DANTE, DIE GÖTTLICHE KOMÖDIE
Aus dem 11. Gesang des Fegefeuers
Dante (geboren 1265 in Florenz, gestorben 1321 in Ravenna) und
Giotto, beide Florentiner, waren Zeitgenossen und haben sich, wie
berichtet wird, auch persönlich gekannt. Der Gesang, aus dem ein
Teil hier abgedruckt wird, handelt wie auch der vorhergehende von
der Buße, die den Hochmütigen auferlegt ist; sie müssen, um den
Nacken beugen zu lernen, unter der Last schwerer Steine gehen.
Die Übersetzung ist die Falkenhausensche. Abgedruckt mit freund-
licher Erlaubnis des Insel-Verlages.
Und unterm Block,' der schwer ihn bog zur Erde,
Sucht’ einer — der nicht sprach - sein Haupt zu heben
Und sah und kannt’ und rief mich, mit Beschwerde
Den Blick erhebend, bis er mich ihm wies, x
Der tief gebeugt ich ging mit ihrer Herde.
„Oh“, rief ich, „bist du denn nicht Oderis?
Ruhm Gubbios, Ruhm du deinem Kunst wie keiner -
Illuminieren heißt man’s in Paris.“
„Ach, Bruder“, sagt’ er, „lichter lacht und feiner,
Was Francos Pinsel malt, des Bolognesen!
Sein ist nun aller Ruhm, im Schwinden meiner.
So billig, glaub mir, wär’ ich nicht gewesen
Bei Lebtag, da mein Herz vor Eifer schwoll
Nach Ruhm und Ehre, die’s zum Ziel erlesen!
Für solche Hoffahrt zahlt man hier den Zoll!
Und wär’ auch hier nicht, hätt’ ich mich bekehret
Zu Gott nicht, eh das Maß der Sünde voll.
0 eitler Ruhm, der Menschenkünste ehret!
Wie kurz doch grüift dein Laub, wenn aufs Entfalten
Nicht Zeiten folgen, roh und unbelehret!
’ Jüngst wollte Cimabue das Feld behalten
In Malerkunst, heut preiset jedermann
Den Giotto, und es lischt der Ruhm des Alten.
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Aus dem 11. Gesang des Fegefeuers
Dante (geboren 1265 in Florenz, gestorben 1321 in Ravenna) und
Giotto, beide Florentiner, waren Zeitgenossen und haben sich, wie
berichtet wird, auch persönlich gekannt. Der Gesang, aus dem ein
Teil hier abgedruckt wird, handelt wie auch der vorhergehende von
der Buße, die den Hochmütigen auferlegt ist; sie müssen, um den
Nacken beugen zu lernen, unter der Last schwerer Steine gehen.
Die Übersetzung ist die Falkenhausensche. Abgedruckt mit freund-
licher Erlaubnis des Insel-Verlages.
Und unterm Block,' der schwer ihn bog zur Erde,
Sucht’ einer — der nicht sprach - sein Haupt zu heben
Und sah und kannt’ und rief mich, mit Beschwerde
Den Blick erhebend, bis er mich ihm wies, x
Der tief gebeugt ich ging mit ihrer Herde.
„Oh“, rief ich, „bist du denn nicht Oderis?
Ruhm Gubbios, Ruhm du deinem Kunst wie keiner -
Illuminieren heißt man’s in Paris.“
„Ach, Bruder“, sagt’ er, „lichter lacht und feiner,
Was Francos Pinsel malt, des Bolognesen!
Sein ist nun aller Ruhm, im Schwinden meiner.
So billig, glaub mir, wär’ ich nicht gewesen
Bei Lebtag, da mein Herz vor Eifer schwoll
Nach Ruhm und Ehre, die’s zum Ziel erlesen!
Für solche Hoffahrt zahlt man hier den Zoll!
Und wär’ auch hier nicht, hätt’ ich mich bekehret
Zu Gott nicht, eh das Maß der Sünde voll.
0 eitler Ruhm, der Menschenkünste ehret!
Wie kurz doch grüift dein Laub, wenn aufs Entfalten
Nicht Zeiten folgen, roh und unbelehret!
’ Jüngst wollte Cimabue das Feld behalten
In Malerkunst, heut preiset jedermann
Den Giotto, und es lischt der Ruhm des Alten.
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