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Hoernes, Moritz
Urgeschichte der bildenden Kunst in Europa: von den Anfängen bis um 500 vor Christi — Wien: Druck und Verlag von Adolf Holzhausen, 1898

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https://doi.org/10.11588/diglit.62929#0029

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Einleitung.

Die Urgeschichte der bildenden Kunst in Europa ist weder die Ur-
geschichte dieser Kunst überhaupt, noch eine Urgeschichte sämmtlicher Künste.
Sie behandelt für einen kleinen Theil der Erde einen Ausschnitt aus dem
System der Künste. Wir gehen aber darin weiter als Ernst Grosse, der in
seinen „Anfängen der Kunst“ (Freiburg und Leipzig, 1894) allerdings die ganze
Erde und sämmtliche Künste, jedoch nur für die unterste Wirthschaftsstufe
berücksichtigt hat. In dieser verschiedenen Auffassung verwandter Probleme
kommt, wie uns scheint, der Unterschied zwischen vergleichender Völkerkunde
und vorgeschichtlicher Archäologie prägnant zum Ausdruck. Das Ziel der
ersteren ist stets ein mehr philosophisches, das der letzteren ein historisches.
Man könnte die Frage aufwerfen, ob die erstere oder die letztere competenter
sei, über die Anfänge der Kunst zu urtheilen. Hier kommt es darauf an,
welcherlei Belehrung man von dem Studium dieser Anfänge erwartet, und ob
dasselbe der Kunstphilosophie oder der Kunstgeschichte zu Gute kommen soll.
Die vorgeschichtliche Archäologie arbeitet in doppelter Beschränkung,
indem sie nach der Natur ihres Materiales local begrenzte Räume und eine
stark reducirte Ueberlieferung untersucht. Die vergleichende Völkerkunde hat
nicht nur das Recht, sondern die Pflicht schrankenloser Ausbreitung im Raum
und in der Fülle gleichzeitiger Erscheinungen. Nur in einem Sinne ist sie
beschränkt: in der Zeit; aber dies ist entscheidend. Das wahre Ziel dieser
Wissenschaft ist die Darstellung der Völker in ihrer gegenwärtigen Erscheinung,
so dass sie zu den historischen Disciplinen in engerem Sinne nicht gerechnet
werden kann. Die Neigung der Ethnologen, sich mit Naturvölkern und primi-
tiven Culturformen zu beschäftigen, ist wohl begründet; denn diese sind der
Schlüssel zum Verständniss der höheren Gesellschaftsformen, der um so eifriger
gesucht und angewendet werden muss, je mehr die primitiven Culturphänomene
überall im Absterben und Hinschwinden begriffen sind. Dennoch darf die
Ethnologie nicht für die Wissenschaft vom primitiven Menschen überhaupt
erklärt werden, und es ist wenigstens theoretisch festzuhalten, dass sie uns
Hoernes. Urgeschichte der Kunst. 1
 
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