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Hirt, Aloys Ludwig
Die Baukunst nach den Grundsätzen der Alten (Text) — Berlin, 1809

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https://doi.org/10.11588/diglit.1740#0111
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gen, wie die Griechen sie mehrere Jahrhunderte später hatten, vorkommt. Ueberhaupt -war
an eine höhere Entwicklung der Baukunst bey den Griechen nicht zu denken, bevor nicht
die Wissenschaften und die bildenden Künste bey ihnen aufblühten. Dies geschah aber
erst nach der Zeit, als sie unter der Regierung des Psammetichus (um die 2ßte Olympias)
freyen Zugang hTAegypten fanden. Aus diesem Lande holten die Griechen die Elemente
ihres Wissens und ihrer Kunst her; und von dieser Epoche an zeiget sich in allein ein hö-
heres Emporstreben. Die Architektur hielt dabey immer gleiche Schritte mit den bildenden
Künsten, und man findet nicht, dafs eine der andern bedeutend voraneilte.

Was aber die Kolonien des mittlem Italiens betrift, so wurden sie theils durch ihre
Entfernung, theils durch ihre Vermischung mit andern Völkern ihren griechischen Stammes-
verwandten nach und nach fremd. Sie konnten also keinen unmittelbaren Antheil an jener
spätem Kultur, welche bey den Griechen begann, nehmen, sondern indem diese mit Piiesen-
schritten vorangiengen, blieben jene noch immer bey ihrer ursprünglichen Art von Zimme-
rey stehen. Daher geschah es, dafs, nachdem sie späterhin mit den Künsten der Griechen
bekannt wurden, sie doch forthin noch da und dort selbst Tempelgebäude nach früherer Lan-
desart aufführten. Sie nannten diese jetzt die toskanische, um sie von den drey andern Bau-
arten zu unterscheiden, welche sie indessen von den Griechen hatten kennen gelernt.

Anderseits darf man aber nicht zweifeln, dafs dieselbe ältere Bauart, welche die Römer
die toskanische nannten, auch forthin bey den Griechen neben den drey gezierten Bauord-
nungen im Gebrauch blieb, nämlich bey den gewöhnlichen Wohn- und Wirthschaftsgebäu-
den. Man könnte daher die Bauart, welche Vitruv bey dem toskanischen Tempel vorschreibt,
eben so gut die Altgriechische, oder wenn man will die Pelasgische heifsen. Wir bleiben aber
bey der erstem Benennung, und unter diesen werden wir die ältesten, oder gemeinen Gebälk-
arten aufführen. Sie sind hauptsächlich bey solchen Bauen anwendbar, welche keinen be-
sondern Charakter von Zierde erfordern, und wobey es wesentlich auf gute Konstruction,
Einfachheit und Ersparung ankommt. Der toskanische Bau ist mehr besorgt, das Unbehol-
fene, Rohe und Ungefällige wegzuräumen, als durch Zierde zu gefallen; er sucht mehr mit
jeder Art von Material richtig, als mit einem reichen und vornehmen Material schön zu
bauen; er fürchtet mehr durch Mifsverhältnisse zu beleidigen, als durch ein strenges Verhält-
nifsmaafs eine bestimmte Wirkung zu bezwecken: kurz er gehört mehr in das Gebiet des
Zimmermannes, als in das des Steinmetzen. Denn erst mit der Steinmetzkunst fieng eine
höhere Verfeinerung in den Verhältnissen, und in den Verzierungen an; welche dann wieder
auf den Holzbau zurückwirkte, in so fern man die Arbeit des Zimmermannes blendete, und
ihr äufserlich das Ansehen des Steinbaues gab.

Nach dieser Vorerinnerung wollen wir nun hören, was uns Vitruv in Hinsicht des tos-
kanischen Hauptbalkens lehret. Er sagt: „über die Säulen werden gekoppelte Balken gelegt,
deren Höhe nach Maafsgabe der Gröfse des Gebäudes zu bestimmen ist. Man braucht des-
wegen gekoppelte Balken, damit sie zusammen Eine Breite bilden, welche dem obersten
Durchmesser der Säule gleich ist. Man läfst aber zwischen denselben einen Raum von zwey
Fingern, und verbindet sie durch Döbel und Schwalbenschwänze. Denn wenn sie sich be-
rühren, und den Durchzug des Windes nicht zulassen, so erhitzen sie sich, und leiden
bald durch Fäulnifs." PL XIV. Fig. I. und IV. ferner: PI. XV. Fig. I. a. und Fig. III. b.

Diese Vorschrift ist ganz den Regeln einer guten Zimmerkunst gemäfs. Denn die gröfse-
re Stärke des Hauptbalkens besteht nicht in der Höhe, sondern in der Breite. Es war also
vernünftig zwey kleinere Zimmerstücke neben einander zu legen, um grofses Holz zu spa-
ren; und wir dürfen nicht zweifeln, dafs, wo immer man hölzerne Hauptbalken gebrauchte,
man auf dieselbe Weise verfuhr, und zwar ohne Rücksicht der Bauart. Ein wichtiges Bey-

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