des Staates verfolgt werden.

Schloß Denby.
Aus dem Englischen von A. Tebbitt.
11) (Fortsetzung.)
„Sie suchen mich und bemühen sich selbst hierher,
Sir?" fragte Wilson verdrossen. „Hat Mylady nach mir
gesandt?" Damit kam er die schmale Treppe vollends
herunter und Lister blieb keine Wahl, als vor ihm zurück-
zuweichen.
„Ich fand zufällig diese fast unsichtbare Thüre", sagte
er halb entschuldigend, „und da ich sah, daß sie eine
Treppe verschloß, so wurde ich neugierig und wollte sehen,
wohin diese führte. Ich hoffte, in eine Art Thurmzimmer,
von welchem man eine hübsche Aussicht haben könnte."
„Die Treppe führt in meine eigenen Zimmer und
wird, auf ausdrücklichen Wunsch meiner Gebieterin, nur
von meiner Frau und mir benützt, oder darf vielmehr nur
von mir benützt werden, denn unsere beiden Zimmer haben
auch einen anderen Eingang noch."
Henry wußte, daß der Mann log, daß die ihm und
seiner Frau angewiesenen Stuben im Seitenflügel bei den
andern Dienstboten lagen, und dies in einer dieser Treppe
ganz entgegengesetzten Richtung. Aber was konnte er
sagen? Darauf zu bestehen, hinaufzugehen und sich selbst
überzeugen, ging nicht an. Er hätte damit auch Wilson,
der ihm jetzt schon zu mißtrauen schien, nur noch vorsich-
tiger gemacht und ihm lag ja vieles daran, den Burschen
nicht zu erzürnen.
„Sie sind wohl schon lange im Hause", fragte er den
Diener, durch die Thüre wieder in den Gemäldesaal ein-
tretend. Seine Stimme klang so unbefangen, die Frage so
gleichgültig, daß der Andere, der ihm gefolgt und sorgsam
den Eingang wieder geschlossen hatte, ihn halb erstaunt
betrachtete.
„Ja", antwortete er, neben Henry herschreitend,
„schon lange Jahre."

„Wie wett seid ihr mit den Vorbereitungen zum morgi-
gen Feste? Noch vieles herzurichtcn zu dem Balle, nicht?"
„Noch gar manches, die Arbeiter find sehr unzu-
lässig, und wie Mylady sagt, ganz ohne allen eleganten
Geschmack. Sie und Miß Chester überwachen alle Arrange-
ments. Auch Miß Kennt hilft ihnen." Dies letztere, als
ob er nur widerwillig die Bemühungen Dolly's anerkenne.
„Ich glaube es gern", versetzte Lister. „Will sehen,
ob ich nicht auch mich nützlich machen kann. Das wäre so ge-
rade die Beschäftigung für meinen Bruder gewesen, denken
Sie nicht auch Wilson?"
Der Angeredete erblaßte sichtlich bei Erwähnung Paul's,
antwortete aber doch sofort in mürrischem Tone, daß er
die Gewohnheiten des Herrn nicht gekannt habe.
„Der Mensch weiß etwas, daS mit dem Verschwinden
meines Bruders zusammenhängt, ich habe es längst geahnt,
jetzt weiß ich es", dachte der Advocat, „und wie ärgerlich,
daß er mich gerade abfangen mußte. Doch, ich gebe es
noch nicht auf, es wird noch eine andere Gelegenheit sich
bieten." Sie bot sich auch. Am Nachmittage, als es
schon zu dunkeln begann, bemerkte er Wilson aus dem
Schloßhofe reiten, ein gesatteltes Pferd am Zügel mit sich
führend. Augenscheinlich ritt er zur Station, wo noch
ein Gast erwartet wurde, allein es war das erste Mal,
daß Henry ihn hatte die Pflicht übernehmen sehen, den
Besucher abzuholen. Es fiel dies sonst stets einem der
Reitknechte anheim, für gewöhnlich jedoch wurde ein
Wagen gesandt.
Einerlei, weßhalb er gegangen. Jetzt ist er fort und
ich will nochmals einen Versuch machen. Doch der vor-
sichtige Diener mochte dies auch gefürchtet haben, denn
trotz aller Anstrengungen, trotz alles Drehens und Rüttelns
wollte die Thüre nicht nachgeben. Eine nähere Unter-
suchung überzeugte ihn dann von dem Vorhandensein eines
ebenfalls sehr künstlich versteckten Schlosses und er wußte
nun, daß Wilson die Vorsicht gebraucht hatte, es zu ver-
schließen, um vor unliebsamer Spionage sicher zu sein.

„Ich muß warten, bis das Fest vorbei ist, man ist
nirgends ungestört." Es waren einige Herren und Damen,
welche in den Saal getreten waren und diesen ärgerlichen
Ausspruch Henry's verursacht hatten. Er mußte nun,
wohl oder übel, sich ihnen anschließen und die Portraits,
so viel ihm dies möglich, erklären. Dankbar war er, als er
der Gesellschaft entschlüpfen und Dolly aufsuchen konnte.
„Wenn wir wieder allein sind und ich mit ihr geredet
habe, werde ich sie auch um ihre Hilfe bitten", so nahm
er sich vor, „und es müßte doch sonderber zugehen, wenn
unsere vereinigten Mittel nicht zum Ziele führten."
Lord Trevor erschien an der Abendtafel und seinem
lauten, lebhaften Benehmen nach zu schließen, war sein
Unwohlsein wieder gänzlich verschwunden. Er lachte und
scherzte in einer Weise, die alle in Erstaunen setzte, aber
seine Reden waren unzusammenhängend, seine Behaup-
tungen kühn, oft excentrisch.
„Wenn er nicht verrückt ist", flüsterte plötzlich Miß
Chester ihrem Tischnachbar, Sir Charles zu, „dann muß
ich es sein."
Henry hatte die leisen Worte gesprochen und mir
einem Male sah er klar, daß das Mädchen das Richtige
getroffen. Nur Betrunkenheit oder Geisteszerrüttung
konnte einen Menschen so handeln und reden machen, wie
der Hausherr dies that. Lister blickte nach seiner Cousine.
Sie gab sich alle Mühe die Aufmerksamkeit der Gäste von
ihrem Gatten abzuwenden und die meisten waren fein-
fühlend genug, ihm keine Beachtung zu schenken. Nur die
Blaustrümpfige, die in ihrer großen Weisheit nicht merkte,
was um sie her vorging, knüpfte immer und immer wieder
ein neues Gespräch mit ihm an, bis endlich Lady Trevor
den Damen das Zeichen zum Aufbruch gab. Aber heute
wollten die Herren nicht im Speisesaale beim Wein zurück-
bleiben; als sie sahen, daß ihr Wirth neue Flaschen aus-
tragen ließ, zogen sie vor, die Damen aufzusuchen. Nur
Henry blieb bei ihm sitzen und leistete ihm Gesellschaft.
Er hielt dies für das sicherste Mittel, ihn aus dem Salon,
 
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