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Einleitung.
über das momentan letzte Ergebniss der natürlichen Lebensbedingungen und
des Geschichtsganges aller Völker der Erde, also auch der Culturvölker, mit
ihren Hilfsmitteln Aufschluss zu geben hat.
Die Ethnologie kann ihren Stoff geographisch, historisch oder philosophisch
ordnen. Die in gewöhnlichen Lehrbüchern und Museen herrschende Ordnung
nach Continenten und Völkergruppen ist die primäre, am mindesten wissen-
schaftliche. In dieser Form entsteht reine Ethnographie, wie wir sie aus der
unmittelbaren Wirklichkeit schöpfen. Die historische Form der Ethnologie ent-
steht dadurch, dass man die Völker der Gegenwart nach ihren Productions-
formen und den begleitenden Culturzuständen in höhere und niedrigere eintheilt
und sie in jener Reihenfolge vergleichend schildert, in welcher die einzelnen
Culturstufen bei einem und demselben Volke geschichtlich aufeinanderzufolgen
pflegen. Die philosophische Form endlich gliedert den Stoff nach den ein-
zelnen Culturphänomenen, die sie einer gesonderten Betrachtung unterzieht.
Sie ist, im Gegensatz zur reinen Ethnographie, reine Sociologie, die wissen-
schaftlichste, aber auch die schwierigste Form der Darstellung ethnologischer
Erkenntnisse.
Schon zur historischen Form der Ethnologie bedarf es der aus der Geschichte
geschöpften Kenntniss des abgelaufenen Culturganges der Menschheit. Nicht min-
der gilt dies von der philosophischen Form, die sich mit dem Gesammtstoff der
Culturgeschichte bereichern muss. Deshalb rechnen Ethnologen (z. B. H. Schurtz,
Katechismus der Völkerkunde, S. 4), auch die Geschichte zu den Hilfswissen-
schaften der Völkerkunde, „da sie in Wahrheit nichts ist als historische Völker-
kunde; denn die letztere willkürlich auf die Zustände der Gegenwart zu be-
schränken, liegt kein Grund vor“. Allein bei dieser Definition wäre es überhaupt
schwer zu sagen, wo die Völkerkunde anfängt und wo sie auf hört. Sie führt
zur leeren Anmassung, und diese encyklopädische Tendenz, welche die Völker-
kunde übrigens mit anderen Wissenschaften theilt, hat in jüngster Zeit that-
sächlich bewirkt, dass sich die Ethnologie zur Richterin in urgeschichtlichen
Fragen aufgeworfen hat. Man hat es beklagt, „dass das Studium der vor-
metallischen Perioden ganz vorwiegend an dem stummen Material der Aus-
grabungen herangebildet worden sei“, und vergessen, dass die Entschleierung
der Urzeit mit NothWendigkeit zuerst diesen Weg einschlagen musste. Denn
die Ausgrabungen liefern uns Rückstände erster Ordnung, wogegen die Pri-
mitiven unserer Zeit nur als Rückstände zweiter Ordnung angesehen werden
dürfen, weil sie erst mit Hilfe der Archäologie, durch Vergleichung als lebende
„Survivals“ bestimmt werden können. Auch sind seit Jussieu und Lafitou
amerikanische Naturvölker und deren Culturzustände zur Erläuterung prähistori-
scher Funde herangezogen worden, und stets hat die vorgeschichtliche Archäo-
logie ganz wesentlich von solchen Vergleichungen gezehrt.
Indem man Namen bemängelt, ohne sich hinlänglich mit dem Begriff, den
sie decken, bekannt zu machen, kritisirt man heute den Ausdruck „Steinzeit“
und will ihn verwerfen oder an eine andere Stelle setzen als über die Gesammt-
heit der vormetallischen Perioden. Prof. v. d. Steinen nennt ihn einfach „eine
Thorheit“, obwohl er selbst gesehen, wie noch heute lebende Indianerstämme
Einleitung.
über das momentan letzte Ergebniss der natürlichen Lebensbedingungen und
des Geschichtsganges aller Völker der Erde, also auch der Culturvölker, mit
ihren Hilfsmitteln Aufschluss zu geben hat.
Die Ethnologie kann ihren Stoff geographisch, historisch oder philosophisch
ordnen. Die in gewöhnlichen Lehrbüchern und Museen herrschende Ordnung
nach Continenten und Völkergruppen ist die primäre, am mindesten wissen-
schaftliche. In dieser Form entsteht reine Ethnographie, wie wir sie aus der
unmittelbaren Wirklichkeit schöpfen. Die historische Form der Ethnologie ent-
steht dadurch, dass man die Völker der Gegenwart nach ihren Productions-
formen und den begleitenden Culturzuständen in höhere und niedrigere eintheilt
und sie in jener Reihenfolge vergleichend schildert, in welcher die einzelnen
Culturstufen bei einem und demselben Volke geschichtlich aufeinanderzufolgen
pflegen. Die philosophische Form endlich gliedert den Stoff nach den ein-
zelnen Culturphänomenen, die sie einer gesonderten Betrachtung unterzieht.
Sie ist, im Gegensatz zur reinen Ethnographie, reine Sociologie, die wissen-
schaftlichste, aber auch die schwierigste Form der Darstellung ethnologischer
Erkenntnisse.
Schon zur historischen Form der Ethnologie bedarf es der aus der Geschichte
geschöpften Kenntniss des abgelaufenen Culturganges der Menschheit. Nicht min-
der gilt dies von der philosophischen Form, die sich mit dem Gesammtstoff der
Culturgeschichte bereichern muss. Deshalb rechnen Ethnologen (z. B. H. Schurtz,
Katechismus der Völkerkunde, S. 4), auch die Geschichte zu den Hilfswissen-
schaften der Völkerkunde, „da sie in Wahrheit nichts ist als historische Völker-
kunde; denn die letztere willkürlich auf die Zustände der Gegenwart zu be-
schränken, liegt kein Grund vor“. Allein bei dieser Definition wäre es überhaupt
schwer zu sagen, wo die Völkerkunde anfängt und wo sie auf hört. Sie führt
zur leeren Anmassung, und diese encyklopädische Tendenz, welche die Völker-
kunde übrigens mit anderen Wissenschaften theilt, hat in jüngster Zeit that-
sächlich bewirkt, dass sich die Ethnologie zur Richterin in urgeschichtlichen
Fragen aufgeworfen hat. Man hat es beklagt, „dass das Studium der vor-
metallischen Perioden ganz vorwiegend an dem stummen Material der Aus-
grabungen herangebildet worden sei“, und vergessen, dass die Entschleierung
der Urzeit mit NothWendigkeit zuerst diesen Weg einschlagen musste. Denn
die Ausgrabungen liefern uns Rückstände erster Ordnung, wogegen die Pri-
mitiven unserer Zeit nur als Rückstände zweiter Ordnung angesehen werden
dürfen, weil sie erst mit Hilfe der Archäologie, durch Vergleichung als lebende
„Survivals“ bestimmt werden können. Auch sind seit Jussieu und Lafitou
amerikanische Naturvölker und deren Culturzustände zur Erläuterung prähistori-
scher Funde herangezogen worden, und stets hat die vorgeschichtliche Archäo-
logie ganz wesentlich von solchen Vergleichungen gezehrt.
Indem man Namen bemängelt, ohne sich hinlänglich mit dem Begriff, den
sie decken, bekannt zu machen, kritisirt man heute den Ausdruck „Steinzeit“
und will ihn verwerfen oder an eine andere Stelle setzen als über die Gesammt-
heit der vormetallischen Perioden. Prof. v. d. Steinen nennt ihn einfach „eine
Thorheit“, obwohl er selbst gesehen, wie noch heute lebende Indianerstämme